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Früherkennung

Seminarkritik: Wer Konflikten aus dem Weg geht, wird nicht weit kommen. Aber kann der Mensch an einem Wochenende lernen, wie er sein Verhalten ändert?
aus manager magazin 3/2000

So hatte ich mir den Auftakt des Seminars im bayerischen Kloster Seeon nicht vorgestellt. Schon Wochen vor dem Start von Hugo Kehrs "Schule des Selbstmanagements" wurde ich aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen und an das Institut zurückzuschicken: ein Test meiner persönlichen Karrierefitness.

Als ich im Kloster ankam, lag die Auflösung schon auf dem Tisch. Nicht schlecht, dachte ich. Konnte ich doch bereits zu Beginn des Seminars lesen, wie stark mein Wille ist, ob ich unbewusste Handlungsmotive erkenne oder wie es um meine Kompetenz bei der Lösung von Zielkonflikten bestellt ist. Kurz: Ich lernte meine Defizite kennen.

Mehr noch. Ich habe auch erfahren, ob ich in den einzelnen Kriterien besser oder schlechter als der Durchschnitt der deutschen Topmanager liege. Der Vergleich war möglich, weil Seminarleiter Hugo Kehr vor kurzer Zeit in einem Forschungsprojekt 700 Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft eben dieser Diagnostik unterzogen hatte.

Gemessen an den Ergebnissen von Kehrs Untersuchung, schnitten die insgesamt neun Seminarteilnehmer übrigens nicht besser, aber auch nicht schlechter ab.

"Erwarten Sie nicht", sagte Kehr, "dass alles besser wird. Sie sollen nur erfahren, wo Sie stehen."

Wo stand ich also? Der Test zeigte - wie bei den meisten meiner Mitstreiter auch -, dass ich kein macht-, sondern ein eher leistungsorientierter Mensch bin und Auseinandersetzungen lieber aus dem Weg gehe. Mit dieser Erkenntnis war die Aufgabe klar: Das Seminar sollte mir helfen, meine Konfliktfähigkeit zu stärken.

Doch so einfach geht das nicht. Hugo Kehr erklärte uns, dass die Veränderung bestimmter Verhaltensweisen eines Menschen die gesamte Persönlichkeit betrifft. Das Training der Konfliktbereitschaft beeinflusst also alle Dimensionen des Denkens und Tuns. Insofern sind auch die viel beschworenen Trainings zur "emotionalen Intelligenz" und ähnlichen Qualitäten nie isoliert zu sehen.

Kehr malte zur Verdeutlichung alle Verästelungen auf und markierte die Schnittstellen und Verknüpfungen. Die Zahl der Zielgebiete für die Verhaltensänderung wuchs abrupt.

Nicht minder abrupt wuchs die Verwunderung über einen Widerspruch, den die Teilnehmer offen thematisierten: Wenn es so lange dauert, das persönliche Verhalten zu ändern, was soll dann dieses kurze Training in Seeon bringen? Zumal es auch noch recht akademisch daherkam. Zeitweise so trocken, das einige Seminaristen missmutig reagierten.

Besänftigt hat uns schließlich das "Workbook", ein Heft mit Arbeitsanleitungen für das individuelle Training. Es enthält Partnerübungen und Hilfestellungen zur Erkenntnis von so genannten Handlungsketten. Gemeint sind zum Beispiel unbewusste Querschüsse des Gefühls bei verstandesmäßigen Entscheidungen, die manchmal zu erheblichen Störungen der Wahrnehmung führen können.

Und noch eine Irritation stellte sich ein: die vergleichsweise niedrigen Seminargebühren. "Fast wäre ich nicht gekommen, weil ich nicht erwartet habe, dass ich für den geringen Preis eine so interessante Schulung erhalte", sagte eine Teilnehmerin. Gewohnheitsblockade eben: Was nichts kostet, ist nichts wert.

Am Ende aber zeigte die glasklar errechnete Bilanz, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis günstig war. Genau das war ja auch der Anspruch: Wir sollten lernen, verstandesmäßig gegen Vorurteile anzugehen.

Stefan Roth
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