Siemens Nokia Networks "Dieser Standort wird verteidigt"

Hier werden bald Büros frei: NSN will den Standort München schließen
Foto: ? Michaela Rehle / Reuters/ REUTERSMünchen - "Dieser Standort wird verteidigt", prangt es an den Bürotüren von Nokia Siemens Networks (NSN) in München. "Wir möchten, dass Ihr hierbleibt", so solidarisieren sich die Siemens-Beschäftigten aus der Nachbarschaft. "Improvement required", diese unternehmensinterne Ansage an Mitarbeiter, die sich mehr anstrengen sollen, münzt die Belegschaft in München jetzt um auf ihren Boss im fernen Finnland: Rajeev Suri.
Mit den paar hundert Demonstranten ist das noch keine Revolution. Doch die anhaltenden Proteste gegen die Schließung des großen Münchner-Standorts der Tochter NSN könnten sich für den Siemens-Konzern zu einem lästigen Image-Problem entwickeln.
Nicht nur, weil NSN seit Gründung 2007 rund 6 Milliarden Euro an Verlusten aufgehäuft hat, sondern weil die Mitarbeiter sich jetzt auf üble Weise abserviert fühlen.
Die Giesinger St.-Martin-Straße, das sind zweckmäßige Bürobauten in einem gesichtlosen Teil der Stadt. Das Ambiente erinnert dennoch an den großen Elektrokonzern, Siemens, als er sich noch mit Telefonen und Datenleitungen beschäftigte, bevor dann die Sparte Com zerschlagen und verkauft wurde. Erinnerungen an die Blamage mit BenQ Mobile werden wach, als Siemens die Mobiltelefonsparte mit Mitgift nach Taiwan verschenkte und dennoch die Insolvenz der Tochter im Jahr 2006 hinnehmen musste - was 3000 Beschäftigten in Deutschland den Job kostete.
Erinnerungen an BenQ und Kampf um Arbeitnehmerrechte
Obwohl der Fall NSN nicht wirklich mit BenQ vergleichbar sei, wie sogar IG Metaller aus dem Siemens-Aufsichtsrat zugeben. Während der Verkauf an BenQ ein Hasardeur-Stück war, gilt die 2007 beschlossene Zusammenarbeit von Siemens mit Nokia in einem 50:50 Joint Venture trotz aller Verluste und Schwierigkeiten strategisch immer noch als nachvollziehbar.
In saniertem Zustand könnte NSN irgendwann sogar per Spin-off an der Börse landen, sagte Siemens-Finanzchef Joe Kaeser vor zwei Wochen auf der Hauptversammlung.
Aber es geht nicht nur um Gefühle und Erinnerungen, sondern knallhart um Arbeitnehmerrechte: Will NSN über die Schließung des gesamten Standorts die Sozialauswahl umgehen, die sonst bei betriebsbedingten Kündigungen griffe? Will Siemens sich aus der Verantwortung stehlen mit dem Verweis, man habe zwar noch 50 Prozent an NSN, aber nicht mehr die unternehmerische Führung. Beides glaubt die IG Metall - und ziemlich unverhohlen auch die Bayerische Staatsregierung.
Die Gewerkschaft wittert die Chance für einen Machtkampf mit hohem Aufmerksamkeitswert - obwohl NSN in München ein typischer Angestellten-Standort ist (die Hälfte davon außertariflich) und der Organisationsgrad der IG Metall so gering, dass er als Betriebsgeheimnis gilt.
Doch die Gewerkschaft fordert die Beschäftigten jetzt auf, in die IG Metall einzutreten, organisiert eine Mahnwache und Menschenkette nach der anderen und bereitet sich sogar darauf vor, einen Streik anzuzetteln, um einen günstigen Sozialtarifvertrag durchzusetzen. Der käme NSN dann wohl so teuer, dass eine Schließung sich nicht mehr rechnen würde, meint Michael Leppek, 2. Bevollmächtigte der IG Metall München.
Wirtschaftsminister düpiert
Leppek prescht hier zunächst auf eigenes Risiko vor. Doch der Bezirksleiter für Bayern Jürgen Wechsler betrachtet es mit Wohlwollen, wie er am Freitag durchblicken ließ: "Siemens ist nicht überall Gewerkschaftsland", sagte er vor Journalisten und verwies auf das jahrelange Bemühen des Siemens-Managements, sich mit der AUB eine unternehmerfreundliche Alternativgewerkschaft heranzuziehen.
Jetzt soll die IG Metall wieder einmal zeigen, dass sie gebraucht wird. Mit dem obersten IG-Metall-Chef Berthold Huber dürften die Aktionen abgesprochen sein, sitzt er doch, anders als seine Vorgänger, persönlich im Siemens-Aufsichtsrat.
