Siemens-Chef Kaeser verteidigt Strategie "Das digitale Zeitalter duldet kein Mittelmaß"

Vom Konzern zur Holding: Die neun Welten von Siemens
Siemens -Chef Joe Kaeser hat vor Aktionären für seine neue Strategie geworben, den einzelnen Bereichen mehr Freiräume und Selbstständigkeit zu geben. "Konglomerate alten Zuschnitts haben keine Zukunft mehr", sagte er am Mittwoch auf der Hauptversammlung in München. Deswegen müsse der Konzern nun die Voraussetzungen für das Siemens der nächsten Generation schaffen.
Kaeser verfolgt die Strategie eines "Flottenverbundes", der die einzelnen Einheiten selbstständiger und damit agiler und wettbewerbsfähiger machen soll. Vor diesem Hintergrund war bereits das Windgeschäft mit dem spanischen Konkurrenten Gamesa fusioniert worden. Für das Zuggeschäft wurde ein Zusammenschluss mit dem französischen Wettbewerber Alstom vereinbart. Die Medizintechnik soll voraussichtlich in wenigen Wochen an die Börse. Dann gäbe es künftig drei börsennotierte Töchter, die annähernd für die Hälfte des Konzernumsatzes stehen.
Kaeser sieht dabei die Marke Siemens künftig als "starkes und verbindendes Element". Die einzelnen Bereiche sollen sich so organisieren, "dass sich jedes einzelne mit den Spezialisten messen kann". Weiter erklärte Kaeser: "Das digitale Zeitalter duldet kein Mittelmaß." Siemens habe die Zeichen der Zeit erkannt. Von anderen Konglomeraten könne man das weniger behaupten. "Unter den Konglomeraten sind wir also vorne." Feierlaune oder Schadenfreude seien jedoch unangebracht.
Kaeser signalisiert mögliche Lösung für Standort Görlitz
Bei dem umstrittenen Jobabbau in der Kraftwerksparte hat der Siemens-Chef eine mögliche Lösung für den von der Schließung bedrohten Standort im sächsischen Görlitz ins Spiel gebracht. Man erwäge ein "Industriekonzept Oberlausitz", sagte Kaeser am Mittwoch zur Hauptversammlung in München. Vorstellbar wäre etwa, dass das Werk eigenständiger werde, dabei aber zunächst unter dem Dach von Siemens verbleibe.

Stellen sich den Aktionären: Siemens-Vorstand Michael Sen, Vorstandschef Joe Kaeser, Personalchefin und Vorstandsmitglied Janina Kugel und Finanzvorstand Ralf Thomas (von links)
Foto: DPAIn einigen Jahren könnte der Standort dann in einem Industriecluster aufgehen. Um solche Erwägungen umzusetzen, bedürfe es allerdings der Mitwirkung der Bundes- und Landesregierung sowie anderer Beteiligter, sagte Kaeser.
Siemens will wegen Nachfrageflaute und Preisdruck im Kraftwerksgeschäft Tausende Jobs streichen und hatte auch die Schließung von Werken angekündigt, darunter auch in Görlitz. Erst kürzlich hatte Kaeser den Beschäftigten des Standortes Hoffnung gemacht. "Wir werden Görlitz nicht fallen lassen", hatte Kaeser am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos gesagt. "Wir werden diesen Menschen helfen, wir geben ihnen eine Zukunft."
Gewinn der Kraftwerkssparte bricht um die Hälfte ein
Siemens hatte bereits am Morgen Quartalszahlen auch zur Kraftwerkssparte veröffentlicht. Hier brach der operative Gewinn im ersten Geschäftsquartal um die Hälfte ein, der Umsatz um ein Fünftel. Siemens will in dem Bereich mehr als 6000 Stellen streichen, weil der Markt wegen der Energiewende in den kommenden Jahren massiv schrumpfen werde. Das Minus ließ sich durch einen Gewinnsprung im Zug-Geschäft (Mobility) nicht wettmachen, das vor der Fusion mit der französischen Alstom steht.
