Im Blindflug
Philippe Bruggisser (51) frönt einem für Manager seines Schlags seltenen Sport: gar keinem. Strikt hält er sich an den Grundsatz Winston Churchills ("Ein Vorbild für mich"), der zu "no sports" riet. Sollen doch die anderen durch den Frühtau traben - Bruggisser hat genug damit zu tun, seinen verlorenen Millionen nachzulaufen.
Getrieben von Nationalstolz und Machtstreben, hat Bruggisser den Swissair-Konzern SAir Group durcheinandergewirbelt - und letztendlich in eine gefährliche Lage manövriert.
m Eine maßlose Expansion hat die Swissair - einst als Bank mit Flügeln gerühmt - in tiefe Verschuldung getrieben.
m Beteiligungen an maroden Airlines zehren an der Substanz.
m Stures Beharren auf Autonomie hat die Fluglinie in die Isolation geführt.
Noch wahrt Bruggisser - ein gewiefter Finanzexperte - den Schein. Gekaufte Gewinne, Verkauf von Tafelsilber und ein herzliches Verhältnis zu Verbindlichkeiten polieren die Bilanzen auf. Im allgemeinen Tief der Airline-Aktien fällt der Niedergang des SAir-Papiers nicht weiter auf. Und doch tritt die Malaise im Stammgeschäft immer deutlicher hervor.
Dabei geben selbst Konkurrenten und Widersacher dem Swissair-Lenker gute Kopfnoten. Gewiss, ein wenig dröge sei der Mann, "luftgetrocknet", wie ein Ex-Vorstand eines deutschen Wettbewerbers spöttelt.
An Fleiß und Führung jedoch gibt es nichts auszusetzen. "Ich habe noch nie einen CEO gesehen, der über die Details des Airline-Geschäfts so gut Bescheid weiß wie er", lobt Niki Lauda, Chef der österreichischen Fluglinie Lauda Air.
"Bruggisser meint es ehrlich", sagt der Schweizer Publizist und Swiss- air-Kritiker Sepp Moser. "Aber genau das ist sein Problem."
Bruggisser hat sich einer Mission verschrieben, die verwegen erscheint, wenn nicht gar aussichtslos. Aus eigener Kraft soll es die kleine Swissair im internationalen Fluggeschäft mit den Luftfahrtriesen aus aller Welt aufnehmen.
Die Zeiten indes, da auch kleine Fluggesellschaften gut leben konnten, weil schon das Hoheitszeichen auf der Heckflosse Pfründen garantierte, sind vorbei. Seit in der Flugbranche Marktgesetze gelten - in Europa seit Ende der 80er Jahre -, herrscht ein rabiater Verdrängungskampf.
Bei der Swissair schlug der Zeitenwandel erstmals 1990 durch. Die Dividende musste ausfallen, das hatte es seit 1961 nicht mehr gegeben.
Der damalige Chef Otto Loepfe suchte internationalen Beistand und knüpfte vorsichtig kleine Kooperationen.
Gern wäre er weiter gegangen und hätte sein Unternehmen in einem europäischen Joint-Venture untergebracht. Anfang 1993 schienen Swissair, die österreichische Austrian Airlines (AUA), die skandinavische SAS und die niederländische KLM einig, sich zu "Alcazar" zu vereinen - unter "sinnvoller Wahrung der Identität", wie es beruhigend hieß.
Die Beschwichtigung war wohl nicht stark genug. Das Projekt scheiterte, unter anderem deshalb, weil die Schweizer Regierung das Vorhaben ablehnte. Auch im Management hatte Alcazar viele Gegner. Philippe Bruggisser soll zu ihnen gezählt haben.
Als Bruggisser Anfang 1996 zum Chief Operating Officer aufrückte, ein Jahr später dann zum Chief Executive Officer und Präsidenten, eilte ihm ein widersprüchlicher Ruf voraus. Einerseits galt der Zahlenmensch als Kostenkiller.
1990 hatte er das Rationalisierungsprogramm Move eingeführt und hunderte Entlassungen durchgesetzt, bei der Swissair bis dahin undenkbar. Zum anderen hatte er als Chef der Swissair Beteiligungen AG ungewöhnlichen Vorwärtsdrang demonstriert und zum Erstaunen vieler expandiert.
Im Amt des Konzernlenkers hat klar sein zweites Talent obsiegt.
Bruggisser kauft und kauft und kauft.
Seit 1995 hat die Swissair rund 7 Milliarden Franken (8,4 Milliarden Mark) in Zukäufe investiert. Der Umsatz ist seitdem von gut 7 auf über 12 Milliarden Franken geschnellt.
Bruggisser hat das Unternehmen völlig umgekrempelt. Dem Modell der Deutschen Lufthansa ähnlich, verwandelte er den Konzern in ein Luftfahrtkonglomerat. Alle Tätigkeiten außerhalb der klassischen Passagierluftfahrt, von der Wartung bis zur Bordverpflegung, brachte er in eigenständige Gesellschaften ein - und päppelte sie nach Kräften.
