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Goldstücke aus Genf

Sieger-Chronometer: Auf Auktionen erzielen Uhren derzeit Rekordpreise. Sieben der zehn teuersten Stücke von 1999 stammen aus der Genfer Manufaktur Patek Philippe. Ihr Besitzer, Philippe Stern, erklärt warum.
Von Klaus Ahrens und Hanno Pittner
aus manager magazin 3/2000

mm* Monsieur Stern, wie viele Uhren stehen Ihnen privat zur Verfügung?

Stern Ich habe nicht mehr als sechs, nicht gerade viel. Meine erste bekam ich mit 20 Jahren, nicht vorher - das ist Tradition in meiner Familie. Seit drei, vier Jahren trage ich den Platin-Jahreskalender Referenz 5035. Schauen Sie, der ist sehr angenehm am Handgelenk.

mm Können Sie sich vorstellen, auch mal eine Swatch anzulegen?

Stern Einmal habe ich eine Swatch getragen, das war bei einem Schlittenhunderennen. Dafür war mir eine mechanische Uhr zu schade.

mm Sie stehen einer Uhrenmanufaktur vor, deren Produkte in dem Ruf stehen, zu den angesehensten, aber auch teuersten der Welt zu gehören. Was macht den besonderen Reiz einer Patek Philippe aus?

Stern Wir schreiben seit 160 Jahren Uhrengeschichte. Unsere Strategie ist schnell beschrieben: Wir wollen einfach die besten Uhren produzieren.

mm Das versprechen andere Hersteller auch.

Stern Es ist ziemlich einfach, eine Uhr zu produzieren, die für sechs Monate oder zwei Jahre perfekt läuft. Wir aber wollen, dass unsere Uhren auch nach 20, 30 oder 100 Jahren immer noch gut laufen. Und wir haben die Kapazität, die Uhr wieder zu reparieren, auch wenn sie 100 Jahre alt ist. Weil wir über Uhrmacher verfügen, die so etwas noch können.

mm Die Elektronik hat in weiten Bereichen die Macht übernommen. Sie hingegen hängen mit Ihren Uhren einer mittelalterlich anmutenden Mechanik an. Ein Anachronismus?

Stern Wir haben schon noch Quarzuhren im Programm, allerdings nur für Damen. Die mechanischen Uhren werden seit rund zehn Jahren ungeheuer stark nachgefragt. Das hat auch mit der neu erwachten Freude an hochwertigem Handwerk und individueller Fertigung zu tun. Sicher, ein Computer sagt Ihnen die Zeit präziser als ein Chronograf, aber er besitzt keine Seele.

mm 33 Komplikationen und 1728 Bestandteile enthält Ihre aufwändigste Uhr, das Kaliber 89. Neun Jahre dauerte die Entwicklung und Herstellung.

Für wen ist so ein Stück gedacht, wer kauft so etwas?

Stern Wir haben damit unser 150. Firmenjubiläum gefeiert. Und gar nicht überlegt, wer so etwas kaufen kann. Sondern einfach zeigen wollen, was heute technisch überhaupt möglich ist, sozusagen als Gipfel Schweizer Uhrmacherkunst ...

mm ... wir sind ergriffen von so viel eidgenössischer Selbstlosigkeit.

Stern Für uns war dieses Kaliber 89 vor allem ein ganz wichtiges Stück für die Imagepflege und sehr gut für die Werbung. Aber profitabel ist so eine Entwicklung niemals, obwohl wir alle vier Exemplare verkauft haben.

mm Zu welchem Preis?

Stern Ungefähr viereinhalb Millionen Schweizer Franken das Stück. Das ist sicher teuer. Aber wenn sie nicht verkauft worden wären, hätten wir diese Uhren in unserem Museum untergebracht. Ende dieses Jahres werden wir - das ist noch ein gut gehütetes Geheimnis - wieder etwas präsentieren, und wir haben bisher nicht darüber nachgedacht, wer das kaufen könnte.

mm Sie wollen sich, so heißt es aus Ihrem Hause, auf die Vervollkommnung der mechanischen Uhr konzentrieren. Welche Herausforderung gibt es da noch?

Stern Die Verbesserungen können nur in winzigen Schritten passieren. Sei es, dass die Stähle für die Werkteile verbessert werden, sei es, dass die Präzision bei der Herstellung kleinster Elemente erhöht wird.

mm Was hat der Kunde davon?

Stern Seine Uhr geht vielleicht noch besser, noch genauer. Im Moment liegt die Abweichung bei unseren Uhren in 24 Stunden zwischen plus zwei und minus drei Sekunden. Für eine mechanische Uhr ein Rekord an Genauigkeit.

mm Wie viel sollte, wie viel muss eine Uhr heute können? Wo endet der Wettbewerb um Präzision und Komplikation?

Stern Es gibt kein Ende. Im Moment versuchen wir, zunehmend kompliziertere Werke in immer kleineren und flacheren Gehäusen unterzubringen.

mm Bei Herrenuhren setzen Sie ausschließlich auf Mechanik. Bei Damenuhren allerdings erlauben Sie sich Ausflüge in die Welt der Quarzwerke. Fehlt Frauen der Sinn für das filigrane Handwerk?

