Kritik an Kaeser vor dem Siemens-Turbomaschinen-Werk in Leipzig: Doch so will sich der Siemens-Chef nicht sehen und verstanden wissen
Foto: DPASiemens meldet jetzt binnen 10 Tagen einen weiteren Großauftrag für den Bau eines Gas- und Dampfkraftwerks. Nach einer 700 Millionen Euro schweren Bestellung aus Libyen zieht der Konzern nun für die schwächelnde Kraftwerkssparte einen 380 Millionen hohen Auftrag für den Bau eines Gas- und Dampfkraftwerks in Russland an Land.
Siemens-Chef Joe Kaeser will in der Kraftwerkssparte 6100 Arbeitsplätze streichen - gut die Hälfte davon in Deutschland. Die Sparte gehört noch zu den umsatzträchtigsten Geschäftsfeldern, aber der Markt für große Gasturbinen ist in den vergangenen Jahren um 40 Prozent, für Dampfturbinen um 70 Prozent geschrumpft.
Kaeser fordert deshalb den Betriebsrat und IG Metall auf, ihren Widerstand gegen Verhandlungen über Stellenabbau und Werksschließungen aufzugeben. Er wirft den Arbeitnehmervertretern vor, ihre Haltung gehe zu Lasten der über 3000 Mitarbeiter, deren Stellen wegfallen sollen: "Für die Menschen, die betroffen sind, ist es am Ende einfach unverantwortlich", sagte Kaeser.
Kaeser drohte am Montagabend zugleich damit, mit dem Stellenabbau auch ohne Verhandlungen zu beginnen. "Wenn sich bestimmte Partner im Gefüge (...) im Augenblick versperren und verwehren, ( ) dann werden wir das zunächst einmal alleine ( ) beginnen müssen", sagte Kaeser. Der Siemens-Chef betonte, dass das Unternehmen in anderen Bereichen gleichzeitig 12.000 bis 15.000 neue Stellen schaffen wolle.
Kaeser stört sich auch daran, dass Betriebsrat und IG Metall inzwischen zwar mit dem Siemens-Vorstand über die Pläne sprechen - aber das nicht als Verhandlungen bezeichnen. "Der einzige Grund, warum dieses Haarspalten jetzt gemacht wird, ist, dass man sich nicht korrigieren muss. Weil man einmal gesagt hat, wir verhandeln mit denen nicht, bevor sie die Schließungspläne nicht zurücknehmen", kritisierte Kaeser. "Das wird nicht helfen."
Der Siemens-Chef übte auch Selbstkritik: "Es gab einige Dinge, die nicht so toll waren, dass man Rekordergebnisse verkündet, und drei Wochen später kommt die Restrukturierung. Ich verstehe das, wenn die Menschen sagen, also irgendwie ist das jetzt Ackermann hoch zwei", sagte Kaeser mit Blick auf den früheren Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann und dessen hohe Renditevorgaben.
"Der Wert der Integration ist höher als ein Punkt Marge"
Der Gewinn soll nach Kaesers Worten bei Siemens nicht das alleinige Kriterium sein: "Der Wert der Integration der Gesellschaft ist höher als ein Punkt Marge oder zwei." Kaeser lud den Betriebsrat ausdrücklich zu Verhandlungen ein: "Die Tür ist offen."
Nach Kaesers Worten hätten die jüngsten Aufträge in der Kraftwerksparte keinen Einfluss auf die Gesamtsituation. Die Bundesrepublik werde nach Worten Kaesers von den Veränderungen in der industriellen Arbeitswelt besonders getroffen werden. "Wenn man's ganz harsch formuliert: Was bisher in dieser Siemens-Diskussion zum Ausdruck gekommen ist, ist das Versagen der Sozialpartner, sich auf Transformation gemeinschaftlich einzustellen."
Verweigerungshaltung wird nach Kaesers Argumentation aber kontraproduktiv: "Sonst wird uns diese vierte industrielle Revolution, diese ganze Digitalisierung (...) allen gemeinsam auf die Füße fallen."
