
Amazon Revolte gegen den Platzhirschen
Hamburg - Dass E-Books in Deutschland vom echten Verkaufsschlager noch weit entfernt sind, sieht man beim ersten Blick auf die Hitliste des Amazon-Readers Kindle: Neben Top-Gratis-Sellern wie der Evolutionsbroschüre "Feuchten Fußes" finden sich hier Ratgeberbücher, die einzig und alleine mit einem Veriss aufwarten können. Deutschland ist - was elektronische Bücher angeht - noch ein Entwicklungsland.
Nur etwa ein Prozent aller Bücher sind hierzulande E-Books. In den USA liegt der Anteil mit 20 Prozent schon deutlich höher. Und er wächst rasant
Entsprechend hart wird um jedes Stück des neu zu verteilenden Kuchens gerungen. Zwischen Verlagen auf der einen und dem US-Versender Amazon mit seinem Lesegerät Kindle auf der anderen Seite ist ein Stellungskrieg in Gang, der auch Europa bald erreichen könnte.
Einen Eindruck davon, mit welch harten Bandagen gekämpft wird, gab kürzlich das Vorgehen des US-Justizministeriums gegen fünf Buchverlage sowie gegen den Computerriesen Apple . Der Vorwurf: Illegale Preisabsprachen, die die Kunden hunderte Millionen Dollar kosteten. Weil auch europäische Kunden geschädigt worden sein sollen, ermittelt auch die EU-Kommission.
Agenturmodell versus Großhandelsmodell
Im Zentrum der Ermittlungen stehen angebliche konspirative Treffen in New Yorker Restaurants, bei denen die Verlage Preisabsprachen gegen ihren Mitwettbewerber Amazon ausgekungelt haben sollen. Der hatte, um die Verkäufe seines eBook-Lesegerät Kindle anzukurbeln, die Preise vieler E-Books auf unter zehn Dollar gesenkt - und sich so 90 Prozent des US-Marktes für elektronische Bücher gesichert.
Das missfiel der Konkurrenz. Anlässlich der Einführung des iPad einigte sie sich auf das sogenannte Agenturmodell. Statt des bislang geltenden sogenannten Großhandelsmodells, bei dem die Verlage mit Amazon einen Überlassungspreis aushandeln und der Onlineversender den Endpreis für den Kunden dann selbst festsetzte, überließ das Agenturmodell den Verlagen die Preisgestaltung und sicherte Apple als Betreiber der Verkaufsplattform iTunes und Zahlungsabwickler 30 Prozent des Umsatzes zu.
Kaum war das Agenturmodell durchgesetzt, stiegen die Preise für viele E-Books wieder. Und auch die Dominanz Amazons im Markt für Lesegeräte schwand. Der Marktanteil von Amazon ging auf 50 bis 60 Prozent zurück - und ließ Platz für Mitbewerber wie Barnes & Noble, Apple, Kobo oder Sony .
Ob der Onlinebuchversender selbst etwas mit der Klage etwas zu tun hat, ist unklar. In solchen Fällen befrage "man eine ganze Vielzahl von Unternehmen in dem betroffenen Sektor", erklärte ein Sprecher von EU-Wettbewerbskomissar Joaquin Almunia gegenüber manager-magazin.de. "Die Namen der betroffenen Unternehmen veröffentlichen wir aber prinzipiell nicht."
"Es hätte für Amazon nicht besser laufen können"
Doch die Entwicklung spielt Amazon in die Hände."Es hätte für Amazon nicht besser laufen können", sagt Verlagsexperte Michael Norris vom US-Recherchehaus Simba Information. Und die "New York Times" konstatiert: Es ist "als ob man Standard Oil schalten und walten lässt und stattdessen die kleine Tankstelle an der Ecke platt macht".
Zwar bedeutet die Untersuchung nicht, dass auch das Agenturmodell fällt. Aber ein Großteil der Verlage ist bereits eingeknickt und hat der Forderung nach mehr Preissenkungsspielraum für einen Zeitraum von zwei Jahren zugestimmt - allerdings unter dem Zugeständnis, dass Wiederverkäufer nicht unter den Einkaufspreis gehen dürfen.