Stern Wir bieten Damen-Quarzuhren an, weil in den kleinen Gehäusen mechanische Werke kaum Platz finden. So entstehen Uhren, die schön, flach und bequem zu handhaben sind. Frauen besitzen häufig mehr als eine Uhr und legen ihr Schmuckstück vielleicht nur einmal die Woche an. Trotzdem bleibt die Uhr nicht stehen, weil sie ein Quarzwerk hat. Aber wir stellen mechanische Uhren auch für Damen her, sogar mit kleinen Komplikationen. Die Nachfrage steigt.

mm Die Szene wird beherrscht von funktionaler Sachlichkeit. Sie produzieren jedoch aufwändige, von Brillanten übersäte Schmuckuhren. Wer trägt heute derlei Gepränge?

Stern Eine gute Frage. Früher waren das nur Mitglieder großer Familien, Adel von Geld und Geblüt. Heute kommen die Käufer auch aus anderen Schichten. Aber es ist sehr schwer, eine Klassifizierung vorzunehmen. Normalerweise verfügen unsere Kunden über eine hohe Bildung, für sie ist die nackte Zeitmessung nicht alles. Sie wollen einfach auch etwas Schönes haben.

mm Stahl und Platin scheinen Gold und Brillanten in der Publikumsgunst zu verdrängen. Hat die Uhr als Schmuckstück an Ansehen eingebüßt?

Stern Stahluhren mit Brillanten sind auch Schmuck. Und zugleich ungeheuer praktisch: Man kann sie zu jeder Stunde, am Morgen wie am Abend tragen ...

mm ... aber Ihr Herzblut vergießen Sie nicht gerade für das powere Material?

Stern Sehen Sie, Stahl ist nur eine Mode. Ich weiß nicht, wie es damit in zwei Jahren aussehen wird, ob dann wieder Gold oder etwas anderes gefragt ist. Bei dem Preis, der für eine Patek Philippe verlangt wird, kauft der Kunde eine Uhr nicht für einen solch kurzen Zeitraum, sondern bereits für die nächste Generation.

mm Welche Rolle spielt das Design für Ihre Uhren?

Stern Das ist sehr wichtig. Aber wir können nicht jeder Mode nachlaufen, sondern müssen schon auf eine klassische Form achten. In unserer Entwicklungsabteilung werden ständig neue Modelle ausprobiert, aber in unserer Kollektion für Männer gibt es Zeitmesser, die seit 30 Jahren gut ankommen. Jedenfalls brauchen wir keinen großen Designernamen, um eine Patek Philippe zu verkaufen.

mm Manager und Unternehmer pflegen eine rigide Kleiderordnung; bleibt nur die Uhr, um Individualität zu demonstrieren. Wie kann die unterstrichen werden?

Stern Wer eine Uhr kauft, muss zuerst einmal Freude daran haben. Er sollte aber auch etwas von der Uhrenherstellung verstehen und den Markt kennen. Vor allem: Er soll eine solche Uhr nicht als Investition ansehen. Zwar kann ihr Wert in 10 oder 20 Jahren ansteigen, er kann aber auch stagnieren.

mm Bringt der Wert die Individualität zum Ausdruck?

Stern Nein, der Wert nicht, aber die Qualität einer Uhr. Damit beweist der Träger, dass er weiß, was gut ist. Und diese Kenntnis von Exklusivität weist ihn als Privilegierten und Mitglied eines Liebhaberkreises aus. Als Teil einer bestimmten Schicht.

mm Unlängst wurde für eine Taschenuhr von Patek Philippe, für die ihr Erstbesitzer 1933 noch 15 000 Dollar bezahlt hatte, auf einer New Yorker Auktion bei sagenhaften 11 Millionen Dollar zugeschlagen. Wie diese wundersame Wertschöpfung?

Stern Ein schöner Beweis, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Im Ernst: Wenn wir von hoch komplizierten Uhren nur 200 Stück je Modell herstellen, dann steigt der Wert fast automatisch. Aber selbst bei ganz einfachen Uhren, wie wir sie in den 40er Jahren produziert haben, stieg der Preis enorm. Damals für 600 Schweizer Franken gekauft, werden sie heute auf Auktionen um die 100 000 gehandelt. Als Grundregel gilt: Je höher die Komplikation und je geringer die Stückzahl, desto stärker die Wertsteigerung.

mm Das Unternehmen selbst ist längst auch Objekt der Begierde geworden. Sowohl Swatch-Erfinder Nicolas Hayek wie auch der französische Luxushersteller Bernard Arnault vom LVMH-Konzern haben sich bemüht, Patek Philippe ihrem Portfolio einzuverleiben - und einen Korb bekommen. Wie viel ist Ihnen Ihre Unabhängigkeit wert?

Stern Einer Gruppe schließt man sich nur an, wenn man selbst zu klein ist, zu wenig Geld hat oder keine Kunden. Das trifft bei uns nicht zu. Also bleiben wir allein und unabhängig. u

*Das Interview führten die Redakteure Klaus Ahrens und Hanno Pittner.

*Das Interview führten die Redakteure Klaus Ahrens und HannoPittner.

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