Transport auf der Straße Wie der Lkw-Verkehr zukunftsfähig werden kann

Die durchschnittliche Auslastung der Lkw, die täglich durch Europa rollen, liegt bei Direktverkehren häufig unter 50 Prozent. Digitale Lösungen und Künstliche Intelligenz können helfen, für vollere Ladungen zu sorgen – fünf Lösungsvorschläge aus der Praxis.
Ein Gastbeitrag von Bernhard Simon
Lkw-Stau auf der Autobahn: Der Güterverkehr auf der Straße wird bis 2050 noch deutlich zunehmen

Lkw-Stau auf der Autobahn: Der Güterverkehr auf der Straße wird bis 2050 noch deutlich zunehmen

Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance/dpa

Jedes Jahr transportieren knapp vier Millionen Lkw rund 1.900 Milliarden Tonnenkilometer über Europas Straßen. Diese Zahl ergibt sich, wenn man das Gewicht der transportierten Güter in Tonnen mit der Zahl der zurückgelegten Kilometer multipliziert. Sie zeigt an: Die Lkw-Verkehre sind weiterhin das Rückgrat unserer Industrie- und Konsumgesellschaft von Portugal bis zur Ukraine und dem Nordkap bis Sizilien.

Doch die Bedingungen dieser Transporte verschlechtern sich seit Jahren. Die Verkehrswege sind begrenzt und überfüllt, Teile der Gesellschaft in vielen europäischen Ländern wollen den weiteren Ausbau von Fernstraßen nicht, Regulatorik und Bürokratie machen es den Speditionen immer schwerer, ihren Aufgaben nachzukommen.

Dabei droht sich die Situation für Lkw-Verkehre in den kommenden Jahren weiter zu verschlechtern. Das Aufkommen im Güterverkehr auf der Straße soll laut einer aktuellen Prognose des Bundesverkehrsministeriums in Deutschland bis zur Mitte des Jahrhunderts um 54 Prozent zunehmen die ohnehin schon erheblichen Staus damit auch. Zusätzliche Durchfahrverbote in Ballungsräumen, Blockabfertigungen, tageszeitliche Schließungen von Fahrspuren und fehlende Baugenehmigungen für Logistikzentren werden die Effizienz der Transporte weiter schmälern, die Nerven strapazieren und die Kosten treiben.

Bernhard Simon
Foto: Dachser

Bernhard Simon ist Vorsitzender des Verwaltungsrats der Dachser SE. Dachser ist mit mehr als acht Milliarden Euro Umsatz und knapp 33.000 Mitarbeitern ein führendes Unternehmen in der europäischen Logistik.

Um den Kollaps zu verhindern, muss die Logistikbranche reagieren. Es sind in erster Linie neue Technologien, die Lösungen für die Engpässe versprechen. Diese spielen sich vor dem Hintergrund zweier Megatrends ab: Die Logistikkosten werden unter anderem auch wegen einer höheren CO2-Bepreisung und Mauten drastisch steigen. Jene Spediteure, die vor den massiven Investitionen zurückschrecken, die für Innovationen und Klimaschutz notwendig sind, werden mittelfristig um ihre Existenz kämpfen.

Die gute Nachricht: Es gibt eine ganze Reihe von Stellschrauben, um die deutschen und europäischen Güterverkehre in den kommenden Jahren zu verbessern. Zu den fünf wichtigsten Stellschrauben für einen zukunftsfänigen Lkw-Verkehr gehören die folgenden.

Kombiverkehre Straße-Schiene

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Anstrengungen, Güterverkehre auf die Bahn zu verlagern. Im großen Stil sind diese Versuche aber gescheitert. Kombiverkehre sind nicht trivial. Investitionen in ein dichtes Schienennetz sind erforderlich, in weiten Teilen muss dieses getrennt sein vom Netz für den Personenverkehr. Es bedarf mehr und leistungsfähigerer Umschlagsterminals und eines automatisierten Informationsaustausches, um die Effizienz und Zuverlässigkeit deutlich zu erhöhen.