Wie groß die Macht von Amazon ist, bekommen in den USA auch immer mehr kleinere Verlage zu spüren. Für dem US-Verlag McFarland kam der Schock zum Jahresende. Statt bislang rund 20 Prozent Rabatt forderte Amazon plötzlich 45 Prozent Preisnachlass - eine Hausnummer, die dessen Chef Karl-Heinz Roseman für geschäftsschädigend hält. Doch Widerstand ist schwer: Schließlich laufen fast 70 Prozent aller Verlagsverkäufe über Amazaon.
Ähnliche Erfahrungen wie Roseman machte auch die Berkshire Publishing Group, von der Amazon eine Ausweitung des bisher 40prozentigen Rabattes forderte. Als Berkshire ablehnte, blieben die Bestellungen aus. Bei Wings Publishing - einem ähnlichen Fall - fielen mit einem Schlag 50 Prozent der eBook Verkäufe weg. Und von der US-amerikansichen Independent Publishers Group warf Amazon rund 5000 Titel aus dem Programm, nachdem sich die IPG geweigert hatte, neue von Amazon gesetzte Konditionen zu akzeptieren.
David gegen Goliath
Dass sich ein Verlag gegen die Übermacht Amazons zur Wehr setzt, ist selten. Einer der Widerständler ist Randall White. Aus Protest gegen Amazons Geschäftspraktiken nahm der Chef des Kinderbuchverlages Educational Development Corporation die 1500 Titel seines Hause aus dem Angebot des Onlineversenders. Und verkauft nun als "David gegen Goliath" seine Bücher wieder auf eigene Faust und über den klassischen Vertriebsweg.
"Amazon drängt jeden aus dem Markt heraus" poltert White, der auf seiner Internetseite öffentlichkeitswirsam nun die Geschichte von der "Demontage des Riesen" erzählt. "Die sind ein Raubtier."
Die Aussichten im Machtkampf sind nicht wirklich rosig. Dank niedriger Verkaufspreise für seinen eBook-Reader Kindle hat Amazon noch immer einen Löwenanteil am US-Markt: Rund 62 Prozent am eReader und mit Produkten wie dem Kindle Fire auch noch 14 Prozent am Tablet Markt sind es laut Marktforscher Pew Research derzeit - mit steigender Tendenz.
Selbst dem Tablet-Vorreiter Apple konnte Amazon mit seinem Tablet kürzlich schon Marktanteile abjagen.
Barnes & Noble auf Expansionskurs
Und eBuch-Leser sind attraktive Kunden. Während Leser traditioneller Bücher im Jahr im Schnitt 15 Bücher lesen, sind es bei eBuch-Konsumenten laut Pew Reseach ganze 24. Und auch die Kaufneigung ist bei eBook-Lesern deutlich ausgeprägter als bei Print-Lesern.
Seine Marktmacht weiß Amazon auszunutzen. So handelte der rasant wachsende Onlineversender - der neben Büchern auch jede Menge andere Konsumgüter vertreibt und auch im Cloud-Geschäft vertreten ist - mit diversen US-Staaten teils erhebliche Steuervergünstigungen aus.
Ein Verlag, der stark mit der Konkurrenz von Amazon zu kämpfen hatte, ist Barnes und Noble. Zwar hat der amerikanische Traditionsbuchhändler mit massiven Verlusten zu kämpfen. Doch im Gegensatz zu einstigen US-Ketten wie Borders oder Ottakar's ist die Nummer eins in den USA noch am Leben und hat mit seinem Lesegerät Nook eine der Alternativen zu Amazons eBuch-Leser Kindle entwickelt.
Nun sucht Barnes & Noble sein Heil in der Expansion - damit sich die Entwicklungskosten für Nook amortisieren. Mit der Hardware lässt sich bei Kampfpreisen von derzeit unter 100 Dollar laut Experten zwar nichts verdienen. Doch die Lesegeräte sind der Schlüssel zum Leser. Hat der sich erst einmal auf eine Plattform festgelegt und sich eine Bibliothek angelegt, scheint ein Wechsel unattraktiv.
Stochern im Dunkeln
Hier ist Deutschland als Zielland besonders attraktiv - auch wegen seiner noch geringen eBook-Durchdringung. Und es befindet sich mit seiner auch für E-Books geltenden Buchreisbindung noch in einem Dornröschenschlaf.
