Neue Aufsichtsräte für Waffenhersteller
Heckler & Koch kämpft mit Nazi-Schatten
Der Waffenhersteller Heckler & Koch beendet einen Machtkampf mit der Berufung neuer Aufsichtsräte. Überschattet werden die Personalien von einem Zeitungsbericht, der die Verstrickung des Firmengründers in Naziverbrechen enthüllt.
Sturmgewehr HK433 in der Oberndorfer Firmenzentrale von Heckler & Koch
Foto: Marijan Murat/dpa
Beim Waffenhersteller Heckler & Koch rücken ein ehemaliges Vorstandsmitglied eines Dax-Konzerns und ein pensionierter Spitzenbeamter in den Aufsichtsrat. Der H&K-Vorstand habe den Anwalt und langjährigen Rechtsvorstand des Dialysespezialisten Fresenius Medical Care, Rainer Runte (60), für das Kontrollgremium benannt, teilte die Firma am Montag in Oberndorf mit. Es fehlt noch die Zustimmung eines Gerichts, diese gilt als sehr wahrscheinlich. Runte soll Aufsichtsratsvorsitzender werden. Damit würde er Nachfolger des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Harald Kujat (78), der Ende August nach nur einem Jahr Amtszeit bei H&K zurückgetreten war.
Runte schied 2014 bei dem hessischen Dax-Konzern aus, danach war er unter anderem bei der Thyssenkrupp-Tochter Atlas Elektronik Generalbevollmächtigter. Aus dieser Tätigkeit kennt er den aktuellen H&K-Vorstandsvorsitzenden Jens Bodo Koch, der damals Geschäftsführer bei dem Bremer Hersteller von Sonarsystemen für U-Boote war.
Außerdem zieht Klaus-Dieter Fritsche aller Voraussicht nach in das Gremium der schwäbischen Waffenschmiede ein. Der 67-Jährige war vor seiner Pensionierung unter anderem neun Jahre lang Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und von 2009 bis 2014 Staatssekretär im Bundesinnenministerium.
Nach einem Machtkampf zwischen zwei Großaktionären hatte General Kujat im Sommer das Handtuch geworfen, seit Ende August war der Aufsichtsrat nur mit einem Mitglied besetzt und damit beschlussunfähig.
Nazi-Vergangenheit von Firmengründer enthüllt
Direkt der Zukunft zuwenden kann die Firma sich jedoch nicht. Denn der Gründer von Heckler & Koch ist einem Zeitungsbericht zufolge tief in Naziverbrechen verstrickt gewesen. Wie Recherchen der "Bild am Sonntag" ergaben, leitete der Ingenieur Edmund Heckler während der NS-Zeit unter anderem eine Panzerfaust-Fabrik im sächsischen Taucha, wo mehr als 1000 Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen schuften mussten und viele von ihnen starben. Die Zeitung beruft sich hierbei auf Dokumente aus verschiedenen Archiven in Deutschland, in denen Zeitzeugen von der grausamen Behandlung mit Todesfolgen berichten - es seien "immer wieder" Häftlinge erschlagen oder erschossen worden.
Das NSDAP-Mitglied Heckler floh nach dem Krieg in den Schwarzwald, wo er 1949 zusammen mit zwei anderen Ingenieuren das Unternehmen Heckler & Koch gründete. Er starb 1960. Die Firma ist heute der größte deutsche Hersteller von Handfeuerwaffen und langjähriger Lieferant der Bundeswehr. In einer Stellungnahme des Unternehmens heißt es, die Zeitzeugen-Berichte hätten große Betroffenheit ausgelöst. H&K will nun einen Experten beauftragen, dem Sachverhalt nachzugehen.