Wer oder was ist Siemens, und wie lange noch? Die Frage stellt man sich nicht zuletzt in der 2016 eröffneten Münchener Zentrale. Die spiegelt schon baulich den Wandel des Konzerns in einen lockeren Holding-Verbund: Platz ist für 1200 Beschäftigte, aber nicht unbedingt ein fester Stammplatz im Büro.
Mit Healthineers löst sich der größte Gewinnbringer unter den Siemens-Sparten teilweise ab. Im ersten Halbjahr 2018 soll die Medizintechnik an die Börse gehen, die Bewertungsfantasie geht bis 40 Milliarden Euro. Siemens behält - zumindest vorerst - die Mehrheit der Anteile.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 13,8 Milliarden Euro
Marge: 18,1 Prozent
Die Windkraftsparte ist bereits seit April eigenständig: Siemens Gamesa Renewable Energy entstand aus der Fusion mit dem spanischen Wettbewerber Gamesa. Das gemeinsame Unternehmen mit Sitz im Baskenland gehört zu 59 Prozent Siemens, und soll mit vereinter Kraft die Branchenführung übernehmen. Angesichts roter Zahlen ist zunächst aber erst einmal Sparkurs mit der Streichung tausender Stellen angesagt.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 7,9 Milliarden Euro
Marge: 4,3 Prozent
Nach demselben Muster auf dem Weg nach draußen ist die Bahnsparte Mobility, die unter Führung des französischen Rivalen Alstom mit Siemens als Mehrheitseigner die Bahnindustrie dominieren soll - einschließlich der Bahnantriebe, die noch in der Sparte Process Industries and Drives eingegliedert sind. Ende 2018 soll der neue europäische Marktführer in Paris stehen.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 8,1 Milliarden Euro (nur Siemens Mobility)
Marge: 9,2 Prozent (nur Siemens Mobility)
Zum Kerngeschäft könnte sich gemäß der "Vision 2020" von Konzernchef Joe Kaeser, Siemens "entlang der Wertschöpfungskette der Elektrifizierung und Automatisierung" aufzustellen, die Sparte Power and Gas zählen. Doch das hätte für die Windkraftsparte und die Bahntechnik auch gelten können. Trennungspläne gibt es für die Produktion von Turbinen als Ganzes nicht - wohl aber für einzelne Werke und mehrere Tausend Beschäftigte wegen der flauen Nachfrage. Die mit Kaesers erstem großen Deal, dem Kauf der US-Firma Dresser-Rand, in den Fokus gerückte Öl- und Gasindustrie macht auch kaum Freude.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 15,5 Milliarden Euro
Marge: 10,3 Prozent
Auch Process Industries and Drives ist von den aktuellen Kürzungsplänen betroffen - wie auch von der Fusion der Bahntechnik mit Alstom. Vom Margenziel 8-12 Prozent ist die Sparte, die beispielsweise Antriebe für den Maschinenbau fertigt, notorisch weit entfernt. Zuletzt ging es etwas aufwärts, wenn auch nicht mit der Stimmung in der Belegschaft
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 8,8 Milliarden Euro
Marge: 5,0 Prozent
Energy Management passt wiederum eindeutig in die Wertschöpfungskette des Elektrokonzerns. Das Geschäft mit Transformatoren und Umspannwerken erfüllt auch - abgesehen von anfänglichen Fehlinvestitionen mit dem Anschluss von Offshore-Windparks - die Hoffnung, von der Energiewende zu profitieren. Die Nachfrage nach Ausbauten im Stromnetz erweist sich bisher als solider als die nach Windrädern oder gar Gaskraftwerken.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 12,3 Milliarden Euro
Marge: 7,6 Prozent