So gebietet die SAir Group, wie der Konzern heute heißt, mit Gate Gourmet inzwischen über den zweitgrößten Cateringanbieter der Welt, nur geschlagen von der Lufthansa-Tochter LSG Sky Chefs. Der Aufstieg war - wie stets bei der SAir Group - nicht billig. 1,2 Milliarden Franken zahlte Bruggisser für den US-Caterer Dobbs - mindestens 200 Millionen zu viel, wie Kenner meinen.
Das Stammgeschäft ist darüber fast zur Restgröße verkommen. Nur noch etwa die Hälfte des Konzernumsatzes und ein Drittel des Gewinns stammen aus der Passagierluftfahrt.
Der Konzernlenker lobt seine Strategie. "Unsere starken Aktivitäten außerhalb der reinen Luftfahrt machen uns unabhängiger von den zyklischen Schwankungen in der Airline-Branche", sagt er frohgemut.
Kritiker hingegen wittern in der ungewöhnlichen Extratour abseits des Kerngeschäfts ein bedenkliches Indiz: In der Fliegerei fehlt der Swiss- air noch immer das Rezept zum Überleben.
"Die Positionierung der SAir Group in der Luftfahrt wirkt unklar", moniert Christian Obst, Airline-Analyst bei der HypoVereinsbank. Trotz vieler Beteiligungen sei das Unternehmen strategisch kaum vorangekommen.
Bruggisser hat seiner Flugsparte SAir Lines eine hakelige Haltung verordnet. Für einen Rückzug in die Nische sind sich die Schweizer nach wie vor zu schade. Den Usancen des globalen Geschäfts wollen sie sich aber auch nicht beugen.
Global fliegen, das heißt seit Mitte der 90er Jahre: in Allianzen fliegen. Strategische Bündnisse wie die Star Alliance rund um United Airlines und Lufthansa nutzen Synergien auf gemeinsamen Strecken. Sie binden Kunden mit abgestimmten Flugplänen, verzahntem Service und gemeinsamen Bonusprogrammen.
Auf Kapitalverflechtung verzichten die Allianzpartner in der Regel. Genau das ist dem SAir-Piloten nicht geheuer. "Allianzen sind völlig volatil", sagt er abschätzig. "Jederzeit kann ein Partner gehen und Adieu sagen." Noch mehr fürchtet er die Übermacht der großen Allianz-Airlines. "Wir wollen kein Juniorpartner eines großen Wettbewerbers werden", blafft Bruggisser. Allianzen kommen nicht in Frage.
Also kauft sich der SAir-Lenker ein eigenes Bündnis zusammen, koste es, was es wolle. Zu "Liebhaberpreisen", wie ein deutscher Wettbewerber meint, ersteht er Airline-Beteiligungen: Mehr als 200 Millionen Franken für 49 Prozent der verlustreichen französischen AOM, 285 Millionen Franken für 37,6 Prozent der polnischen Lot, 366 Millionen Franken für 20 Prozent von South African Airways und viele mehr.
Großeinkäufer Bruggisser hält sich für einen Pionier. "In Zukunft werden Beteiligungsgeflechte in der Luftfahrt selbstverständlich sein", orakelt er. Allein die rechtlichen Beschränkungen hätten Fusionen in der Branche bislang verhindert.
"Die Beschränkungen werden fallen", sagt Bruggisser, "wahrscheinlich schneller, als viele glauben." Und dann habe er schon überall einen Fuß in der Tür.
Der SAir-Chef mag seiner Zeit voraus sein - es nutzt ihm bloß wenig. Die Wartezeit bis zum freien Schacher verbringt er ausgesprochen unbequem.
Denn was Bruggisser zum Kaufen findet, gilt fast durchweg als zweit- oder drittklassig. In der Swissair-Formation "Qualiflyer" fliegen Airlines, die hartnäckige Verluste und einen miserablen Ruf mitbringen - ob TAP Air Portugalia, die französische Air Littoral oder Turkish Airlines. Nur drei der damals 17 Qualiflyer haben im ersten Halbjahr 1999 schwarze Zahlen geschrieben.
Zur energischen Sanierung fehlt Swissair wegen des Minderheitsstatus der unternehmerische Durchgriff. Nicht einmal bei der belgischen Sabena, seit 1995 zu 49,5 Prozent in Eidgenossen-Hand, gelang eine überzeugende Wende.
Auch strategisch bringen die Beteiligungen den Swissair-Konzern kaum weiter. Trotz eines 20-Prozent-Anteils der Schweizer an South African Airways (SAA) kooperieren die Südafrikaner weiter intensiv mit den angestammten Partnern Lufthansa und British Airways.
Bruggisser gibt sich gelassen. Er kann flexibel argumentieren und deklariert die mit Verlust arbeitenden Südafrikaner kurzerhand zur Finanzbeteiligung um. "Als Shareholder sind wir am Wohl der South African Airways interessiert", sagt er, "da wäre es falsch, auf Exklusivität zu pochen."
