Tchibo Der Stolz von Cerny Most
Prag - Im Stadtteil Cerny Most (Schwarze Brücke) ist vom berühmten Prager Flair wenig zu spüren. Während im Zentrum täglich tausende Touristen auf der weltbekannten Karlsbrücke und in den Gässchen der verwinkelten Altstadt in die Vergangenheit abtauchen, zeigt die tschechische Hauptstadt hier draußen ihr Alltagsgesicht. Zwischen breiten Schnellstraßen und grauen Häuserzeilen erhebt sich der Stolz von Cerny Most: ein riesiges Einkaufszentrum, das den gleichen Namen trägt wie der Stadtteil.
Hier geben die Prager aus, was sie in den benachbarten Skoda-Werken und an den Besuchern aus aller Welt verdienen. In der riesigen Mall sind die Flaggschiffe des internationalen Massenkonsums vor Anker gegangen: H&M, McDonald's, nebenan reckt sich ein blauer Ikea-Würfel in den Himmel. Auch Salamander und die Drogeriekette DM sind vertreten, ein paar hundert Meter weiter hat ein Obi-Baumarkt eröffnet.
Beim Anblick des zweitgrößten und umsatzstärksten Shopping-Centers in ganz Tschechien gerät Peter Wolf, Vorstandsmitglied des Hamburger Tchibo-Konzerns, ins Schwärmen. Eine "1a-Lage" sei das hier, wie gemacht, um eins der Expansionsziele des Unternehmens erfolgreich voranzutreiben: Die Hamburger Kaffeeröster wollen Osteuropa erobern.
Wöchentlich wechselnde Tchibo-"Welten"
Seit wenigen Wochen ist Tchibo im Einkaufszentrum Cerny Most mit einer eigenen Filiale vertreten. Auf 111 Quadratmetern Verkaufsfläche bringt der Kaffeemagnat Röstkaffee und Gebrauchsartikel aus den wöchentlich wechselnden Tchibo-"Welten" an die Tschechen.
Mit der Eröffnung der Filiale in Cerny Most dokumentiert Tchibo seinen Ehrgeiz, auf den zentral- und osteuropäischen Wachstumsmärkten zu den wichtigsten Spielern aufzusteigen. Der deutsche Marktführer ist nach eigenen Angaben in Tschechien, Polen und Ungarn im Bereich Röstkaffee bereits zum größten Anbieter avanciert. Auch nach Russland, in die Slowakei, Rumänien und in die Ukraine liefert der Kaffeekonzern.
Mit der Vorstellung der neuen Filiale gab der sonst eher zurückhaltende Konzern zugleich einen Vorgeschmack auf die Bilanz des Jahres 2004. "Wir haben zugelegt, aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel", sagte Vorstand Wolf. Beim Nettoumsatz habe Tchibo im vergangenen Jahr "im oberen Bereich einstellig zugelegt", so Wolf.
Zum Vergleich: Im Jahr 2003 setzte Tchibo mit rund 10.600 Mitarbeitern 3,3 Milliarden Euro um, davon 359 Millionen im Versandhandel und 141 Millionen im E-Commerce.
Gleiche Preise wie in Deutschland
Gleiche Preise wie in Deutschland
In Osteuropa will sich Tchibo keinesfalls mit einem Platz auf den hinteren Rängen begnügen. Wolf, der im Tchibo-Vorstand neben dem weltweiten Kaffee-Geschäft für den gesamten Geschäftsbereich Osteuropa verantwortlich ist, möchte Tchibo in jedem der neuen Märkte "unter die ersten drei Spieler bringen".
Bis jetzt läuft das offenbar prima. Bereits heute erwirtschafte Tchibo rund 500 Millionen Euro Nettoumsatz im gesamten Osten, erzählt Wolf. Die Erwartungen für die nächsten Jahre sind hoch gesteckt: "Innerhalb von fünf Jahren wollen wir den Umsatz verdoppeln."