Erschütternd ist zudem ein von der "Bams" zitierter Brief aus der Zeit kurz nach Kriegsende, als Heckler noch in der Firma war - wenig später setzte er sich nach Westen ab. Auch nach Befreiung durch US-Soldaten blieben rund 50 kranke und abgemagerte Lagerinsassen zunächst in Taucha, wo sie Unterkunft und Essen brauchten. Der Bürgermeister der Stadt wandte sich an Heckler sowie dessen damalige Firma Hasag und wies auf die Notsituation der Menschen hin. Doch in seinem Antwortschreiben verweigerte Heckler Hilfe - es könne nicht Sache der Hasag sein, "die früher bei ihr eingesetzt gewesenen KZ-Häftlinge mit Kleidung usw. auszustatten".
"Unter dem Radar gesegelt"
Warum ist von Hecklers Nazi-Vergangenheit bisher nicht bekannt gewesen? Aus Sicht des Historikers Christopher Kopper nutzte ihm die Flucht in die französische Besatzungszone im Frühjahr 1945, wo die Entnazifizierung nicht so konsequent umgesetzt wurde wie in den amerikanisch oder sowjetisch besetzten Gebieten. Bei späteren Prozessen gegen die Hasag-Führungsriege geriet Heckler nicht in den Fokus, da seine Funktion eine Ebene unter dem Vorstand angesiedelt war und er somit "unter dem Radar segeln konnte", so der Bielefelder Professor. Bei der Entnazifizierung im Schwarzwald stuften die Franzosen Heckler nur als Mitläufer ein.
Im Licht der neuen Erkenntnisse sagt Kopper: "Heckler war als Betriebsführer für das Wohl und Wehe der sogenannten Gefolgschaft verantwortlich." Auf Unkenntnis hätte er sich nicht berufen können. "Er war schuldig und trug für das Leiden der Zwangsarbeiter Verantwortung", sagt der Historiker der dpa.
In einer Firmenchronik, die 1999 zum 50-jährigen Bestehen publiziert wurde, wird Hecklers Leben nur kurz beschrieben. Zu Verstrickungen in das NS-Unrecht ist nichts zu lesen. Der Historiker Kopper hält das Buch für unkritisch und lobhudelnd. Ein Sprecher von H&K betont hingegen, dass in der damaligen Firmenchronik "sachlich dargestellt ist, was damals über sie bekannt war".
Die deutsche Industrie war durch den Einsatz von Zwangsarbeitern tief in die Naziverbrechen verstrickt, ob Daimler, Volkswagen, BASF oder Bayer. Zahlreiche Firmen haben ihre Vergangenheit durch Historiker aufarbeiten lassen. Unlängst legte Continental eine Studie vor, die ein erschreckendes Bild zur Rolle der Firma in der Nazizeit ergab.
Vergangenheit der Mitgründer noch im Dunkeln
Während Edmund Heckler im NS-Reich bei der heute nicht mehr existierenden Hasag in Sachsen arbeitete, waren die H&K-Mitgründer Theodor Koch und Alex Seidel bei den Oberndorfer Mauser-Werken tätig. Auch diese Firma setzte Zwangsarbeiter ein. Zu möglichen Verstrickungen von Koch und Seidel in das Nazi-Unrechtsregime ist in der Firmenchronik von 1999 ebenso wenig zu lesen wie zu Heckler. Der Experte, den die Waffenschmiede beauftragen will, soll auch das Leben dieser beiden Ingenieure auf NS-Unrecht untersuchen.
Der Friedensaktivist und H&K-Kleinaktionär Jürgen Grässlin forderte die Umbenennung des Unternehmens. "Ein führender NS-Scherge darf in einer humanistisch geprägten Gesellschaft nicht Namenspatron sein", sagte der Sprecher von "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!".
H&K gehört seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr den Gründerfamilien. Es gab mehrere Eigentümerwechsel, seit kurzem hält eine Luxemburger Finanzholding die Mehrheit an dem 1000-Mitarbeiter-Unternehmen, das Pistolen, Sturmgewehre, Maschinengewehre und Granatwerfer herstellt und vor allem Nato-Staaten beliefert.