Nur dann können Schiene und Straße gut zusammenspielen. Auch eine durchgängige Verfolgung der Container und der darin befindlichen Packstücke durch digitale Lösungen muss trotz der Schnittstellen garantiert werden. All das erfordert enorme Investitionen seitens der Bahn.

Telematik und Leitsysteme als mögliche Gamechanger

Die Verkehre können flüssiger gestaltet werden, wenn moderne Telematik eingesetzt wird. Diese Technologie ermöglicht es, immer genau zu wissen, wo sich Ladungen auf ihrem Weg gerade befinden, und gestattet deren bessere Steuerung. Dies ist eine Voraussetzung für schnelle und effiziente Lieferketten. Ohne Telematik werden Verkehrskapazitäten verschenkt.

Im Moment sind die Möglichkeiten, so meine Schätzung, europaweit nur zu rund einem Viertel ausgeschöpft. Insbesondere der Austausch der Daten über Unternehmensgrenzen hinweg stottert. Die Technologien für eine offene und zugleich sichere Weitergabe stehen noch nicht immer zur Verfügung. Leitsysteme auf den langen Strecken dürften helfen, Staus zu umfahren und bessere Lösungen für Ruhe- und Raststellen für Fahrer im Fernverkehr zu gewährleisten.

Bessere Nutzung der Lkw-Kapazitäten – viele Lkw transportieren Luft

Die durchschnittliche Auslastung der Lkw, die täglich durch Europa rollen, liegt bei Direktverkehren nicht selten bei nur 50 Prozent oder sogar darunter. Trotzdem scheint es bei diesen Transporten immer noch rentabler, Luft zu transportieren als für volle Ladungen zu sorgen. Hier muss es gelingen, die Auslastungen deutlich zu erhöhen. Dies wäre ein enormer ökologischer und ökonomischer Hebel, ohne einen einzigen Kilometer mehr fahren zu müssen.

Gelingen kann dies durch Ansätze der Sharing Economy, also das Teilen von Laderaum mit anderen. Auch fortschrittliche digitale Anwendungen können für eine bessere Verdichtungen im Laderaum mittels geometrisch besserer Beladung, klügeren und sicheren Verpackungen sowie optimierten Lkw-Ladegefäßen sorgen. Hieran wird intensiv geforscht, insbesondere die künstliche Intelligenz bietet neue Chancen der Optimierung. Genutzt werden sollten auch die Möglichkeiten, durch Lang-Lkw die Kapazitäten zu erhöhen.

Grüner Wasserstoff als Antriebslösung

Seit 2019 sorgt die EU mit einer Verordnung für Klarheit, was die Zukunft des Lkw-Antriebs betrifft. Die Hersteller von Nutzfahrzeugen fokussieren sich auf dieser Grundlage auf zwei Technologien: Zum einen den batterieelektrischen Lkw, der sich schon heute im städtischen Verkehr bewährt und künftig Verkehre von bis zu 500 km durchführen soll. Für Fernverkehre mit höheren Anforderungen an Reichweite und lange Betriebszeiten soll der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb den Diesel ablösen. Die Frage ist allerdings: Wann stehen diese Technologien bereit, um Europalogistik im großen Stil betreiben zu können?

Der Lkw-Markt in der EU steht vor einer seiner größten Transformationen hin zu Null-Emissionsfahrzeugen. Aber der dazu notwenige Hochlauf der Produktionskapazitäten und der Aufbau der Lade- und H2-Tankinfrastruktur wird noch einige Zeit benötigen. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts werden voraussichtlich die Grundlagen für die Transformation gelegt, damit in den 2030er Jahren der Hochlauf effizient stattfinden und wenn möglich in zwei Dekaden weitgehend abgeschlossen werden kann.

Fazit: Die deutschen und europäischen Lkw-Verkehre stehen am Scheideweg. Wenn wir, auch gesellschaftlich, effiziente und saubere Lkw-Verkehre wollen, stehen uns viele Jahre mit sehr hohen privatwirtschaftlichen und staatlichen Investitionen in Technologien und Infrastruktur bevor.

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