Die neue Filiale in Cerny Most sieht exakt so aus wie ein deutscher Tchibo-Shop. Gleich neben dem Eingang findet sich eine Theke, an der freundliche Servicekräfte Tchibo-Kaffee sowie Kuchen und kleine Snacks anbieten. Wer sich umschaut, entdeckt in den Regalen die Artikel der wöchentlich wechselnden Themenwelten. Produkte und Preise, so Vorstand Wolf, seien haargenau die gleichen wie in Deutschland.
"Am Wochenende ist hier der Teufel los"
Unter dem Motto "Hallo Frühling!" finden die Kunden Gartenliegen, Gießkannen und Aussaat für den Balkon, "Auffallend schön" ist eine Damenmodekollektion betitelt. Ein junges Paar prüft hingebungsvoll die Qualität eines Herren-Sneakers aus der aktuellen Themenwelt "After Work Club".
Allzu viel ist allerdings nicht los an diesem Montagnachmittag. Nur wenige Kunden schauen herein und erholen sich bei einem Tässchen Espresso oder einem Latte macchiato an der Theke vom anstrengenden Shopping in der Riesen-Mall. Doch an den Wochenenden sei hier "der Teufel los", beteuern die Tchibo-Manager.
Wachstum nur noch im Ausland
Wachstum nur noch im Ausland
Die wirtschaftliche Belebung in den EU-Beitrittsländern kommt dem deutschen Kaffeekonzern wie gerufen. Der Heimatmarkt ist gesättigt, die Deutschen trinken pro Jahr bereits 64 Milliarden Tassen, immerhin 152 Liter pro Person. Nennenswertes Wachstum ist nur noch im Ausland möglich.
In 40 Ländern ist Tchibo inzwischen deshalb nach eigenen Angaben aktiv. In Österreich ist man mit 160 eigenen Filialen vertreten, in der Schweiz mit 35, in England mit 38. Seit September 2004 gibt es auch vier Shops in den Niederlanden. In all diesen Ländern wird der stationäre Handel durch E-Commerce über das Internet ergänzt. Überall werden neben Kaffee auch die Produkte aus den Themenwelten angeboten.
Weit vor dem Aufbruch nach Westen, bereits 1991, machte Tchibo erste zaghafte Schritte im Osten. Trotz des Interesses der östlichen Verbraucher an westeuropäischen Konsumgütern ist die Eroberung der neuen Märkte im Osten alles andere als ein Selbstläufer. Um die Kunden für die eigenen Marken zu begeistern, gibt Tchibo viel Geld aus, wie Vorstand Wolf durchblicken lässt: Mehr als ein Zehntel des Nettoumsatzes, derzeit also rund 50 Millionen Euro, werden in den weiteren Ausbau der Marktpräsenz und damit vor allem in Werbung investiert.
Konkurrenz gibt es genug
Denn Konkurrenz gibt es in den Wachstumsmärkten und frischgebackenen EU-Mitgliedsländern längst genug. In Zentraleuropa hat Tchibo Nestlé, Kraft Foods, den israelischen Kaffeeröster Elite und die holländische Douwe Egberts im Geschäft mit Röst- und Instantkaffee erfolgreich abgehängt. In den GUS-Staaten hingegen agieren die Hamburger mit 6 Prozent Marktanteil noch weit abgeschlagen. Dort dominieren einheimische Anbieter, gefolgt von Nestlé, Elite und Kraft Foods.
Zu schaffen machen den Hamburgern auch die zum Teil völlig anderen Trinkgewohnheiten der Slawen. Russen zum Beispiel lieben billigen Instantkaffee. Tchibo setzt versuchsweise hochwertige Instantprodukte dagegen und verzichtet vorerst auf eigene Shops. Stattdessen wird das Kaffeepulver in Lebensmittelmärkten oder winzigen Kramläden vertrieben.
Erst Kaffee, dann Gartenliegen
Erst Kaffee, dann Gartenliegen
Die Fäden der Tchibo-Aktivitäten in den osteuropäischen Wachstumsmärkten laufen in Wien zusammen. Hier residiert Harald Mayer. Der Tchibo-Statthalter bearbeitet den Osten mit einer einfachen Philosophie: Erst muss den Leuten der Kaffee schmecken, dann greifen sie auch zu den Gießkannen, Regenschirmen, Damen-BHs und Gartenliegen.
