Dementi beruhigt Anleger nicht Grenke-Aktie bricht weiter ein - 1,3 Milliarden Euro verbrannt

Grenke-Zentrale in Baden-Baden: Durch die Shortattacke von Fraser Perring hat sich der Aktienkurs des Unternehmens halbiert
Foto: Uli Deck / dpaDas Leasing- und Finanzierungsunternehmen Grenke hat den Vorwurf der Bilanzfälschung zurückgewiesen. Der fragliche Bericht der US-Investorengruppe Viceroy Research enthalte "Unterstellungen, die Grenke auf das Schärfste zurückweist", teilte die im MDax notierte Gesellschaft am Dienstagabend in Baden-Baden mit.
"Ein zentraler Vorwurf lautet, dass von den im Halbjahresfinanzbericht 2020 ausgewiesenen 1078 Millionen Euro liquiden Mitteln ein substanzieller Anteil nicht existiere. Dies ist nachweislich falsch", stellte Grenke fest. "849 Millionen Euro, also fast 80 Prozent der liquiden Mittel, befanden sich zum 30.06.2020 auf Konten der Deutschen Bundesbank - wie im Halbjahresfinanzbericht veröffentlicht. Per heute beträgt das Guthaben bei der Bundesbank 761 Millionen Euro", hieß es weiter. Grenke behalte sich rechtliche Schritte vor und werde diese entsprechend in die Wege leiten. Das Unternehmen werde auch die übrigen Vorwürfe des Spekulanten widerlegen.
Viceroy Research hatte der Leasingfirma zuvor in einem 64-seitigen Report Geldwäsche und Bilanzbetrug vorgeworfen. Über Jahre soll die Familienfirma ihre Bilanz aufgebläht sowie zu hohe Gewinne und Kassenbestände ausgewiesen haben. Grenke habe Firmen für zu hohe Preise von eng verbundenen Unternehmen gekauft und kooperiere mit dubiosen Partnern, um Kunden abzuzocken. Die Leasing-Geschäfte seien nicht so werthaltig wie dargestellt, die konzerneigene Grenke-Bank ermögliche kriminellen Anlagebetrügern mindestens in einem Fall Geldwäsche. Viceroy Resarch schreibt von "eklatantem Bilanzbetrug".
Börsenwert in zwei Tagen halbiert
An der Börse ist die Nervosität auch einen Tag nach der Veröffentlichung des Berichts sehr hoch. Die Aktie rutschte am Nachmittag um weitere 42 Prozent auf 25,90 Euro ab und markierte damit einem neuen Tiefststand seit 2014. Zum Börsenschluss mit 26,70 Euro betrug das Minus noch 40,2 Prozent.
Seit Montagabend brach der Kurs damit um rund 51,5 Prozent ein - damit hat sich der Börsenwert von Grenke um mehr als 1,3 Milliarden Euro verringert. Die Attacke von Viceroy Research sei vom Zeitpunkt her perfekt gewesen und gut vorbereitet worden, schrieb Warburg-Analyst Marius Fuhrberg in einer am Mittwoch vorliegenden Studie.
Auch wenn sich einige der Anschuldigungen kaum beweisen lassen dürften, müsse das Unternehmen vieles klarstellen, was kurzfristig kaum möglich sein dürfte. Es sei nicht zu leugnen, dass sowohl die Unternehmensstruktur als auch die Bilanz komplex und verwirrend erscheine. Der Experte bleibt aber vorerst bei seinem Kaufvotum für das Papier, solange es hier noch keine Klärung gebe. Commerzbank-Experte Christoph Blieffert bestätigte seine "Hold"-Einstufung mit einem Kursziel von 50 Euro.
Viceroy Research gehört dem britischen Investor Fraser Perring (46), der bereits 2016 für Aufsehen am deutschen Markt gesorgt hatte, als er dem inzwischen kollabierten Zahlungsabwickler Wirecard Bilanzfälschung vorwarf und gleichzeitig auf fallende Kurse wettete. Die Investorengruppe bezeichnet sich selbst nur als "Gruppe von Individuen, die die Welt aus anderem Blickwinkel betrachten".
