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Fluch der Größe

Messer: Strenge Auflagen aus Brüssel blockieren den Verkauf der Hoechst-Beteiligung.
Von Heide Neukirchen
aus manager magazin 3/2000

Seit fünf Jahren versucht der Hoechst-Vorstand seine Chemiebeteiligung an Messer Griesheim zu verkaufen. Anfang 1999 war er fast am Ziel. Mit der Linde AG wurde be- reits über die Konditionen verhandelt.

Doch die Gespräche zogen sich unerwartet in die Länge. Viel war passiert. Hoechst und Rhône-Poulenc hatten den Life-Sciences-Konzern Aventis gegründet. Das Finanzressort bei Aventis wurde aus Proporzgründen einem Franzosen übertragen. Ein Job für Hoechst-Finanzchef Klaus-Jürgen Schmieder (51) musste her. Der Favorit von Aventis-Primus Jürgen Dormann (60) wechselte zu Messer Griesheim, an die Spitze der Geschäftsführung.

Der Posten bei dem Frankfurter Industriegas-Hersteller bot sich an. Schmieder hatte als Hoechst-Finanzvorstand dem Aufsichtsrat der Gesellschaft angehört und war bestens mit den geschäftlichen Details vertraut.

Die Übergabe von Messer an Linde im Laufe dieses Jahres schien bei Schmieder in guten Händen. Es sah nach einem ruhigen Job für ihn aus, nach all den aufregenden Monaten vor der Aventis-Fusion.

Doch jetzt ist der promovierte Jurist wieder gefordert. Der geplante Deal mit Linde ist gerade geplatzt. Ein Zusammenschluss, so lautet die offizielle Stellungnahme, käme nicht mehr in Frage. Die Chancen, von der Europäischen Kommission in Brüssel eine Genehmigung zu erhalten, seien praktisch null.

Eine unerwartete Wende im Fusionspoker der europäischen Industrie- gashersteller. In dieser Branche herrscht seit Jahren ein Oligopol. In einzelnen Regionen Europas beliefert sogar ein einziger Produzent 70 Prozent der Kunden.

In den vergangenen Monaten kam plötzlich Bewegung ins Kartell. Linde übernahm den schwedischen Gashersteller Aga. Die französische Air Liquide und die britische Air Products teilten den Konkurrenten British Oxygen (BOC) unter sich auf.

Diese Fusionen hätte die Brüsseler Kommission früher mit wenigen Einwendungen passiert. Wettbewerbs- hüter Mario Monti (56) verfährt allerdings rigoroser als sein Vorgänger. Monti genehmigte die Zusammenschlüsse nur unter strengen Auflagen.

Danach war klar, dass die geplante Verbindung Linde/Messer keinerlei Chance hatte. Der Gasriese wäre in einigen Gebieten auf über 50 Prozent Marktanteil gekommen. Für Monti ein K.-o.-Kriterium.

Damit fällt aber nicht nur Linde als Kaufinteressent für Messer aus. Das Brüsseler Veto trifft die übrigen Gashersteller bis auf die kleinere Praxair ebenso. Jeder Akquisiteur aus der Branche bekäme Probleme.

Die Hoechst-Beteiligung an Messer (66 2/3 Prozent), die vor einem Jahr noch mit rund 4,6 Milliarden Mark gehandelt wurde, ist nach Einschätzung von Experten mangels Interessenten um rund eine Milliarde Mark im Wert gesunken - Monti lässt grüßen.

Aktuelle Ertragsprobleme belasten Messer Griesheim zusätzlich. Das Betriebsergebnis ging 1999 um 20 Prozent zurück - eine Folge der hektischen Expansion durch Schmieders ehrgeizigen Vorgänger Herbert Rudolf (59).

Selbst zum Preis von drei Milliarden Mark dürfte es schwer fallen, einen industriellen Käufer zu finden. Hoechst ist zwar Mehrheitseigner des Gasherstellers. Die Nachkommen des Firmengründers unter Führung von Stefan Messer (46) besitzen nur noch ein Drittel.

Doch die Erben haben ein vertraglich verbrieftes Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen. Wer das Hoechst-Paket kauft, muss den Juniorpartner akzeptieren.

Die Messer-Familie ist allerdings bereit, jetzt auch einen Börsengang in Erwägung zu ziehen. Bisher hatte Clan-Sprecher Stefan Messer diese Lösung strikt abgelehnt.

Hoechst aber hat es offenbar nicht mehr eilig. Die Frankfurter wollen in Ruhe die Steuerreform der Bundesregierung abwarten.

Treten die Gesetze - wie angekündigt - in Kraft, ist der Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der Messer-Beteiligung steuerfrei.

Hoechst könnte mehr als eine Milliarde Mark sparen.

Heide Neukirchen

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