Siemens Kaeser vergoldet Dresser-Chef die Übernahme mit bis zu 93 Millionen Dollar

Siemens-Chef Joe Kaeser: Er gewann die Bieterschlacht um den Öl-Industrie-Ausrüster Dresser-Rand gegen Sulzer. Sulzer-Verwaltungsratspräsident Peter Löscher, Kaesers Vorgänger, spielte in dem Wettpoker eine fragwürdige Rolle
Foto: REUTERSHamburg - Dresser-Rand-Chef Vincent Volpe, der bereits als vermögend gilt, wird durch den Verkauf des US-Kompressorenherstellers an Siemens ein steinreicher Mann. Insgesamt kann der 56-Jährige vom Münchener Konzern gut 93 Millionen Dollar verlangen, wie sich aus einer Aktionärsinformation ergibt, die Dresser-Rand kürzlich bei der US-Börsenaufsicht SEC eingestellt hat. Allein für seine über die Jahre angehäuften Aktien und Aktienoptionen erhält Volpe demnach 73,4 Millionen Dollar.
Dazu kommt eine "Goldener-Fallschirm-Zahlung" von 19,9 Millionen Dollar, sofern Volpe innerhalb von zwei Jahren nach Vollzug der Übernahme geht. Der Ausrüster für die Öl- und Gasindustrie aus Houston/Texas hatte vor einigen Jahren derartige Abfindungen für den Fall einer Übernahme in seine Satzung eingebaut. Siemens muss noch für fünf weitere Dresser-Topmanager "goldende Fallschirme" auszahlen, mehr als insgesamt 17,7 Millionen Dollar.
Volpe verdient für Siemens-Verhältnisse viel zu viel und wird wohl gehen
Nicht nur deshalb wird in Siemens-Kreisen damit gerechnet, dass der erfolgreiche Dresser-Rand-Chef bald nach dem für Sommer 2015 geplanten Vollzug der Übernahme gehen wird. Volpe gilt als eigenwilliger Manager, der sich mit der Struktur eines Großkonzerns wie Siemens schwer tun dürfte.
Zudem verdient er für Siemens-Verhältnisse viel zu viel: Sein Jahresgehalt von zuletzt 6,4 Millionen Dollar übertrifft das der meisten Siemens-Vorstandsmitglieder. Dresser-Rand mit zuletzt 3 Milliarden Dollar Umsatz und 8100 Mitarbeitern kommt aber nicht einmal auf die Größe der kleinsten der zehn Siemens-Divisionen.
Gleichwohl hat sich Volpes Verhandlungsgeschick nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Dresser-Rand-Aktionäre ausgezahlt. Nach mehr als drei Jahren des Hin- und Her-Taktierens mit Siemens sowie mit dem Schweizer Sulzer-Konzern und dessen russischen Großaktionär Wiktor Wexelberg veräußerte Volpe das texanische Unternehmen auf dem Höhepunkt zu einem Preis von 7,6 Milliarden Dollar (5,8 Milliarden Euro) beziehungsweise 83 Dollar je Aktie.
Diverse Analysten betrachten den Preis als zu hoch. Selbst Siemens-Chef Joe Kaeser musste einräumen, dass er lieber das Ende des gerade begonnenen Abschwungs der Ölbranche abgewartet hätte, aber durch Sulzers Vorpreschen zum Handeln gezwungen wurde.
Das SEC-Filing legt offen, wie trickreich Volpe Siemens und Sulzer - und damit die alten Rivalen Kaeser und dessen Vorgänger bei Siemens, Peter Löscher (heute Sulzer-Verwaltungsratspräsident), gegeneinander ausgespielt hat, wie der folgende Überblick zeigt.
Das Vorspiel - Wexelberg streckt die Fühler aus
Die Anfänge des Übernahmepokers reichen bis ins Jahr 2011 zurück. Am 20. September reiste Siemens' Energie-Service-Chef Randy Zwirn mit einem Hausjuristen zu Dresser-Rands Verwaltungssitz nach Paris, um mit Volpe über ein Barangebot zu diskutieren. Bereits zehn Tage später unterbreitete der damalige Siemens-Energie-Vorstand Michael Süß Volpe ein Gebot mit einer Preisindikation von 55 Dollar je Aktie - was das Dresser-Bord schnell als "unattraktiv" ablehnte.
