
Kolumne "Teil der Lösung" Wenn die CEO eine Auszeit nimmt


Auszeit auf dem Gipfel: ein Ausblick auch für Führungskräfte?
Foto: Nattapong / EyeEm / Getty Images1100 km. 66.000 Höhenmeter. Jeden Tag einen Pass zu überschreiten, einen Gipfel zu erklimmen, den Weitblick zu genießen, die körperliche Erschöpfung zu spüren und einzutauchen in die unberührte Wildnis der italienischen Alpen. Das war das Highlight meines letzten Jahres.
Wenn ich in Unternehmerkreisen von meiner insgesamt dreimonatigen Auszeit erzähle, stoße ich regelmäßig auf Begeisterung: "Super, dass du das machst!" – "Es ist total wichtig, mal aus dem Hamsterrad rauszukommen!" – "Man muss auch mal Abstand gewinnen und Energie tanken!"
Es gibt einige, die mir erzählen, dass sie selbst eine Auszeit nehmen möchten oder genommen haben. Allerdings meist, um endlich mal durchzuatmen, als letzte Maßnahme gegen den drohenden oder akuten Burn-out. CEOs, die das aus einer guten Balance heraus – quasi als Geschenk an sich selbst – planen und durchziehen, habe ich bisher selten kennengelernt. Dafür höre ich immer wieder eine Frage: "Wie kann das denn funktionieren?"
Verantwortung teilen
Ich bin überzeugt davon, dass es einem Unternehmen guttut, wenn es von Führungskräften geleitet wird, die sich selbst nicht für unersetzbar halten. Egal, ob diese angestellt oder Chef*in im eigenen Haus sind. Die sowohl Verantwortung abgeben können als sich auch um ihr eigenes Wohlergehen sorgen. Das ist nicht selbstverständlich, sondern Teil der Unternehmenskultur.
Als CEO hatte ich von Anfang an vier Kinder. Daher war es mir schon immer wichtig, Familie und Beruf gut zu managen und Verantwortung zu teilen. Wir haben bei Vaude eine Vertrauenskultur aufgebaut, in der alle ermutigt werden, sich aktiv und selbstwirksam zu beteiligen. Damit hat sich auch die Rolle unserer Führungskräfte verändert, die nicht mehr die alleinigen Entscheider sind, sondern vielmehr Rahmengeber für unsere Mitarbeitenden. Entscheidungen werden meist in hierarchieübergreifenden, interdisziplinären Gremien vorbereitet und getroffen. Rund 40 Prozent arbeiten in Teilzeit, auch in Führung, und sind es gewohnt, sich Job und Aufgaben zu teilen. Diese Strukturen helfen dabei, dass die Teams eingespielt sind und wir uns gegenseitig gut vertreten können.
Ein Jahr Planungszeit
Dennoch kann ich sagen, dass bei so einer langen Auszeit, ein gewisser Vorlauf hilft. Ich hatte diesen Traum im Kopf seit mein Geschäftsleitungskollege aus dem Vertrieb zu seinem 50. Geburtstag eine zweimonatige Fahrradtour an die Ostsee unternahm. Meine konkreten Planungen begannen daher bereits ein Jahr vor meinem eigenen runden Geburtstag.
Zunächst versicherte ich mich der Unterstützung meiner Familie, meiner engsten Kolleg*innen und meines Beirats. Den optimalen Zeitraum für meine Abwesenheit hatten wir mit Blick auf unseren Unternehmensprozess und die strategischen Jahrestermine schnell festgelegt. Dann informierte ich alle über mein Vorhaben. Auch nach außen, gegenüber Geschäftspartner*innen, wurde meine Auszeit offen kommuniziert. Die Reaktionen waren durchweg positiv, viele fanden es motivierend, dass ich mich das als Unternehmerin traute.
Sämtliche Termine für das folgende Jahr wurden ab diesem Zeitpunkt im Hinblick auf meine Abwesenheit sorgfältig geplant: Was gab es im Vorfeld mit mir vorzubereiten oder zu klären? Wo konnte ersatzlos auf mich verzichtet werden? Wo übernahm jemand meine Rolle in Vertretung?
Im Notfall eine Whatsapp
Diese Vertretungsregelungen dienten meiner Assistentin als Orientierung bei der Bearbeitung des Mailverkehrs während meiner Abwesenheit. Das erklärte Ziel war: mich am besten gar nicht und im Notfall per Whatsapp zu kontaktieren.
Dennoch war mein Handy auf der Reise ein essenzieller Begleiter, um etwa per GPS meinen Weg zu finden, Pflanzen und Berge zu bestimmen, um Fotos zu schießen oder auch um per Mail meine Unterkünfte zu reservieren. Damit ich dabei aber nicht in Versuchung komme, meine Vaude-Korrespondenz zu checken, ließ ich mir vor der Abreise eine neue private E-Mail-Adresse einrichten und die geschäftliche ausblenden.
"An mein Unternehmen habe ich so gut wie nie gedacht"
Ich war selbst gespannt, ob das so klappen würde. Aber Tatsache war: Ab Tag eins war ich komplett raus. Abgetaucht in intensive Bergerlebnisse. Ich bin allein und mit Wegbegleiter*innen gewandert und dabei oftmals an meine Grenzen gekommen. Ich habe geschwitzt, meditiert, Edelweiße gezählt, in Bergseen gebadet, Steinböcke und Murmeltiere beobachtet. An mein Unternehmen habe ich so gut wie nie gedacht. Zwei geschäftliche Whatsapp mit Informationen – und dem ausdrücklichen Hinweis nicht antworten zu müssen – haben mich während der drei Monate erreicht.
Bei meiner Rückkehr holte mich dann plötzlich doch ein schlechtes Gewissen ein. War es fahrlässig gewesen, die Mannschaft und das Unternehmen so lange im Stich zu lassen? Nein, versicherte man mir bei meiner Rückkehr. "Alles gut. Wir haben deine Perspektiven mitgedacht und eingebracht. Wir sind ja ein eingespieltes Team." Aber ich bekam auch zu hören: "Gut, dass du wieder da bist!" Die Mehrbelastung für meine engsten Kolleg*innen war im Laufe der Zeit doch spürbar geworden. Gleichzeitig wurde mit der Zeit auch deutlich, dass meine Rolle im Teamgefüge fehlte. Das hat mich gefreut. Es fühlt sich doch gut an, wenn man nicht ganz ersetzbar ist.
Eines sollte man als CEO in Auszeit jedoch beachten: Es besteht akute Ansteckungsgefahr. Dieses Jahr wird mein Geschäftsleitungskollege aus dem Produktbereich 50 Jahre alt – und er plant schon sein Sabbatical.