Übernahmen Die neuen Herren aus China

Millionenkredit statt Jobabbau: Dietrich Eickhoff, Chef des Bielefelder Nähmaschinenherstellers Dürkopp Adler, hat mit den neuen Eignern aus China gute Erfahrungen gemacht
Foto: Christian Burkert für manager magazinChinesen steigen bei Daimler ein. Sinopec übernimmt BASF . Baosteel kauft ThyssenKrupp. So oder ähnlich könnten die Schlagzeilen von morgen oder übermorgen lauten. Denn immer mehr chinesische Unternehmen werden jenseits ihrere Grenzen aktiv und kaufen sich dort ein.
Derzeit sind es hierzulande noch nicht die Dax-Konzerne, die die Chinesen im Visier haben. Noch nicht. Sie schauen sich eher in der zweiten und dritten Liga um, kaufen da mal einen Mittelständler, steigen dort mal bei einem M-Dax-Unternehmen ein.
Sie sind die Vorboten einer Entwicklung, die unaufhaltbar ist. Chinesische Firmen - ob privat oder staatlich - werden bei deutschen Unternehmen einsteigen oder sie ganz übernehmen. Ihre Motive sind klar. Sie sind vor allem an zwei Dingen interessiert: Am technologischen Know-How, aber auch am europäischen Absatzmarkt, für den das große Deutschland ein gutes Sprungbrett ist.
Aber auch wir brauchen zunehmend die chinesischen Investoren, denn sie haben etwas, was hier im Westen nach der globalen Finanzkrise nicht mehr im Überfluss vorhanden ist: Kapital. Vor allem die großen chinesischen Staatskonzerne, die meist Monopolisten sind und ihre stattlichen Dividenden behalten dürfen, sitzen auf gigantischen Cash-Positionen. Dazu kommt der Staatsfonds China Investment Corporation (CIC), der mehrere Hundert Milliarden Euro in der Kasse hat und für diese weltweit nach Anlagemöglichkeiten sucht.
Was ändert sich unter chinesischer Führung? Vier Firmen berichten
Wir werden uns also - ob es uns passt oder nicht - an chinesische Eigner deutscher Firmen gewöhnen müssen. Aber wie werden sich die neuen Herren aufführen? Werden sie ihre deutsche Töchter anders führen, vielleicht strenger, straffer, autoritärer? Wie wird die Belegschaft auf die ungewohnten Besitzer aus dem fernen fremden China reagieren?
Antworten auf diese Fragen kann man heute schon finden - und zwar bei den Unternehmen, die bereits im Besitz von Chinesen sind. manager magazin hat sich in solchen Firmen umgesehen und mit Management sowie Belegschaft über ihre Erfahrungen mit den Besitzern aus Fernost gesprochen.
Heraus kam ein Bild, das etwas anders aussieht als jenes, das viele hier gemeinhin von den chinesischen Aufkäufern zeichnen. Sie bauen hierzulande nicht alles ab, um es 8000 Kilometer weiter im Osten wieder aufzubauen. Sie sind nicht nur scharf auf die Patente. Sie fallen nicht mit Heerscharen in die Büros und Fabrikhallen ihrer deutschen Unternehmen ein, um dort alles zu dominieren. Sie schicken keine Aufpasser zu ihren deutschen Töchtern, die permanent ihr deutsches Management überwachen und trietzen. Und sie suchen nicht nur den kurzfristigen Erfolg, sondern sind an einem langfristigen Engagement interessiert.
"Ach du dickes Ei - jetzt kommen die Chinesen"
Die Chinesen haben zweifelsohne aus den Fehlern gelernt, die sie bei ihren ersten Übernahmen im Westen vor rund zehn Jahren gemacht haben. Sie sind inzwischen viel besser vorbereitet, und sie gehen professioneller vor. Viele Manager haben einen MBA und sprechen passables Englisch.
