Als Großinvestor des Fußball-Drittligisten Hansa Rostock weiß Rolf Elgeti (44), wie schmerzhaft es mitunter ist, sich einem festen Regelwerk zu unterwerfen. Es gewinnt das Team, das mehr Tore schießt, und über allem wacht ein Unparteiischer. In der vorigen Saison bedeutete das Platz 6, Elgeti verpasste den ersehnten Aufstieg in die 2. Bundesliga.
Im rheinischen Kapitalismus geht es dagegen oft rüder zu und die Finanzaufsicht BaFin, die eigentlich als Schiedsrichterin vorgesehen ist, fehlt es mitunter an Übersicht und Durchsetzungswille - wie Tausende Investoren im Fall Wirecard unlängst erfuhren.
Am Dienstag, dem 10. November, jedenfalls setzt Elgeti zu einer Machtübernahme an, wie es sie in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bei einem börsennotierten Unternehmen wohl noch nie gegeben hat. Elgeti ist einer der wendigsten deutschen Investoren, blitzgescheit - aber auch mit einem Hang zu Deals im Halbdunkel, wie mm unlängst aufdeckte.
Schauplatz des aktuellen Dramas ist die rund 100 Jahre alte Francotyp-Postalia mit etwa 1000 Beschäftigten, ein Produzent von Frankier- und Kuvertiermaschinen, das seinen Umsatz von gut 200 Mio. Euro mit allerlei Angeboten fälschungssicherer digitaler Kommunikation in die neue Zeit retten will. Der operative Gewinn liegt bei gut 20 Millionen Euro - keine Renditerakete, aber eine solide Transformationsstory, wie sie sich in Wirtschafts-Deutschland in diesen Tagen zu Hunderten abspielt. Elgeti hält über seine Obotritia Capital 28,01 Prozent und ist damit größter Aktionär.
Am Dienstag ist Hauptversammlung und Elgeti will seinen Vorstandschef Rüdiger Andreas Günther (62) auf offener Bühne aus dem Amt jagen - oder, wie es ein Beteiligter ausdrückt: "Die Exekution ist terminiert."
Eine solche Eskalation zwischen Großaktionär und Vorstandschef ist beispiellos in der deutschen Wirtschaft. Normalerweise wird in solchen Fällen rasch und leise eine Abfindung verhandelt - und der Top-Manager verlässt das Haus. Günther allerdings, ein erfahrener Manager, der unter anderem schon Infineon und Jenoptik als Finanzchef diente, macht gegenüber Vertrauten eine andere Logik auf: Aufsichtsratschef Klaus Röhrig (43) hatte ihm noch im Mai 2019 unter Absingen der üblichen Loblieder einen neuen Drei-Jahres-Vertrag gegeben. Und als Vorstandsvorsitzender sieht er sich, wie es das Aktiengesetz vorschreibt, dem Unternehmensinteresse verpflichtet – und nicht dem Interesse einzelner Großaktionäre.
Aus der Einladung zur Hauptversammlung lässt sich nur erahnen, wie Elgeti Günthers Widerstandswall brechen will – mit freundlicher Assistenz Röhrigs, mit 9,51 Prozent zweitgrößter Aktionär. Unter Punkt 13 hat Elgeti seinen Antrag aufnehmen lassen, Günther das Vertrauen zu entziehen. Begründung: Günther agiere intransparent, was gleich aus zwei Gründen komisch wirkt. Für einen Konzern von der Größe Francotyp-Postalias geht Günther geradezu verschwenderisch mit Informationen zum Verlauf der Geschäfte und des Umbaus um. Und Elgeti selbst ist mit seinen eigenen Geschäften bislang eher als Anwalt der Intransparenz aufgefallen.
Gleichzeitig soll die Hauptversammlung zwei neue Mitglieder in den dreiköpfigen Aufsichtsrat entsenden, in dem Röhrig weiter sitzen soll, darunter Lars Wittan (43). Der ist Chief Investment Officer bei Elgetis Obotritia und damit ein Lohnempfänger des Großaktionärs. Trotzdem bescheinigt Aufsichtsratschef Röhrig dem Mann, dass er "unabhängig" sei. Die Einschätzung könnte falscher nicht sein, für den weiteren Fortgang der Dinge ist sie aber möglicherweise entscheidend – wenn die Hauptversammlung Elgetis Misstrauensantrag gegen Vorstandschef Günther mehrheitlich zustimmt, wovon angesichts niedriger Präsenz auf dem Aktionärstreffen wohl auszugehen ist.
Insider rechnen damit, dass Elgeti und Röhrig danach folgende Dramaturgie vorsehen: Der neu gewählte Aufsichtsrat nimmt das Misstrauens-Votum zum Anlass, Günther nur wenige Stunden nach der Hauptversammlung aus dem Amt zu hieven. Dabei hilft, dass Wittan, einer von zwei neuen im dreiköpfigen Aufsichtsrat, als "unabhängig" und nicht als Gefolgsmann Elgetis eingestuft wurde – sonst hätten es Kläger möglicherweise allzu leicht, das Unternehmensinteresse verletzt zu sehen.
Danach soll Carsten Lind (55) übernehmen, den Röhrig am 1. Juni als Nachfolger Günthers und mit Elgetis Gnaden im Vorstand geparkt hatte – in der Hoffnung, Günther würde ein Abfindungsangebot annehmen: Lind sitzt dort seitdem mit einem geschätzten Jahresgehalt von rund 700 000 Euro und wartet auf Verwendung. Röhrig hatte ihn mit einem CEO-Vertrag ausgestattet, worauf der Däne auch unlängst vor Analysten hinwies, als die ihn fragten, was eigentlich sein Beitrag zum Erfolg des Unternehmens sei. Immerhin beteiligt er sich intern an Abstimmungen: Als der Vorstand sich zum Misstrauensantrag Elgetis verhalten sollte, stimmten alle dagegen, nur Lind – ein Profi für das Filetieren von Unternehmen - stimmte dafür.
Dass Aufsichtsratschef Röhrig einen Vorstand eingestellt hat, der monatelang ohne Arbeit ist, könnte ihm Klagen von Aktionären einbringen. Und auch dass die beiden Großaktionäre so eng gemeinsame Interessen verfolgen, hätte die Finanzaufsicht misstrauisch werden lassen können.
Hier allerdings hilft es Elgeti, dass es nicht so läuft wie im Fußball. Selbst für einen Drittligisten wie Hansa Rostock können sich Zehntausende erwärmen, für einen Hersteller von Frankiermaschinen dagegen ist die Fanbase zu gering.