SMS-Chef Weiss "Die Euro-Krise wird nur verschleppt statt gelöst"

Die Unternehmen in Deutschland bereiten sich auf die nächste Rezession vor. Industrieveteran Heinrich Weiss, Vorstandsvorsitzender des Anlagenbauers SMS, erklärt, für wie kritisch er die aktuelle Konstellation hält.
Zweistrang-Brammengießanlage der Düsseldorfer SMS Group: Der aktuelle Abschwung im Maschinen- und Anlagenbau gibt Anlass zur Sorge

Zweistrang-Brammengießanlage der Düsseldorfer SMS Group: Der aktuelle Abschwung im Maschinen- und Anlagenbau gibt Anlass zur Sorge

Foto: DPA

mm: Herr Weiss, Sie sind seit 40 Jahren Unternehmer und haben schon viele Auf- und Abschwünge der Industriekonjunktur erlebt. Warum bereitet Ihnen der aktuelle Abschwung besondere Sorgen?

Weiss: Der Auftragseingang im Maschinen- und Anlagenbau unterliegt einer regelmäßigen Schwingung, alle zwei bis drei Jahre geht es auf und ab. Vom Zyklus her ist also nach einigen guten Jahren ein Abschwung fällig. Aber ich fürchte, dieser wird tiefer sein und länger dauern als wir das bisher gewohnt sind.

mm: Warum sind Sie so pessimistisch?

Weiss: Wegen der Euro-Krise. Sie verstärkt den Abschwung. Weil wir bei der SMS Group mehr als 80 Prozent unserer Umsätze außerhalb der Euro-Zone machen, dachte ich noch zu Jahresbeginn, wir würden von den Problemen nicht so stark betroffen sein. Über den Sommer hat sich aber herausgestellt, dass unsere Kunden in der ganzen Welt zurückhaltender werden.

mm: Die SMS Group wird also mitbestraft für die Euro-Krise?

Weiss: Wenn Sie so wollen, ja. Viele Kunden möchten zwar bei uns bestellen, aber sie stellen ihre Projekte zunehmend zurück, weil die Schulden- und Währungskrise auf die anderen Weltregionen ausstrahlt. Ihre Sorge wächst, dass das Weltfinanzsystem als Ganzes infiziert wird, wenn die Krise noch länger dauert oder sich die Euro-Zone gar auflöst.

mm: Durch die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und den Europäischen Stabilitätsmechanismus hat sich die Lage zuletzt beruhigt.

Weiss: Mag sein. Und wenn ich nur Manager von SMS wäre, würde ich vielleicht sagen: Ok, die nächsten Jahre haben wir wohl Ruhe. Aber als Staatsbürger und Familienunternehmer bin ich überzeugt, dass diese Beruhigung nicht von Dauer sein wird - im Gegenteil: Es wird eher noch schlimmer werden.

mm: Warum das?

Weiss: Weil wir in eine Inflationsfalle laufen. Selbst Herr Jain, der Co-Chef der Deutschen Bank , hat kürzlich gesagt, es werde mehr Inflation geben, und Inflation ist das unsozialste, was es gibt. Wegen der bereits existierenden "Transferunion" ist außerdem heute schon sicher, dass der Lebensstandard in Deutschland nicht zu halten sein wird.

mm: Die letzte Wirtschaftskrise hat Deutschland doch viel besser überstanden als die meisten anderen Industrieländer.

Weiss: Das stimmt, aber die Euro-Krise wird doch nur verschleppt statt gelöst. Bei der gemeinsamen Währung hat die europäische Politik versagt: Erst bricht sie laufend das Recht, das sie selbst gemacht hat, und dann vergibt sie volkswirtschaftlich untragbare Milliardenkredite, für die unsere Kinder und Kindeskinder aufkommen müssen.

mm: Aber löste sich die Euro-Zone auf, wären die Folgen möglicherweise viel gravierender.

Weiss: Gutes Geld schlechtem hinterherwerfen, das machen eigentlich nur bereits überschuldete Geschäftsleute. Das ist verantwortungslos. Was etwa in Griechenland passiert, ist Insolvenzverschleppung. Bald werden die Bürger bei uns spüren, dass Wohlstand verloren geht - wegen des Transfers in unsere Nachbarländer und wegen bald zunehmender Inflation.

mm: Wenn die deutsche Wirtschaft in einen längeren Konjunkturabschwung gerät, welche Unterstützung erhoffen Sie sich dann von der Bundesregierung?

Weiss: Wie soll die Politik denn noch helfen? Sollen wir uns noch weiter verschulden mit Konjunkturprogrammen? Ich glaube, dass die Keynesianer langsam ausgedient haben. Konjunkturprogramme auf Pump sind das letzte, was wir uns leisten können. Dass wir es nicht mal in einer Zeit mit Rekordsteuereinnahmen schaffen, die Verschuldung zurückzufahren, halte ich für einen Skandal, auch wenn ich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble persönlich sehr schätze.

mm: In den vergangenen Jahren hat sich der Binnenkonsum für Deutschland zu einer Stütze des Wirtschaftswachstums entwickelt. Das halten Sie also nur für einen temporären Effekt?