Viceroy Research hat Grenke-Aktien nach eigenen Angaben leer verkauft. Leerverkäufe sind an der Börse ein gängiges Mittel. Experten halten sie sogar für ein wichtiges Instrument, damit die Aktienmärkte besser funktionieren. Bei dieser Art des Handels verkaufen Investoren Wertpapiere, die sie sich zuvor gegen eine Gebühr von anderen Marktteilnehmern geliehen haben. Sinkt der Aktienkurs bis zum Rückgabe-Datum, können sie sich am Markt billiger mit den Titeln eindecken und streichen die Differenz ein. Steigt der Kurs, droht den Leerverkäufern ein Verlust. Die Bafin hatte Anfang 2019 zeitweise Leerverkäufe von Wirecard-Aktien verboten und sich damit viel Kritik eingehandelt.
Bafin findet Schreiben von Fraser Perring nicht
Die Reaktion des Aktienkurses auf den Report spielte der Gruppe also in die Hände. Perring sagte Reuters, er habe im Juli und im September jeweils eine Kopie des Berichts an die deutsche Finanzaufsicht Bafin geschickt. "Wir sind bereit, mit der Aufsichtsbehörde zusammenzuarbeiten und wollen aufzeigen, wo die Unregelmäßigkeiten liegen."
Die Bonner Behörde erklärte allerdings, sie habe bisher weder ein Schreiben noch eine E-Mail von Perring erhalten. Sie werde untersuchen, ob die in dem Report erhobenen Vorwürfe Marktmissbrauch darstellten. Dazu analysiere sie mögliche Marktmanipulationsvorwürfe durch die Grenke AG, durch Dritte etwa in Form einer Leerverkaufsattacke sowie mutmaßlichen Insiderhandel vor Erscheinen des Dokuments. Der SPIEGEL hatte zuerst über die Attacke des britischen Investors berichtet.
Die Finanzbranche reagiert zurückhaltend auf den Bericht von Perring. Ein in Bankkreisen angesehener Analyst, der unter dem Pseudonym Johannes Borgen auftritt, spricht von einem in vielen Teilen "schlampigen Bericht".
Die Grenke AG mit Sitz in Baden-Baden bietet Unternehmen Leasingmodelle zum Beispiel für Büroausstattungen und Software an. Das Unternehmen wurde 1978 von Wolfgang Grenke (69) gegründet. Im vergangenen Jahr zählte Grenke rund 1675 Mitarbeiter und erzielte einen Gewinn von 142 Millionen Euro. Wolfgang Grenke übergab den Vorstandsvorsitz im Jahr 2018 an seine bisherige Stellvertreterin Antje Leminsky (49). Die Wirtschaftswissenschaftlerin schaffte es in den vergangenen beiden Jahren auf die Liste der 100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft vom manager magazin.
Seit 2003 ist Grenke börsennotiert. Den Großteil der Anteile mit rund 40 Prozent hält Familie Grenke allerdings noch selbst. Daneben sind mit jeweils 5 Prozent die Investmentgesellschaften Acatis und Jupiter Unit Trust die größten Anteilseigner. Verantwortlich für die Richtigkeit des Geschäftsberichts ist natürlich einerseits der Aufsichtsrat, in dem Wolfgang Grenke neben dem Vorsitzenden Ernst-Moritz Lipp (69) stellvertretender Vorsitzender ist, andererseits aber auch der vom Unternehmen eingesetzte Prüfungsausschuss. Dem Ausschuss steht der studierte Betriebswirt Florian Schulte (49) vor, der seine Karriere bei McKinsey begann und über dem Inkassoverwalter Infoscore zum CEO der Zürcher Wirtschaftsinformationsgesellschaft Deltavista wurde. Genug Wirtschaftskompetenz sollte damit eigentlich vorhanden sein.