Dass in Bayern nächstes Jahr Landtagswahl ist und sich alle längst in Position bringen, könnte der IG Metall-Kampagne nützen. Aufhorchen ließ, wie sogar der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) lospolterte, als er von der Standortschließung erfuhr.
Hatte er sich jüngst bei der Manroland-Pleite in Augsburg, wo Allianz und MAN in der Schusslinie standen, eher zurückgehalten, zeigte er sich vergangene Woche geradezu entsetzt über die Härte, mit der NSN vorgeht. Mehrere Gespräche des Ministers auch mit dem Siemens-Management auf höchster Ebene hatten nichts geändert. Zeil fühlte sich offenbar düpiert.
Entlassung per Email
In keiner Weise nachvollziehbar sei die Entscheidung, sagte der FDP-Minister. Die Schließung des Münchner Standorts sei das "traurige Resultat einer missglückten Unternehmensstrategie und klarer Managementfehler, für die langjährige Mitarbeiter nun den Kopf hinhalten müssen". Zeil sagte: "Wir fordern jetzt NSN und vor allem seine Gesellschafter auf, eine tragfähige Kompensationslösung für Bayern zu finden". Er erwarte, dass Siemens möglichst viele NSN-Mitarbeiter übernehme. Das sollte gerade angesichts des Fachkräftemangels in München möglich sein, meint er.
Stilfragen werden diskutiert. Denn die Nachricht über die Schließung bekamen die Münchner NSN-Mitarbeiter per Email pünktlich zur Mittagspause. Dienstag vor einer Woche war das. NSN erklärte, in Deutschland 2900 von 9100 Stellen zu streichen und darüber hinaus Unternehmensteile zu verkaufen. Von den 3600 Beschäftigten in München (Durchschnittsalter 49 Jahre) sollen 1500 an andere Standorte versetzt werden, der Rest soll gehen. Erst Stunden später gab es eine Betriebsversammlung.
IG-Metall-Mann Leppek findet das "unter aller Sau". Für die Informationsveranstaltung sei auch noch die Spreu vom Weizen getrennt worden: Die 1500, die bleiben dürften, seien per Bus in eine Konzerthalle gefahren worden, um sie gesondert zu informieren und beruhigen, berichtet Leppek. Ein NSN-Sprecher weist diese Darstellung zurück; es sei kein passender Raum verfügbar gewesen, um zu allen Mitarbeitern am selben Ort zu sprechen.
Kaeser sucht einen neuen Chef
Der Mann im Hintergrund ist Siemens-Finanzchef Joe Kaeser, der Siemens im Aufsichtsrat der Tochter NSN repräsentiert, zusammen mit den Siemens-Vorständen Peter Solmssen und Siegfried Russwurm. In dem paritätisch besetzten Aufsichtsrat, der seit einem Jahr keinen Nokia-Mann mehr, sondern den Externen Jesper Ovesen an der Spitze hat , kann Siemens jetzt ein Wort mehr mitreden.
Vorher aber - so der Vorwurf von IG Metall-Funktionär Leppek - habe Siemens fünf Jahre weggeschaut.
Dafür schaut Kaeser jetzt um so genauer hin. Mit Finanzvorstand Marco Schröter, vorher in gleicher Funktion bei Infineon, hat er vor einem Jahr in München einen Mann seines Vertrauens bei NSN installiert. Der im November 2011 verkündete radikale Umbau (Konzentration auf mobile Kommunikationsnetze, Abbau von 17.000 Arbeitsplätzen, 1 Milliarde Euro Kostensenkung bis 2013) trägt auch seine Handschrift.
Nicht ohne Grund demonstrierten die von IG Metall mobilisierten NSN-Beschäftigten am 24. Januar 2012 am Eingang zur Siemens-Hauptversammlung vor der Münchner Olympiahalle - damals noch ahnungslos, dass München genau eine Woche später die Ansage zum Zusperren bekommt.
Nur noch fünf Standorte in Deutschland
Nun wird auch Marco Schröter umziehen müssen, werde aber nicht in die NSN-Zentrale in Espoo bei Helsinki gehen, sondern in Deutschland bleiben, wie ein Sprecher sagte.
Die Gespräche mit den Betriebsräten laufen schon. Verhandlungen über Auflösungsverträge oder die Versetzung in Transfergesellschaften, das sind die üblichen Instrumente in solchen Fällen. Bis Ende dieses Jahres soll der Stellenabbau durch sein. In Deutschland behält NSN nur noch die Standorte Bonn und Düsseldorf (dort sitzten die meisten Kunden), Ulm (Forschung), Berlin und Bruchsal (Fertigung).
Ob dieser Zuschnitt Bestand haben wird? Kaeser soll angeblich händeringend einen neuen Chef für NSN suchen, was aus dem Aufsichtsrat verlautete, bei Nokia aber als "absoluter Quatsch" bezeichnet wird.
Auch von Kaeser hat Rajeev Suri wohl den Stempel erhalten: "improvement required".