Weiss: Der Konsumgütersektor wird mittelfristig schrumpfen, wenn der Wohlstand zurückgeht. Die aktuelle Stärke erklärt sich noch aus der Angst vor Inflation, deshalb investieren viele Menschen in langlebige Konsumgüter. Und schauen Sie auf den Immobilienmarkt: Die Leute fliehen in Substanzwerte. Deshalb wird Deutschland in Zukunft eher noch stärker auf eine starke Exportwirtschaft angewiesen sein als früher, wenn wir unseren Wohlstand verteidigen wollen.

"Wir müssen an der Spitze unserer Branche bleiben"

mm: Wie verteidigen Sie die Quelle Ihres eigenen Wohlstandes, Ihr Unternehmen?

Weiss: Indem wir bei SMS drei Dinge tun: Als Anlagenbauer müssen wir an der Spitze unserer Branche bleiben. Weiterhin müssen wir die konservative Finanzpolitik beibehalten, damit wir in einer längeren Krise auch einmal von den Reserven leben können.

mm: Und drittens?

Weiss: Drittens stellen wir uns auf Inflation ein. Von unserer recht hohen Liquidität betrachten wir die Hälfte als geschäftsbedingt durchlaufenden Posten, aber die andere als nicht entnommenen Gewinn der Gesellschafter. Diesen Teil unserer freien Liquidität investieren wir in industrielle Substanz. Wir haben gerade für einen erheblichen Betrag die Beteiligung am Hochofenbauer Paul Wurth gekauft. Alle Inflationszeiten haben gezeigt, dass diejenigen, die ihr Geld in Substanz investiert hatten, in gut geführte Firmen etwa, geringere Verluste hatten als andere.

mm: Sie bereiten also Ihr Unternehmen schon auf eine Inflation vor, indem Sie versuchen, die Hälfte des SMS-Liquiditätspolsters von gut zwei Milliarden Euro in Sachwerte zu investieren?

Weiss: Ich habe bewusst bereits vor zwei Jahren die Losung ausgegeben, dass wir nun verstärkt nach Firmen Ausschau halten wollen, an denen wir uns beteiligen können. Die müssen natürlich strategisch zu uns passen, aber die Sorge vor Inflation kommt als zusätzliches Motiv hinzu.

mm: Unternehmenslenker wie Klaus Engel von Evonik oder Wolfgang Reitzle von Linde  sagen, es sei noch nie schwerer gewesen, Industriekonzerne zu leiten, weil die Volatilität enorm zugenommen hat. Sehen Sie das ähnlich?

Weiss: Wir haben heute eine Weltkonjunktur. Alle Regionen hängen wirtschaftlich sehr eng zusammen, deshalb geht es heute auf der ganzen Welt in etwa gleich gut oder gleich schlecht.

mm: Sie bedauern die Globalisierung?

Weiss: Natürlich nicht, aber für ein Unternehmen wie SMS bedeutet sie, dass wir keine geographische Risikostreuung mehr haben. Als ich Anfang der 70er Jahre anfing, war unser Produktportfolio - Walzwerke und Gießanlagen für die Stahlindustrie - eigentlich zu eng. Wir hingen vollständig von der Stahlkonjunktur ab, das war riskant. Aber wir hatten die geographische Risikostreuung: Erst investierten in den 70er-Jahren Lateinamerika und Osteuropa in ihre Stahlwerke, dann kamen Anfang der 80er Jahre China und die Sowjetunion, danach Nordamerika. Irgendwo gingen die Geschäfte immer gut, das gilt heute leider nicht mehr.

mm: Welche Erwartungen haben Sie bei der SMS für die kommenden zwölf Monate?

Weiss: Aktuell sind wir teilweise noch überlastet und arbeiten mit Überstunden. Ab Frühjahr 2013 wird die Auslastung nach heutigem Auftragseingang aber sinken. Wir bereiten bereits unsere Betriebsräte darauf vor, dass wir im nächsten Jahr vielleicht Kurzarbeit anmelden müssen.

mm: Wie entwickelt sich der Auftragsbestand der SMS?

Weiss: Wir hatten für 2012 mit Auftragseingängen von 3,3 bis 3,4 Milliarden Euro geplant. Das haben wir nun zurück genommen auf drei Milliarden Euro, also so viel wie im vergangenen Jahr. Aber 2011 war kein besonders starkes Jahr. Die SMS Group braucht einen Auftragseingang von 3,5 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr zur Vollbeschäftigung. Mit unserer neuen Beteiligung Paul Wurth kommen noch einmal 500 Millionen Euro Auftragsvolumen dazu. Wir liegen also jetzt an der unteren Grenze.

mm: Und welches Auftragsvolumen erwarten Sie für 2013?

Weiss: Einen genauen Ausblick kann ich noch nicht geben, dafür ist die Lage zu unsicher. Aber für 2013 sind wir pessimistisch, weil sich viele große Projekte verschieben.

mm: Sie haben bereits vor drei Jahren dafür plädiert, die Universalbanken aufzuspalten. Nun wird das wieder sehr intensiv diskutiert - etwa von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Fühlen Sie sich bestätigt?

Weiss: Ich bin absolut der Meinung, dass wir ein Trennbankensystem einführen sollten. Für die Großbanken könnte das ein Holdingmodell sein, in das ein Sperrriegel eingebaut wird, damit Verluste der Investmentbank nicht die Geschäftsbank oder den Steuerzahler belasten können. Investmentbanken sind ja zum großen Teil Spielbanken, und diese werden auch staatlich streng kontrolliert.

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