EU-Präsidentschaft Merkel auf dem Chefsessel
Berlin - Sechs Monate wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der EU, das ganze Jahr lang in der G8 auf dem Chefsessel sitzen. Die hohen Erwartungen von Seiten der internationalen Partner versuchte Merkel vorab zu dämpfen. Wunder könne sie nicht vollbringen, warnte sie.
Dass sie sich auf der internationalen Bühne behaupten kann, bewies Merkel schon kurz nach ihrem Amtsantritt im November 2005 auf ihrem ersten EU-Gipfel. Die Bundeskanzlerin trug damals entscheidend dazu bei, einen seit Monaten wogenden Streit über die weitere Finanzierung der Europäischen Union beizulegen. Vor diesem Hintergrund hoffen viele EU-Politiker, vom luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker über EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bis zum künftigen Präsidenten des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, dass Merkel auch für den EU-Verfassungsvertrag eine Lösung findet.
Seit der Entwurf im Sommer 2005 bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden durchfiel, herrscht in der EU große Ratlosigkeit von einem "Menetekel für die Lähmung Europas" sprach Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kürzlich in Brüssel. Auch wenn mittlerweile 18 der 25 EU-Staaten den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, scheint es undenkbar, den Franzosen und Niederländern das bereits abgelehnte Papier erneut vorzulegen.
Nicht hilfreich scheint auch, dass Luxemburg und Spanien für Januar die Mitgliedsländer, die bereits ratifiziert haben, zu einer Konferenz nach Madrid eingeladen haben. Merkel hatte bereits beim EU-Gipfel im Dezember darauf hingewiesen, dass Deutschland als Ratsvorsitzender neutral bleiben müsse.
Zum Abschluss der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Ende Juni soll die Bundesregierung nun eine Art Fahrplan präsentieren, wie Europa sich aus diesem Dilemma befreien könnte. Zur Ausarbeitung eines solchen Lösungsvorschlags hat Berlin praktisch nur wenige Wochen Zeit. Denn bis zum Abschluss der französischen Präsidentschaftswahl, die wohl erst in der zweiten Wahlrunde am 6. Mai entschieden wird, wird die Position dieses entscheidenden Landes offen bleiben. Nach Merkels Willen soll die Verfassung bis zur Europawahl 2009 stehen. Juncker hat aber bereits durchblicken lassen, dass er diese Frist für unrealistisch hält.
Klimawandel im Fokus
Klimawandel im Fokus
Merkel will zu Anfang der Präsidentschaft bei den übrigen Regierungen sondieren, zu welchen Kompromissen sie in der Verfassungsfrage bereit wären. Auf dem letzten EU-Gipfel Mitte Dezember forderte die Bundeskanzlerin die übrigen Staats- und Regierungschefs auf, Vertrauensleute für diese Diskussion zu benennen. In ihrer Neujahrsansprache appellierte die Kanzlerin an die Konsensbereitschaft der Mitgliedstaaten: "Nur ein einiges Europa kann die Herausforderungen von Globalisierung, also weltweitem Handel, aber auch von Gewalt, Terror und Krieg annehmen. Ein gespaltenes Europa ist zum Scheitern verurteilt."
Zu einer Nabelschau über die innere Verfassung der EU soll der deutsche Ratsvorsitz aber nicht werden. Vielmehr will die Bundesregierung ihre Doppelpräsidentschaft in EU und G8 einem globalen Problem widmen: dem Klimawandel. Berlin strebt für die Zeit nach 2012, wenn das Kyoto-Protokoll für Klimaschutz ausläuft, neue Vereinbarungen auf internationaler Ebene an. Dazu, forderte Merkel in ihrer Regierungserklärung zur Doppelpräsidentschaft, müsse "eine gemeinsame Verhandlungslinie der Europäischen Union" festgelegt werden.
Derzeit wird über die Klimaschutzpolitik aber ausgerechnet zwischen Berlin und Brüssel heftig gestritten. Die Bundesregierung wehrt sich gegen Forderungen der EU-Kommission, der deutschen Industrie für den Ausstoß von Treibhausgasen eine Obergrenze von rund 450 Millionen Tonnen pro Jahr zu setzen. Für den 10. Januar hat die Kommission darüber hinaus ein ganzes Paket von Vorschlägen zur Energiepolitik angekündigt, die unter anderem einen schärferen Wettbewerb auf dem europäischen Strommarkt herbeiführen sollen. Hier droht neuer Streit mit den Mitgliedstaaten.
Bis zum Energie-Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im März bleibt also noch einiges zu tun. Eng mit der Energiepolitik verbunden ist das Verhältnis der EU zu Russland, wie der Streit zwischen Moskau und Minsk um den Preis für Gaslieferungen kurz vor Neujahr zeigte. Er führt den Europäern erneut vor Augen, welch unangenehme Folgen eine einseitige Abhängigkeit vom Energielieferanten Russland haben kann. Ein neues EU-Russland-Abkommen soll deshalb die gegenseitigen Beziehungen auf eine verlässlichere Basis stellen die Verhandlungen darüber werden jedoch von Polen blockiert. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss sich bemühen, Warschau von seinem Veto abzubringen.
Von Barbara Schäder, ap