Ziel aller Tchibo-Aktivitäten ist es nämlich, irgendwann auch im Osten flächendeckend das so genannte Systemgeschäft betreiben zu können, also Kaffee und Themenwelten zu kombinieren. Das Non-Food-Geschäft ist ein entscheidender Umsatzbringer: Schon heute, erläutert Vorstand Wolf, stammt mehr als die Hälfte des weltweiten Gesamtumsatzes aus der Gebrauchsartikelsparte: "Tendenz steigend".
Ganz entscheidend: In allen Ländern werden dieselben Themenwelten vertrieben. Neue Produkte für regionale Geschmäcker gibt es nicht, die Kosten für Produktentwicklung, Produktion und Werbung wären unverhältnismäßig hoch. Lässt sich absehen, dass in einem potenziellen Markt einzelne Produkte überhaupt nicht laufen, verzichtet Tchibo lieber auf den Markteintritt. Darum gibt es Tchibo beispielsweise nicht in Italien - viele Winterprodukte wie etwa Ski-Accessoires würden zum Beispiel in Süditalien nicht laufen.
"Hohes Vertrauen in unsere Marken"
Tschechien als reichstes Land unter den EU-Beitrittsländern ist der erste Markt Osteuropas, in dem Tchibo nun massiv aufs Systemgeschäft setzt. Mit einer vergleichsweise moderaten Arbeitslosenquote, einem Bruttoinlandsprodukt von rund 9000 Euro pro Kopf und einem Wirtschaftswachstum von 3,4 Prozent lässt sich hier gutes Geld verdienen, hoffen die Tchibo-Manager.
Doch ein zweiter Grund ist mindestens genauso wichtig, erläutert Osteuropa-Manager Mayer: In Tschechien sei das "Kaffee-Geschäft vom Fleck weg gut gelaufen, die Tschechen haben ein hohes Vertrauen in unsere Marken." Dieses Zutrauen der Kunden sei die sicherste Voraussetzung für ein funktionierendes Non-Food-Geschäft.
Von Kroatien bis Kasachstan
Von Kroatien bis Kasachstan
Das Interesse der Kunden an den Tchibo-Gebrauchsartikeln erprobte Tchibo in den vergangenen Jahren mit der Einrichtung von 60 so genannten Depots im Lebensmittelhandel und in Supermärkten, in denen neben Kaffee zugleich die Produkte aus den Themenwelten angeboten wurden.
Das Filialkonzept testete der Konzern nicht in Prag, sondern zunächst in der Provinzstadt Brünn im Südosten des Landes. Was hier läuft, klappt erst recht in Prag, dachten sich Wolf und seine Mitarbeiter - seit März gibt es nun die zweite, deutlich größere Filiale in Cerny Most. Weitere Filialen sind geplant.
Nach dem erfolgreichen Auftakt in Tschechien wollen Wolf und seine Leute nun die Etablierung des Systemgeschäfts im Nachbarland Polen vorantreiben. Noch in diesem Jahr sollen die ersten polnischen Coffee-Shops in vollwertige Filialen umgerüstet werden und weitere Testdepots im Lebensmittelhandel folgen.
Doch Wolfs Pläne gehen weiter. Den Markteintritt in Kasachstan, Bulgarien, Kroatien und Weißrussland hat der Vorstand schon ins Visier genommen. Außerdem will der Konzern neue Marktanteile im Geschäft mit Instantkaffee erobern und die Entwicklung so genannter Food-Innovationen vorantreiben.
Dazu zählt beispielsweise die Kaffeemaschine Cafissimo, die Filterkaffee, Espresso und Milchkaffee herstellen kann und die osteuropäischen Verbraucher zu neuen Trinkgewohnheiten ermuntern könnte. Der deutsche Erfolg von Cafissimo gibt Anlass zu großen Hoffnungen - hier zu Lande waren 60.000 Geräte innerhalb von zwei Wochen ausverkauft.