Flutwein - Deutschlands erfolgreichste Crowdfunding-Aktion "Wir haben beinahe 40.000 Liter Wein verloren"

Flutwein-Gründer: Daniel Koller (li.) und Peter Kriechel vor dessen Weingut in Ahrtal.
Foto: Max Harrusmanager magazin: Herr Kriechel, knapp drei Monate ist die Flut nun her. Wie fanden Sie Ihren Familienbetrieb im Juli vor?
Peter Kriechel: Wir haben in der Katastrophennacht noch Sandsäcke zu unserem Weinhaus, das direkt an der Ahr liegt, gebracht. Damit der Schaden begrenzt würde, sollte der Fluss übergehen. Das hätten wir uns sparen können. Als ich am nächsten Tag dort ankam, wartete das blanke Chaos. Das war, als würde man in ein Kriegsgebiet fahren. Alles lag kreuz und quer. Autos auf ihren Dächern, umgestürzte Bäume, Gastanks. Am Betrieb angekommen war es das gleiche Chaos. Es waren mehrere Millionen Liter Wasser bei uns im Keller.
Was wurde zerstört?
Kriechel: In einem Weingut läuft beinahe die gesamte Produktion im Keller. Wir haben im Fass beinahe 40.000 Liter Wein verloren. Dazu kamen noch 30.000 Flaschen, die die Flut zerstört hat. Dann wären da noch die Maschinen, deren Werte im sechsstelligen Bereich liegen. Es ist einfach alles zerstört. In unserem Betrieb allein belaufen sich die Schäden auf ungefähr vier Millionen Euro.
Koller: Dazu kommt, dass in den Kellern oft die wertvollsten Weine gelagert werden. Das sind die Topprodukte und große Teile der letzten Lesen, die da zerstört wurden. Der Bauern- und Winzerverband hat 50 Millionen Euro Schaden an reinem Weinwert – ohne Maschinen und Immobilien – gemeldet.
Peter Kriechel
Abgesehen von den Betrieben selbst, wie sieht es auf den Weinbergen, Ihren Produktionsstätten aus?
Kriechel: Wir haben rund 50 Hektar unserer Rebfläche verloren – und das ist noch eine optimistische Schätzung. Aus einem Hektar gewinnt man bis zu 10.000 Liter.
Koller: Wenn man auf diesen Flächen jemals wieder anbauen kann, dauert das mindestens vier Jahre. Dadurch verlieren wir 60 Prozent einer Jahresproduktion von 5,5 Millionen Litern.
Mitten in diesem von Ihnen beschriebenen Chaos kam die Idee für Flutwein.
Koller: Ich selbst war nicht vor Ort. Aber meine Familie hatte dort ihren Gasthof. In unserer WhatsApp-Gruppe habe ich das Ausmaß mitbekommen. Meine Tante Linda, die das Projekt mitinitiiert hat, rettete einige Flaschen aus der Ruine und meinte, die könnte man doch verkaufen. Um wenigstens irgendetwas zu haben. Daraus entstand dann die Idee des Flutweins. Die Winzer mögen zwar alle eine eigene Geschichte und einen eigenen Wein haben. Aber gemeinsam haben sie den Schlamm auf ihren Flaschen. Flaschen, die eine Nacht überlebt haben, die Menschen nicht überlebt haben.
Inzwischen haben Sie mehr als 4,4 Millionen Euro einsammeln können. Wie funktioniert Ihr Crowdfunding-Modell, das inzwischen das erfolgreichste ist, das es in Deutschland je gab?
Koller: Es ist kein Sofortkauf. Wir haben uns einen Zeitkredit erspielen können, um bestimmte Sachen zu klären, die in einer Woche nicht geklärt werden können. Die Spender bekommen den Wein als Dankeschön für die Spende. Das Geld wartet auf einem Treuhänderkonto, bis es dann auf das Spendenkonto des Vereins kommt.
Wie viele Flaschen wechseln den Besitzer?
Kriechel: 175.000 durch die Spendenaktion. Die Kollegen verkaufen den Wein aber zum Teil auch selbst weiter, insgesamt dürften wir auf etwa 400.000 Flaschen kommen. Das ist auch wichtig. Denn wir sind gerade mitten in der Weinlese und brauchen Platz in den Lagerräumen.
Ist der Wein überhaupt in Ordnung?
Kriechel: Natürlich, wir würden nie etwas Bedenkliches ausschicken, das haben wir auch prüfen lassen. Ich kann mir aber vorstellen, dass viele die Flaschen gar nicht aufmachen und sie als Andenken aufbewahren.