Die Gebäudetechniksparte Building Technologies steht für das kundennahe Ende der Wertschöpfungskette. Hier glaubt auch Siemens an den Trend zum "Smart Home" - während die Hausgerätesparte vor Jahren schon an den Ex-Partner Bosch ging, der im Unterschied zu Siemens Potenzial in der Vernetzung Weißer Ware sieht.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 6,5 Milliarden Euro
Marge: 12 Prozent
Die Vorzeigesparte heißt Digital Factory. Siemens baut zwar selbst keine Roboter, sieht sich aber als einer der Vorreiter in der Automatisierung und Digitalisierung der Industrie - der "vierten industriellen Revolution". Abgerundet wird das Geschäft auch durch herkömmliche Schaltanlagen, verstärkt wurde es zuletzt durch mehrere teure Zukäufe von Industriesoftwarefirmen. Der Status schützt allerdings nicht vor Sparprogrammen und Stellenabbau
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 11,4 Milliarden Euro
Marge: 18,8 Prozent
Zum Kerngeschäft könnte sich gemäß der "Vision 2020" von Konzernchef Joe Kaeser, Siemens "entlang der Wertschöpfungskette der Elektrifizierung und Automatisierung" aufzustellen, die Sparte Power and Gas zählen. Doch das hätte für die Windkraftsparte und die Bahntechnik auch gelten können. Trennungspläne gibt es für die Produktion von Turbinen als Ganzes nicht - wohl aber für einzelne Werke und mehrere Tausend Beschäftigte wegen der flauen Nachfrage. Die mit Kaesers erstem großen Deal, dem Kauf der US-Firma Dresser-Rand, in den Fokus gerückte Öl- und Gasindustrie macht auch kaum Freude.
Umsatz im Geschäftsjahr 2017: 15,5 Milliarden Euro
Marge: 10,3 Prozent
Denkbar bodenständig ist die Herkunft des mächtigsten deutschen Managers. Im Bayerischen Wald ist der Arbeitersohn Josef Käser bis heute verwurzelt. Er hat sich hochgearbeitet, ohne Stationen in Business Schools oder Beratungsfirmen.
Seit 1980, gleich nach dem BWL-Diplom an der Fachhochschule Regensburg, ist Kaeser Siemensianer. Ganz unsentimental war er später aktiv daran beteiligt, seine ersten Stationen wie das Halbleiterwerk Regensburg (Infineon), den Bereich Passive Bauelemente (Epcos), oder ...
... das LED-Geschäft Opto Semiconductors (Osram), wo er ab 1990 seinen ersten Führungsjob hatte, aus dem Konzern zu entfernen. An der umfassenden Neuordnung von Siemens unter Heinrich von Pierer arbeitete Kaeser nach Auslandsstationen in Malaysia und dem Silicon Valley (wo er seinen Namen amerikanisierte) im Finanzbereich und zuletzt als Leiter der Strategieabteilung mit.
Zwischenzeitlich saß Kaeser auch im Bereichsvorstand der Mobilfunksparte ICM, die kurz darauf an die taiwanische Firma BenQ losgeschlagen und dann geschlossen wurde. Heute ist der aus einer Telegrafenbauanstalt entstandene Siemens-Konzern ganz ohne Telekommunikationsgeschäft - was Kaeser inzwischen als Folge strategischer Fehler bedauert.
In der tiefsten Krise des Siemens-Konzerns, als 2006 der Skandal um ein System schwarzer Kassen publik wurde, stieg Kaeser als Finanzchef unter Kurzzeit-CEO Klaus Kleinfeld in den Konzernvorstand auf. Er sollte das einzige damalige Mitglied des Gremiums sein, das die Affäre unbeschadet überstand.
Als Zeuge trat Kaeser im Juni 2008 vor dem Landgericht München auf. An ihm selbst blieb trotz der Verantwortung im Kommunikationsbereich, wo besonders viele Schmiergeldfälle aktenkundig wurden, keine Schuld hängen.
Als CFO wirkte Kaeser jahrelang als Stütze des von außen geholten Konzernchefs Peter Löscher, fädelte mehrere Milliardendeals (meist mit dem Verkauf von Konzernteilen) ein und äußerte seine Meinung gerne auch zur Konzernstrategie ...