Das heißt freilich nicht, dass die west-östliche Zusammenarbeit auf deutschen Vorstandsetagen friktionsfrei abläuft. Chinas Manager kommen aus einem anderen Kulturkreis und einem anderen System, das viele als ein staatskapitalistisches titulieren. Staat und Partei lenken, die Manager - zumindest die in den Staatsunternehmen - führen aus. Oft muss bei wichtigen Entscheidungen das politische OK eingeholt werden.
Wie Staat und Partei sind auch die Unternehmen sehr hierarchisch strukturiert. Ganz oben - und das ist nicht das Vorstandskollektiv, sondern allein der Boss - wird entschieden. Dabei gehen die Chinesen meist sehr pragmatisch vor. Sie tasten sich nach dem trial-and-error-Prinzip nach vorne. Chinesische Improvierkunst trifft auf deutschen Ingenieursperfektionismus. Das kann zu Spannungen führen - oder auch zu einer fruchtbaren Symbiose.
Was dabei herauskommt, und wie man mit und unter chinesischen Besitzern managen kann, wollen wir an vier Beispielen aufzeigen. Den Anfang macht heute der Nähmaschinenhersteller Dürkopp Adler in Bielefeld.
Chinesen statt Franken: Wie Dürkopp Adler zu SGSB flüchtete
1984 war Dietrich Eickhoff zum erstenmal in China. In Hohot in der Inneren Mongolei, damals ein Ort eher dem Mittelalter nahe als der Neuzeit. Nach diesem Besuch in der unwirtlichen Steppenstadt schwor sich Eickhoff: "Nie mehr fahre ich nach China."
Heute - fast 30 Jahre später - steigt Eickhoff fast jeden zweiten Monat ins Flugzeug, um nach Shanghai zu fliegen. Seine China-Phobie ist gewichen. Er hatte auch keine andere Wahl. Denn Eickhoff ist Chef eines Unternehmens, das Chinesen gehört. Der 55jährige Eickhoff ist Sprecher des Vorstands der Dürkopp Adler AG, ein Traditionsunternehmen, das seit über 150 Jahren Nähmaschinen herstellt, in seinen Anfängen für die Textilindustrie, heute überwiegend für die Autozulieferindustrie.
Lange Zeit gehörte Dürkopp Adler (Umsatz 2012: 97 Millionen Euro, 1220 Beschäftigte) auch einem Zulieferer, der FAG Kugelfischer, damals schon im Besitz der Schaeffler-Gruppe aus Herzogenaurach. Doch diese betrachtete das Unternehmen am Rande Bielefelds eher als ein fünftes Rad am Wagen. Sie wollte die dauerkriselnde Dürkopp Adler loswerden, fand aber lange Zeit keinen Käufer.
Bis sich das Management in Bielefeld selbst einen suchte und schließlich in Shanghai fündig wurde: die SGSB Group.
Eickhoff war damals schon in die Gespräche, die 2003 begannen, involviert. "Sie waren zäh", sagt er. SGSB war ein staatliches Unternehmen, das sich immer wieder bei den behörden rückversichern musste. Doch Mitte 2005 konnte der Verkauf an die SGSB endlich vermeldet werden. Für die Mitarbeiter in Ostwestfalen war das ein Kulturschock - Chinesen statt Franken. An die erste Reaktion der Belegschaft erinnert sich Eickhoff noch ganz genau: "Ach du dickes Ei, jetzt kommen die Chinesen."
Yang Liu statt Mao-Bibel - warum SGSB auch in schwerer Zeit Kredite gab
Um zumindest auf den oberen Etagen die Furcht vor dem Fremden etwas abzumildern und Verständnis für die Chinesen zu wecken, verteilte dort Eickhoff rund 40 Ausgaben eines kleinen roten Büchleins. Nein, nicht die Mao-Bibel, sondern das kluge Werk der in Berlin lebenden Designerin Yang Liu, die dort in witzigen Piktogrammen sehr anschaulich die Unterschiede zwischen China und dem Westen illustriert hat.