Konzernchef Joe Kaeser verteidigte den Stellenabbau: Der Gewinnbruch dokumentiere, dass der Handlungsbedarf "notwendig ist, ja sogar dringlicher geworden ist". Der Einbruch im Markt für konventionelle Kraftwerke, für die Siemens große Gas- und Dampfturbinen liefert, sei nicht nur eine vorübergehende Eintrübung.
Offenbach, Erfurt, Mülheim, Görlitz - Kaeser spricht von einem "Mythos"
Vor den Toren der Münchener Olympia-Halle demonstrierten Siemens-Beschäftigte gegen den Stellenabbau. 250 Demonstranten aus Erfurt, Offenbach und anderen von der Schließung bedrohten Werken säumten am Morgen den Weg zur Olympiahalle und forderten auf Plakaten "Mensch vor Marge" und "Mit Siemens spekuliert man nicht!".
Kaeser sieht das anders: "Behauptungen, dass unsere Werke in Offenbach, Erfurt, Mülheim oder auch Görlitz voll ausgelastet und sogar profitabel seien, sind ein Mythos oder Stimmen aus der Vergangenheit", sagte Kaeser. "Mit der Realität heute haben sie jedenfalls nichts zu tun." Görlitz und Leipzig sollen geschlossen, Erfurt nach Möglichkeit verkauft werden.
Personalvorstand Janina Kugel sagte, die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern über den Stellenabbau hätten inzwischen begonnen. "Wir befinden uns damit in einem geordneten Prozess, der auf eine gute Einigung hoffen lässt", sagte sie. Zum Stand der Gespräche wollte sie sich nicht äußern.
Verkäufe steigern Nettogewinn, Geschäft mit Gasturbinen belastet
Ein schwaches Geschäft mit Gasturbinen hat Siemens zum Jahresauftakt belastet. Das Ergebnis des industriellen Geschäfts sank im ersten Quartal (per 31. Dezember) um 14 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro, hatte Siemens bereits am Morgen mitgeteilt. Gewinnrückgänge musste auch die kurz vor dem Börsengang stehende Medizintechnik-Sparte Healthineers hinnehmen - hier machten sich negative Wechselkurseffekte erheblich bemerkbar.
Unter dem Strich stand gleichwohl ein um 12 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro gestiegener Gewinn. Siemens profitierte beim Nettoergebnis von einem Sondergewinn aus dem Verkauf seiner restlichen Anteile an der einstigen Lichttechnik-Tochter Osram in Höhe von 655 Millionen Euro sowie einem positiven Effekt aus der US-Steuerreform von 437 Millionen Euro.
Healthineers geht mit negativen Vorzeichen an die Börse
Umsatz und Auftragseingang profitierten von dem Zusammenschluss der Siemens-Windenergiesparte mit dem spanischen Wettbewerber Gamesa im vergangenen Frühjahr. Der Umsatz stieg um 3 Prozent auf 19,8 Milliarden Euro, auf vergleichbarer Basis waren es 1 Prozent. Der Auftragseingang legte um 14 Prozent auf knapp 22,5 Milliarden Euro zu, vergleichbar waren es 7 Prozent. Den Ausblick auf das Gesamtjahr 2017/2018 bekräftigte Siemens.
Lesen Sie auch: Was Siemens neuer Chefaufseher Snabe anders machen will
Die Medizintechnik-Sparte Healthineers geht mit negativen Vorzeichen an die Börse. Ihr operatives Ergebnis ging um 15 Prozent auf 541 Millionen Euro zurück, der Umsatz gab um vier Prozent und der Auftragseingang um fünf Prozent nach. Ohne Währungseffekte hätten Umsatz und Orders allerdings zugelegt. Insider erwarten, dass Healthineers den Börsengang noch vor Ostern in Angriff nimmt.