... was ihn zuletzt zunehmend in Rivalität zu Löscher brachte. 2013 brachte Kaeser, inzwischen ohne Schnauzbart, seinen Vorgesetzten mit Gewinnwarnungen und öffentlichen Hinweisen auf Fehler in Bedrängnis.
Der Coup folgte am 31. Juli 2013, als der Aufsichtsrat Löscher absetzte und mit sofortiger Wirkung Kaeser an dessen Stelle berief. In der Siemens-Belegschaft wurde Hoffnung laut, dass nun mit einem der Ihren am Ruder etwas Ruhe in den Betrieb käme. Auch die Aktionäre gaben Kaeser mit steigendem Kurs Vorschusslorbeeren.
Anfangs schien das Glück den Dealmaker zu verlassen. Als der französische Wettbewerber Alstom im Juni 2014 zum Verkauf stand, warb Kaeser vergeblich im Elysée-Palast, hatte jedoch das Nachsehen gegenüber General Electric - aus heutiger Sicht ein Glücksfall, weil der nun noch größere Probleme im flauen Kraftwerksgeschäft hat.
Intern wurde noch kräftiger umorganisiert als zuvor. Das manager Magazin prägte im November 2014 den Titel "König Joe", weil Kaeser die mächtigen Sektoren abschaffte und durch übersichtliche Sparten ersetzte, interne Rivalen loswurde und die ganze Struktur auf seine Person zuschnitt. Der Plan...
...ging weitgehend auf. Kaeser hat den Wert von Siemens stark gesteigert und den Erzrivalen GE bei vielen Kennziffern überholt. Ein Lohn: Kaeser bewegt sich auf der großen Bühne mit Staatschefs aus aller Welt.
Neben dem rein Geschäftlichen äußerte der Siemens-Chef sich auch immer wieder zur gesellschaftlichen Entwicklung. Fehlgriffe wie ein Milliardenzukauf in der Öl- und Gasindustrie der USA unmittelbar vor dem Einbruch der Rohstoffpreise geraten so zur Fußnote.
Im November 2017 stand Joe Kaeser mit Ehefrau Rosemarie (Fraktionssprecherin der CSU im niederbayerischen Heimatort Arnbruck) auf der Bühne des Jüdischen Museums in Berlin. Zusammen mit Altbundespräsident Joachim Gauck erhielt er den Preis für Verständigung und Toleranz.
Doch schon wenige Tage später folgte die offene Konfrontation mit dem bisher freundlich-konstruktiv gesinnten Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall. Neue Pläne für den Abbau tausender Stellen und Werksschließungen nach einem Jahr mit Rekordgewinn bringen die Beschäftigten ebenso gegen Kaeser auf wie die missglückte Kommunikation.
Jetzt zeigt Kaeser, dass auch er konfrontativ sein kann. Auf Vorwürfe von SPD-Chef Martin Schulz, der auf Demos von Siemens-Arbeitern die Konzernführung "asozial" nannte und des "Manchester-Kapitalismus" bezichtigte, antwortete der Siemens-Chef mit einem offenen Brief: "Wer ist hier verantwortungslos?"
... das LED-Geschäft Opto Semiconductors (Osram), wo er ab 1990 seinen ersten Führungsjob hatte, aus dem Konzern zu entfernen. An der umfassenden Neuordnung von Siemens unter Heinrich von Pierer arbeitete Kaeser nach Auslandsstationen in Malaysia und dem Silicon Valley (wo er seinen Namen amerikanisierte) im Finanzbereich und zuletzt als Leiter der Strategieabteilung mit.
Foto: A3528 Armin Weigel/ dpaAnfangs schien das Glück den Dealmaker zu verlassen. Als der französische Wettbewerber Alstom im Juni 2014 zum Verkauf stand, warb Kaeser vergeblich im Elysée-Palast, hatte jedoch das Nachsehen gegenüber General Electric - aus heutiger Sicht ein Glücksfall, weil der nun noch größere Probleme im flauen Kraftwerksgeschäft hat.
Foto: AP/dpa