Koller: Was auch das Ziel wäre.
Sie bewerben den Wein als "unser schlimmster Jahrgang" und "im Abgang mit bitterer Note". War das eine gute Idee?
Koller: An dieser Stelle muss ich Peter meinen Respekt aussprechen. In einer Zeit, in der Menschen nicht wissen, ob ihre Verwandten, Freunde und Mitarbeiter unter den Vermissten sind oder überhaupt noch leben, musste er das erst mal vermitteln können. Uns war wichtig, das gemeinsam durchzustehen und dass es eine gemeinsame Geschichte ist.
Kriechel: Natürlich waren manche Kollegen zunächst vorsichtig.
Die Kampagne nahm schnell an Fahrt auf, wurde medial aufgegriffen. Mehr als 40.000 Leute haben bis heute gespendet. Wie stemmen Sie zusätzlich zum Wiederaufbau und der Weinlese die Logistik der Aktion?
Koller: Dafür haben wir zwei Partner gewonnen. Das war auch dringend notwendig. Denn wenn Sie die Leute vor Ort dazu zwingen, 50.000 Kartons zu packen und vorzubereiten – heißt, es bleibt keine Zeit für Weinlese und Aufräumarbeiten. Also haben wir einen Aufruf gestartet. Darauf hat sich die Bohnen Logistik, eine Tochter der Duisburger Hafen AG, schnell gemeldet. Die Weine sind derzeit in Duisburg eingelagert. Die Deutsche Post DHL übernimmt den Versand.
Wie wird das finanziert?
Koller: Das sind Verwaltungskosten, die wir transparent kommuniziert aus den Spenden finanzieren. Zur Höhe anderen Details dürfen wir keine Auskunft geben. Aber es geht um Summen im niedrigen bis mittleren sechsstelligen Bereich. Allerdings muss man sagen, dass die Unternehmen uns sehr faire Deals gegeben haben. Wir sparen uns die Hälfte der Kosten, die wir hätten, würden wir das selbst machen. Außerdem entwickelt sich dadurch auch eine Partnerschaft. DHL schickt etwa regelmäßig Mitarbeiter ins Ahrtal, um bei den Aufbauarbeiten zu helfen – nicht nur bei den Winzern, sondern in der gesamten Region.
Sie haben inzwischen fast 4,5 Millionen Euro gesammelt und 47.000 Spender gewonnen. Herr Kriechel, Sie haben eingangs erwähnt, allein ihr Schaden belaufe sich auf knapp vier Millionen. Ist die Kampagne zuletzt gar nicht so hilfreich, wie es scheint?
Kriechel: Trotzdem hat das alle unsere Erwartungen gesprengt. Lassen wir das Geld außen vor. Dass sich so viele Leute mit der Ahr solidarisieren, ist fantastisch. Im Moment ist das viel wichtiger als die Spendeneinnahmen. Das gibt uns Winzern auch psychisch viel Rückhalt.
Koller: Wir sind glücklich, immerhin ein Prozent der Schadenssumme abgedeckt zu haben. Das Geld ist – ich sag es wie es ist – ein Fliegenschiss. Aber kurzfristig hilft es. Wenn es darum geht, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Region wiederherzustellen, wird das fünf Jahre mindestens dauern. Dafür haben wir jetzt Tausende Menschen gewonnen, die den Ahrwein kennenlernen konnten und hoffentlich auch mal eine Reise ins Ahrtal wagen. Langfristig wollen wir das Ahrtal für etwas anderes als die Flut bekannt machen.
Wann werden denn die ersten Winzer die Spendengelder bekommen?
Kriechel: Zuerst gehen sie mal an den Verein. Aber da haben wir noch Probleme. Stand jetzt ist es so, dass gemeinnützige Vereine nicht an Unternehmen spenden dürfen.
Daniel Koller
Sie haben also einen Verein, der bald auf 4,4 Millionen Euro sitzt. Aber kein eingetragenes Unternehmen darf davon etwas abrufen?
Kriechel: Das verbietet uns der Katastrophenerlass, der dahin gehend eine Katastrophe ist. Tatsächlich gibt es derzeit Umwege, von denen auch andere Verein in der Situation Gebrauch machen: Du spendest nicht an das Unternehmen, sondern an dessen Eigentümer. Sprich die Privatperson dahinter.