Doch in der Belegschaft ging die Angst um. Sie verstärkte sich noch 2009, als es nach der Finanzkrise, die auch die Autobranche schwer beutelte, Dürkopp-Adler richtig dreckig ging. Die Chinesen hätten damals den Laden dicht machen können. Fast jeder hätte diesen Schritt in der damaligen Situation verstehen können. Doch die Chinesen taten es nicht.
Im Gegenteil: Sie verzichteten auf einen Großteil ihrer Forderungen (SGSB hatte beim Kauf von Dürkopp Adler 12 Millionen Kredit gegeben). Und zudem überwiesen sie weitere 13 Millionen Euro nach Bielefeld, um das Unternehmen zu retten. Heute steht Dürkopp Adler wieder ganz passabel da.
Dieses finanzielle Engagement war der Wendepunkt. "Das hat auch den letzten Mitarbeiter überzeugt", sagt Eickhoff. Zwar haben auch schon vorher die SGSB-Manager, allen voran Aufsichtsratschef Min Zhang, immer wieder Treueschwüre auf den Standort Bielefeld abgegeben. Aber man glaubte ihm nicht so recht, tat seine Bekundungen als Lippenbekenntnisse ab.
Zwei Mitarbeiterinnen kommen aus China
Doch nach den Millionen, die das Unternehmen letztendlich rettete, revidierten die Mitarbeuter ihre Meinung. Sie haben eingesehen: Die Chinesen sind gekommen, um zu bleiben. Und sie haben nicht die Macht übernommen. Lediglich die Finanzchefin, Ying Zheng, ist Chinesin. Mit ihr teilt Eickhoff ein Doppelsekretariat, in dem mit Xingwen Liu ebenfalls eine Chinesin sitzt. Sie kam bereits 2002 zum Studieren nach Bielefeld, ist inzwischen mit einem Deutschen verheiratet und spricht Deutsch, Englisch und Chinesisch.
Außer diesen beiden Frauen gibt es keine chinesischen Mitarbeiter. Nichts deutet auf chinesische Eigner hin. Keine rote Fahne vor den Werkstoren, keine chinesischen Devotionalien auf den Fluren oder in Eickhoffs Büro.
Eickhoff ist der Verbindungsmann nach China. Sein Ansprechpartner ist Min Zhang, sein Aufsichtsratschef, der gleichzeitig auch Vorstandschef der SGSB-Gruppe und damit der entscheidende Mann ist. Sein Wort gilt - in Shanghai wie in Bielefeld. "Ich unterhalte mich sehr intensiv mit ihm", sagt Eickhoff. Drei- bis viermal im Jahr ist Zhang in Bielefeld. Dazwischen wird per Telefon oder Email kommuniziert - auf Englisch.
Arbeitsteilung: High-Tech in Deutschland, Massenware in China
Die strategische Ausrichtung von Mutter und Tochter muss nicht mehr diskutiert werden. Sie ist nach all den Jahren der Zusammenarbeit klar definiert. Es hat sich längst eine Arbeitsteilung eingependelt. In Deutschland werden die teuren High-Tech-Maschinen, die im Schnitt 7000 Euro kosten, produziert. In China hingegen die günstige Massenware, deren Durchschnittspreis bei rund 250 Euro liegt.
Inzwischen verkauft dürkopp Adler auch die teuren Maschinen in China, denn die immer besser werdende Textilindustrie dort verlangt nach ihnen und ist bereit, den entsprechenden Preis zu bezahlen.
Durch die SGSB hat Dürkopp Adler Zugang zu diesen neuen Kunden in China gefunden. "Wir haben gute Kontakte durch die Mutter bekommen," sagt Eickhoff.
Nicht nur deshalb reist Eickhoff heute - 30 Jahre nach seiner ersten Negativ-Erfahrung - ganz entspannt und gerne nach China. Und er freut sich dort sogar auf sein Lieblingsessen: Wan-Tan-Suppe.
