Start der Hannover Messe - rein digital Wie sich die Messe-Macher neu aufstellen

Erstmals findet die größte Industrieschau der Welt ausschließlich online statt. Das digitale Konzept hat gegenüber der klassischen Präsenzmesse durchaus Vorteile für die gesamte Branche.
Krise als Chance: Die Messebranche muss sich wegen der Corona-Krise neu erfinden

Krise als Chance: Die Messebranche muss sich wegen der Corona-Krise neu erfinden

Foto: Julian Stratenschulte / dpa

Zum ersten Mal in der über 70-jährigen Geschichte der Hannover Messe ist die größte und wichtigste Industriemesse der Welt im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie ausgefallen. Inzwischen hatte der Veranstalter, die Deutsche Messe AG, rund ein Jahr Zeit für eine Neuaufstellung der Branchenschau. Herausgekommen ist ein reines Digitalformat, das mit Onlinepräsentationen, Livestreams und einem neuen Vernetzungstool den Nachteilen der Onlinemesse entgegenzuwirken versucht.

Von diesem Montag an wollen 1800 Aussteller, darunter 600 aus Deutschland und 500 Neuaussteller, Kunden und Interessierten ihre Produkte präsentieren. Zum Vergleich: Bei der letzten analog stattfindenden Hannover Messe im Jahr 2019 meldeten sich noch rund 6000 Aussteller an. Dennoch erwartet Messe-Chef Jochen Köckler "viele Zehntausend Besucher, hoffentlich 100.000". Ob das klappt, wird sich spätestens am letzten Tag der Veranstaltung, am kommenden Freitag zeigen.

70 Prozent weniger Umsatz

Die Messebranche ist eine der Branchen, die besonders stark unter der Corona-Pandemie leidet. Von 360 geplanten Ausstellungen im vergangenen Jahr mussten mehr als 70 Prozent abgesagt werden, resümiert  Jörn Holtmeier, Geschäftsführer des Verbands der deutschen Messewirtschaft AUMA. Unter normalen Umständen liegt der Umsatz der Branche bei gut vier Milliarden Euro pro Jahr – in 2020 wurde gerade einmal eine Milliarde Euro erwirtschaftet.

Mit einer Entspannung der wirtschaftlichen Lage rechnet Holtmeier erst im zweiten Quartal 2021, wenn die Präsenzmessen aufgrund der fortschreitenden Impfkampagne wieder zunehmen können. Insgesamt geht der Geschäftsführer für dieses Jahr noch einmal von einem Minus von etwa 50 Prozent aus.

Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es Messen, Kongresse und Ausstellungen derzeit nur als digitale Experimente. Auch die weltweit führende Fachmesse der internationalen Tourismus-Wirtschaft, die ITB, hat im März dieses Jahres rein digital stattgefunden.

Der Veranstalter der Reisemesse zog eine positive Bilanz: "Wir sind sehr zufrieden, die von uns entwickelte Plattform hat funktioniert und mehr als 3500 Aussteller aus 120 Ländern waren dabei", resümierte Martin Ecknig, Chef der Messe Berlin, gegenüber dem "Tagesspiegel ". Zudem ist es Ecknig offenbar sogar gelungen, mit der digitalen ITB Geld zu verdienen: Dem Bericht zufolge hätten die Aussteller bis zu fünfstellige Gebühren akzeptiert.

IFA war ein Verlustgeschäft

Im vergangenen September, bei der ersten digitalen Funkausstellung, der IFA, war noch das Gegenteil der Fall: Für den Veranstalter - auch hier die Messe Berlin - war das Digitalangebot ein Verlustgeschäft. Groß sind daher die Hoffnungen für die diesjährige IFA, die dem Berliner Messechef zufolge wohl analog stattfinden kann. "Wenn jemand Besucherströme organisieren und Hygienekonzepte umsetzen kann, dann sind das die Messeveranstalter", sagte Ecknig dem Bericht zufolge. Mit Sensoren könne man genau erfassen und steuern, wie viele Menschen an welchem Ort sind.

Auch die Internationale Automobilausstellung IAA soll im September wieder vor Ort in München stattfinden. "In Anbetracht der positiven Entwicklungen im Bereich der Corona-Schutzimpfungen sowie der fachlichen Prognosen hinsichtlich eines signifikant abflachenden Infektionsgeschehens in den Sommermonaten wird die IAA als Präsenzveranstaltung stattfinden, teilte der Verband der Automobilindustrie, der die Messe ausrichtet, vor Kurzem mit .

Natürlich hängt der Erfolg einer digitalen Messe auch stark vom Thema ab. Für die Spieler-Community, die sich normalerweise in Köln zur Gamescom trifft, war der Schwenk zur Onlineveranstaltung ein Katzensprung. Rund zwei Millionen Menschen sahen sich die Eröffnungsshow vor ihren Bildschirmen an, 70 Prozent von ihnen schalteten sich aus dem Ausland zu – die bislang höchste Internationalisierung einer deutschen Messe. Allerdings war die Teilnahme an der Spielermesse auch kostenlos. Ein Fehler, wenn die Veranstalter auch über den digitalen Weg künftig Geld verdienen wollen.

Geringere Kosten

Um mit dem Onlinekonzept erfolgreich zu sein, müssen die Veranstalter vollkommen neue Formate mit Möglichkeiten zur Interaktion entwickeln. "Mit einem Konzept, das nur Vorträge aneinanderreiht, ist es nicht getan, sagte Klaus Dittrich, Geschäftsführer der Messe München, der "Süddeutschen Zeitung ". Kein Mensch setze sich schließlich zwei Tage von früh bis spät vor den Bildschirm und hört nur zu.

Für die Veranstalter hat das digitale Konzept natürlich auch Vorteile: Es lassen sich mehr Menschen erreichen – auch über die Landesgrenzen hinweg – und die Kosten sind geringer, da Sicherheit, Reinigung und Catering wegfallen. Zudem können sich die Aussteller über diese Plattform das ganze Jahr über präsentieren und nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Knackpunkt sind allerdings die bisher noch sehr geringen Umsätze bei den digitalen Events, die noch weit unter denen der analogen Veranstaltungen liegen.

Dennoch spricht vieles dafür, dass sich bei den Ausstellungen künftig die sogenannten "Hybridmessen" durchsetzen werden, also eine Kombination von Präsenzmessen mit einer Vielzahl an digitalen Ergänzungen. Somit kann das Beste aus beiden Bereichen miteinander vereint werden. Schließlich seien auch rein digitale Messen nicht die beste Lösung. "Viele Menschen sind müde, die Welt allein auf 15 Zoll reduziert zu sehen", glaubt Deutsche-Messe-Chef Köckler. Das Erlebnis des persönlichen Kontakts könne das Internet niemals ersetzen.

So kann die Krise auch als Chance zur Neuaufstellung genutzt werden.

mg
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