Doch der ehrgeizige Süß, den der damalige Siemens-Chef Löscher gerade erst an die Spitze des Energiesektors befördert hatte, ließ nicht locker. Bereits im November erhöhte Siemens auf 66 Dollar, im Februar 2012 auf 70 Dollar, im März gar auf 74 Dollar. Im Oktober 2012 sandte Siemens nochmals einen Brief mit dem Vorschlag 74 Dollar nach Paris und erklärte erstmals seine Bereitschaft, eine Art Strafgebühr zu zahlen, sollte der Deal im Nachhinein platzen. So kam es im Dezember 2012 zu einem weiteren Treffen zwischen Volpe und Süß sowie der Chefjuristen beider Seiten - ohne Erfolg. Dresser lehnte abermals ab.
Fast ein Jahr später, am 16. September 2013, traf sich Volpe mit einem Vertreter von Sulzer und drei Tage später auch mit einem Investmentbanker von Sulzers Großaktionär Renova. Hinter Renova steht der russische Oligarch Wiktor Wexelberg.
Eine Kombination seiner Firma mit Sulzer schien Volpe besser zu gefallen, jedenfalls gab er sich gegenüber den Schweizern wesentlich zugänglicher. Bereits am 4. Oktober holte er seinen Chairman William Macaulay zu einem weiteren Treffen mit Sulzer-Vertretern hinzu. In dem Brief, den Volpe danach an die Sulzer-Leute schickte, unterstrich er zudem das Wertsteigerungspotenzial einer möglichen Transaktion. Da aber das von Sulzer vorgeschlagenen Bewertungsverhältnis aus Dresser-Sicht zu unattraktiv sei, wolle er zunächst keine weiteren Diskussionen führen.
Die Löscher-Attacke
Danach passierte monatelang nichts - bis am 28. Juni 2014 der frisch gewählte Sulzer-Verwaltungsratspräsident Peter Löscher bei Volpe anrief. Am 9. Juli trafen sich beide in Paris, und man vereinbarte, sich am 12. August abermals zu treffen - dann auch mit Macaulay.
Mitten in diese Phase platzte am 17. Juli ein Bericht des manager magazin, wonach Siemens an Dresser interessiert sei und seit Monaten ein Gebot vorbereitet habe.
Der Bericht trieb nicht nur Dresser-Rands Aktienkurs in die Höhe, sondern beschleunigte auch die Verhandlungen zwischen Löscher und Volpe. Bereits am 18. Juli schlug Löscher Volpe in einem Telefonat eine Fusion unter Gleichen vor. In den darauffolgenden Tagen arbeiteten auf beiden Seiten Rechtsanwaltskanzleien Vertraulichkeitserklärungen aus.
Kaeser schaltet sich ein
Am 29. Juli riefen Siemens-Vertreter bei Dresser-Rands Investmentbank Morgan Stanley an, um für den 6. August ein Telefonat zwischen Kaeser und Volpe zu arrangieren. Der Siemens-Chef erklärte Volpe, er würde die Verhandlungen gerne wieder aufnehmen, und man verabredete ein Treffen für Anfang September.
Noch am selben Tag ging bei Dresser-Rand ein sogenanntes "Term Sheet" aus der Schweiz ein, in dem Sulzer Konditionen einer möglichen Fusion nannte und für eine Vier-Wochen-Frist Exklusivität für die Verhandlungen verlangte. Das Dresser-Board gewährte diese schließlich bis 31. August. Und wies Löscher auch darauf hin, dass bereits für 1. September ein Treffen zwischen Volpe und einem weiteren Kaufinteressenten angesetzt sei.
Spätestens da dürfte Löscher klar gewesen sein: Auch Kaeser machte jetzt Ernst.