Doch der Verteilungskampf ist auch hier in vollem Gang. "Es ist keine komplett andere Welt", sagt eBook-Experte Schild, der einst selbst für Amazon arbeitete.
Wie umkämpft der Markt auch hier bereits ist, zeigt, wie schmallippig die Teilnehmer werden, wenn es um Absatzzahlen ihrer Reader geht. Weder Amazon, noch der von vielen vor Bücher.de und Buch.de als Nummer zwei gehandelte Weltbild wollen sich zu Verkaufszahlen äußern. Amazon lässt nur wissen, dass der Kindle das meistverkaufte Produkt des Jahres 2011 war.
Amazon liege auch hierzulande "weit, weit vorne", sagt der Autor Jonas Winner, der mit seinen Romanen "Berlin Gothic" und "Die versteckte Stadt" gleich für zwei der deutschen Kindle Top-5 Bestseller verantwortlich zeichnet und seine Bücher auch für andere Lesegeräte vertreibt. Und auch MVB-Experte Schild ist überzeugt: "Amazon ist der klare Platzhirsch im Online-Bereich".
Deutschland holt auf - und der Verlagsbranche schwant Unheil
Entsprechend hoch sind die Rabatte, die Amazon aushandelt. Insider sprechen von bis zu 60 Prozent - deutlich mehr als viele andere Buchhändler herausholen. "Die ziehen die Schrauben immer enger", heißt es in der Branche.
Und der Markt wächst. Nach Schätzungen des Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) stieg der Verkauf der Lese-Geräte 2011 um rund 40 Prozent, der Umsatz mit den Readern in Deutschland auf über 30 Millionen Euro. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schätzt, dass der Anteil von E-Books bis 2015 schon bei 9 Prozent liegen könnte "sehr konservativ geschätzt", wie MVB -Geschäftsführer Schild betont. Weltbild rechnet sogar mit 15 bis 25 Prozent.
Bislang hat Amazon hierzulande vor allen bei den Verbrauchern einen guten Ruf. Der Buchversender gilt als günstig, zuverlässig, rund um die Uhr erreichbar und hat ein breites Angebot.
Doch langsam schwant der Verlagsbranche in Deutschland, das Amazon mehr ist als eine zusätzliche Vertriebsmöglichkeit - und ein Druckservice, der es über seinen Print-on-Demand Service ermöglicht, auch ausverkaufte Exemplare verfügbar zu halten. Das liegt nicht nur an den Schlagzeilen aus den USA, sondern auch daran, dass sich Amazon immer mehr in das ureigenste Territorium der Branche begibt - das Verlagsgeschäft.
Showdown in den Bücherläden
Das sorgt für neuen Konfliktstoff: Weil sich Amazon offenbar weigert, von ihm verlegte E-Books auch für Nook-Kunden verfügbar zu machen, warf Barnes & Noble kürzlich sämtliche Amazon-Bücher aus seinem Programm.
"Auch in Deutschland schlägt die Stimmung allmählich um - gegen Amazon", berichtet Schild, mit seinem Ebook-Reader Liro allerdings selbst ein Wettbewerber Amazons. Und dabei geht es nicht nur ums Kindle Self-publishing, bei dem Autoren ihre Werke in digitaler Form selbst anbieten können und bis zu 70 Prozent der Verkaufserlöse kassieren. Es geht um das klassische Verlagsgeschäft.
Über verschiedene Verlagslinien veröffentlicht Amazon bereits auf eigene Faust Bücher, hat Bestsellerautoren unter Vertrag genommen und ganze Titel-Segmente von anderen Verlagen aufgekauft. Auf dem deutschen Markt ist Amazon mit diesem Angebot bislang noch nicht präsent. Ob sich das ändern wird, darüber macht Amazon keine Angaben. Dass der Konzern seiner Konkurrenz keine Zeit zum Aufatmen geben wird, zeigte sich aber erst am vergangenen Freitag wieder.
Da ging Amazon mit seinem neuen eBookReader "Kindle touch" in 175 Ländern an den Start - unter anderem auch Deutschland. Eine Woche früher als geplant.