Koller: Der Erlass, der vom Land aufgestellt wurde, ist zum Thema Spenden schon richtig bitter. Natürlich gibt es immer Wege, die Gelder zu verteilen. Die Frage ist: Wie viele Grauzonen will und muss man wirklich durchschreiten und wie viel Bürokratie ist in einem Katastrophenfall – und das wird nicht der letzte gewesen sein – wirklich notwendig?
Wird jeder Winzerei-Betrieb in der Region das überstehen?
Kriechel: Durch die Flutwein-Kampagne haben wir jetzt erst mal keinen Liquiditätsengpass und kommen gut durch den Winter. Dann kann es für manche eng werden. Der Wein, den wir bis März verkaufen könnten, ist zerstört. Es könnte für viele problematisch werden. Aber wir Winzer stehen zusammen und werden alle retten, die gerettet werden wollen.
Koller: Die Winzer und wir sind optimistisch und halten zusammen. Die Solidarität untereinander ist groß. Und der Wein ist auch für andere Branchen in der Umgebung wichtig. Die Touristen kommen für den Wein, die Gastronomen und Hoteliers profitieren ebenfalls davon. Davon lebt immerhin des Großteiles des Ahrtals, also zum Beispiel auch kleine Einzelhändler. Dass die Winzer überleben, ist also im Sinne der gesamten Ahrregion.
Selbst mit den staatlichen Hilfen?
Kriechel: Bislang haben wir Soforthilfen in Höhe von 5000 Euro bekommen. Das reicht natürlich nicht. Bei den großen Unterstützungen des Bundes wird es wohl kompliziert werden. Derzeit sieht es so aus als würden wir zum Beispiel nur einen Anteil des Zeitwertes der Maschinen erstattet bekommen. Dummerweise gibt es für die keinen Gebrauchtmarkt. Für eine Presse, die neu 100.000 Euro kostet, bekommen wir also weniger als die Hälfte. Sollten die Verkaufszahlen im kommenden Jahr knapp sein, werden wir also zu kämpfen haben. Was Versicherungen betrifft: Nur 40 Prozent unserer Winzer sind gegen Elementarschäden versichert. In meinem Fall dürfte etwa die Hälfte der Schäden abgedeckt sein. Die Winzer, die nicht versichert sind, haben größere Probleme.
In den kommenden Wochen gehen die ersten Flaschen raus. Was wird dann aus der Aktion Flutwein?
Koller: Aus der Kampagnen-Website soll eine Plattform werden, die sich der Weinregion Ahr widmet. Die Leute sollen sehen, was mit ihren Spenden passiert, wie der Wiederaufbau vorangeht. Wir wollen mit Flutwein zeigen, dass das Ahrtal mehr ist als nur die Flut. Wir möchten die positiven Geschichten des Wiederaufbaus künstlerisch aufbereiten. Dazu laden wir Künstler und Fotografen ein, die den Wein und den Wandel vor Ort zeigen. Und dann gibt es noch den kommenden Wein. Wenn 2021 der schlimmste Jahrgang war, dann wird der dieses Jahr wohl der wichtigste sein. Dafür brauchen wir aber auch neue Vertriebswege. Das Ahrtal hatte zum Beispiel noch nie eine richtige Gebietswein-Vinothek. Und nicht jeder Winzer ist online-affin. Das zu bündeln, auf einer digitalen Plattform, ist eine Idee. Vor Ort werden wir auch ein Zentrum der Erinnerung an der Ahr bauen, in dem wir die Geschichte der Flut, die des Wiederaufbaus und der Zukunft dokumentieren wollen. Dafür haben wir uns mit dem Verleger Ludwig Könemann zusammengetan. Gemeinsam mit ihm und dem Architekten Paul Böhm bauen wir dieses Kulturzentrum, ein Mahnmahl als Ort der Begegnung zwischen Kultur, Innovation und als Museum. Zusätzlich soll noch ein Buch durch den Verlag dazu erscheinen. Dessen Erlöse werden in die Kulturstätte fließen.
Dann würde Flutwein aber kaum ein Verein bleiben.
Koller: Das ist eine wichtige Frage, die wir auch schon diskutieren. Ein Projekt, das auf Langfristigkeit ausgelegt ist, wäre als Unternehmen, ohne volatiler Vereinsstruktur sicher besser ausgelegt. Und eigentlich haben wir innerhalb von Wochen etwas skaliert, wofür so einige Start-ups Jahre brauchen. Uns fehlt nur noch die passende Struktur. Ob es dann eine GmbH dahintersteht, ist aktuell zweitrangig. Jetzt ist wichtig, dass wir jetzt Strukturen schaffen.