So verhandelte Sulzer nun auf Hochtouren, doch Dresser-Rand war mit dem Vorschlag einer 50:50-Fusion nicht einverstanden. Kurz vor dem 31. August drohten die Schweizer deshalb mit dem Abbruch der Verhandlungen - was Volpe indes kaum beeindruckte. Der Amerikaner traf am 1. September Kaeser in Paris, welcher Siemens' Interesse an einer Barübernahme erneut unterstrich. Einen Tag später schlug das Dresser-Board den Schweizern eine Fusion mit einem Bewertungsverhältnis von 52,5 zu 47,5 vor. Das heißt, Dressers Aktionäre hätten an der gemeinsamen Firma 52,5 Prozent halten sollen und Sulzers Eigner nur 47,5 Prozent. Das war wiederum Sulzer zu wenig.
Siemens lieferte nach drei Tagen Due Diligence das geforderte Angebot
Derweil machte Kaeser den nächsten Schritt: Am 12. September bot er Volpe am Telefon einen Gebotspreis zwischen 73 und 80 Dollar an. Die Amerikaner stellten sofort klar, sie sähen den Preis "in den Achtzigern" und forderten zudem Zugeständnisse von Siemens bezüglich der Transaktionssicherheit.
Damit ging der Bieterkampf um Dresser-Rand in die Endphase, bevor er noch im formalen Sinne eigentlich so richtig begonnen hatte. Einen Tag nach dem Telefonat erhielt Siemens Zugang zu Dresser-Rands Büchern für eine gründliche Prüfung (Due Diligence). Schon am 16. September setzte Volpe Siemens unter Druck: Man benötige für die Board-Sitzung im späteren Tagesverlauf ein belastbares Gebot. Siemens lieferte, nach nur drei Tagen Due Diligence: Man sei bereit, 83 Dollar je Aktie zu zahlen.
Daraufhin beschloss das Dresser-Board, nun mit Siemens und mit Sulzer weiterzuverhandeln, um die höchstmögliche Bewertung zu erzielen. Bereits der 21. September - ein Sonntag - sollte der Tag der Entscheidung sein.
In letzter Minute versuchte nun auch Löscher, das Blatt nochmals zu wenden: Er verbesserte das gebotene Austauschverhältnis auf 51,5 zu 48,5. Am Morgen des 21. Septembers legten Sulzers Investmentbanker nochmals kräftig drauf: Nun sollte die Dresser-Aktionäre eine 50:50-Fusion akzeptieren, dafür aber zusätzlich 15 Dollar je Aktie in bar erhalten - insgesamt gut 1,1 Milliarden Dollar. Rechnet man die erwarten Synergien von Sulzer und Dresser-Rand über 170 Millionen Dollar jährlich komplett mit ein, käme man auf einen Wert dieses Gebots von 88 Dollar je Aktie, oder 6,8 Milliarden Dollar für 100 Prozent.
Dies hätte sogar über dem Siemens-Gebot gelegen - doch die Sulzer-Führung wollte diesen Vorschlag ihrer Banker nicht bestätigen. So gab Dresser-Rand noch am selben Tag Siemens den Zuschlag.
Löschers fragwürdige Rolle
Fazit: Ausgerechnet Löscher, der Ende Juli 2013 nach sechs Jahren von der Siemens-Spitze zurücktreten musste, hat seinen früheren Arbeitgeber kräftig unter Druck gesetzt und - zum Nachteil der Siemens-Aktionäre - den Preis für Dresser-Rand getrieben. Die Rolle, die der Österreicher spielte, sehen viele seiner Ex-Kollegen als fragwürdig an. So nutzte Löscher laut Verhandlungskreisen bei seiner Attacke im neuen Sulzer-Amt Kenntnisse, die er während seiner Zeit an der Siemens-Spitze gewonnen hat.
Dabei hatte ihn Siemens mit etwa 30 Millionen Euro abgefunden. Knapp die Hälfte dieses Betrags zahlte der Konzern sogar dafür, dass Löscher nicht zu einem Wettbewerber wechselt - die Klausel hat Löscher nun ad absurdum geführt. Auch dass Löscher als Präsident der Siemens-Stiftung erst Anfang September zurücktrat, stößt in der Siemens-Zentrale auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte Löscher immerhin schon gut zwei Monate über die Fusion mit Dresser-Rand verhandelt.