Vor allem aber verprellen die Schweizer mit Platzhirschgebaren die attraktiven Mitstreiter. Im vergangenen Jahr sagten sich gleich zwei wichtige Partner los. Erst lief der amerikanische Carrier Delta zu Air France über. Dann floh Austrian Airlines nach über 40 Jahren Zusammenarbeit zur Star Alliance.
Die Österreicher hatte Bruggisser vergrault, indem er hinterrücks und gegen den ausdrücklichen Willen des Managements versuchte, den 10-Prozent-Anteil an AUA auf 19 Prozent auf- zustocken. "Bruggisser will immer nur besitzen und beherrschen", grollt Niki Lauda, der als Chef der AUA-Toch- ter Lauda Air zum Bruch mit den Schweizern drängte, "aber so funktioniert das nicht unter Partnern."
Der Gescholtene setzt eine gleichgültige Miene auf. "Der Ausstieg von Delta und AUA ist bedauerlich, aber wir können ihn gut verkraften", sagt er kühl. Einen Ersatz hat er bis heute nicht gefunden.
Weder kann die jüngst vereinbarte Beteiligung an der polnischen Lot die Osteuropa-Expertise von Austrian Airlines ersetzen, noch vertritt der neue US-Partner American Airlines die verflossene Delta würdig.
Die Amerikaner nehmen die Schweizer nicht recht ernst. "Zur Bekanntgabe der Kooperation in Zürich haben sie noch nicht mal einen Hilfsbuchhalter geschickt", spottet Flugpublizist Moser. Intern witzelten die American-Leute über die Qualiflyer gern als "Cauliflower" (Blumenkohl).
Mehr als ein paar gemeinsame Flugnummern und den Austausch bei den Bonusmeilen darf die Swissair von American kaum erwarten.
Die unablässige Expansion hat tiefe Spuren in der Bilanz hinterlassen. Die einst sagenhafte Liquidität der Swissair ist aufgezehrt. Die Verschuldung erreicht mit 3,4 Milliarden Franken die Höhe des Eigenkapitals.
Neue Lasten drohen. Die Zinsen steigen wieder und damit auch der Schuldendienst. Der anziehende Kerosinpreis durchkreuzt trotz Sicherungsgeschäften die Kalkulation. Und die notleidenden Beteiligungen rutschen womöglich tiefer ins Elend.
Zum Beispiel LTU. Immer noch rätseln Branchenkenner, was Bruggisser bewog, 1998 mit 49,9 Prozent bei dem problembeladenen Düsseldorfer Ferienflieger einzusteigen. Ohne starke Reiseveranstalter im Rücken und ohne eigenes Vertriebsnetz gilt LTU schon länger als desperater Fall. Im vergangenen Jahr soll LTU rund 200 Millionen Mark Verlust eingeflogen haben.
Bruggisser wähnt sich sicher. Vom Verwaltungsrat hat er nichts zu befürchten, nicht einmal ernste Fragen, wann denn das viele Geld einmal zurückverdient wird. Das ehrwürdi- ge Gremium, dominiert von Schweizer Bankiers, gilt als behäbig, ja desinteressiert.
Darüber hinaus ist Bruggisser im Machtgefüge der Schweiz bestens arriviert. Als Oberstleutnant im Generalstab verfügt er über exzellente Beziehungen.
Rivalen in der Konzernspitze können ihm ebenfalls kaum gefährlich werden. Wichtige Positionen, wie die operative Führung der Flugsparte, hat er mit Ausländern besetzt, die ihrem Förderer völlig ergeben sind.
Doch Bruggisser sollte sich nicht allzu sehr in Sicherheit wiegen; das Unbehagen im Swissair-Reich wächst. Solidaritätsadressen fallen dürftig aus. "Ich weiß natürlich nicht, ob Bruggissers Strategie ein Erfolg wird", menetekelt Moritz Suter, Chef der florierenden SAir-Tochter Cross- air, "aber ich unterstütze ihn, wo ich kann, damit sie ein Erfolg wird."
Bei Fachleuten besteht Einigkeit: Ohne Anbindung an eine große Allianz kann SAir Group auf Dauer keinen Erfolg haben.
Aber findet Philippe Bruggisser, der "Oberbürokrat", wie ihn ein hoher Lufthansa-Manager tituliert, den Mut, mit seinen Geschäftsprinzipien zu brechen? Und mit wem soll er sich noch verbünden?
Viele Türen hat Bruggisser zugeschlagen. Vorsichtige Offerten der Star Alliance hat er brüsk zurückgewiesen. Ein Pakt mit Wings, dem Bündnis um Northwest und KLM, scheidet aus; KLM und die SAir-Tochter Sabena sind mit ihren Heimatflughäfen Amsterdam und Brüssel direkte Konkurrenten.
Undenkbar erscheint zudem ein Bündnis mit Air France/Delta. Die Schweizer und die Franzosen haben sich heillos in nationale Animositäten verstrickt.
Bleibt nur noch der Handschlag mit British Airways (BA) und dem Oneworld-Bündnis. Dort allerdings träfe Bruggisser mit BA-Chef Bob Ayling auf einen Manager, der ihm an Eigensinn mindestens ebenbürtig ist. Ein schönes Duo.
Michael Machatschke