Gemeinsame Pilotprojekte Siemens und Thyssenkrupp werben für Wasserstoff aus Russland

Neuer Osthandel: Die Gazprom-Zentrale in Moskau
Foto: Alexander Zemlianichenko/ ASSOCIATED PRESS
Neuer Osthandel: Die Gazprom-Zentrale in Moskau
Foto: Alexander Zemlianichenko/ ASSOCIATED PRESSRussland will zu einem Hauptlieferanten für klimaschonenden Wasserstoff nach Deutschland werden. "Wir sind in engem Kontakt mit deutschen Unternehmen, um bei Wasserstoff auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten", sagte Russlands stellvertretender Energieminister Pawel Sorokin beim Branchenforum der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) in Moskau. "Bei der Herstellung, beim Transport und beim Verbrauch von Wasserstoff." Deutsche und russische Firmen wollen sich laut AHK für gemeinsame Pilotprojekte zu nachhaltiger Energie starkmachen.
Russland könnte damit seine Rolle als einer der Hauptenergielieferanten Europas weiter ausbauen – und in eine zunehmend grüne Zukunft verlängern. "Russland ist bereits einer der größten Erdgasexporteure, hat daher die Infrastruktur, um ein Akteur auf dem Gebiet der Wasserstoffenergie zu sein", sagte Markus Schöffel vom Industriekonzern Thyssenkrupp. Die Möglichkeiten, in Russland erneuerbare Energien zu erzeugen, seien ebenfalls "gigantisch". Armin Schnettler von Siemens erklärte, man sei "bereits in Gesprächen über Großprojekte".
Siemens ist schon länger in Gesprächen mit dem russischen Gaskonzern Gazprom, um den langjährigen Kooperationspartner Power Machines von Oligarch Alexej Mordaschow (55) im Gasturbinengeschäft abzulösen. Siemens ist einer der größten Hersteller von Elektrolyseuren, um Wasserstoff zu erzeugen. Gazprom erwägt, die Erdgaspipeline Nord Stream auch zum Export von Wasserstoff nach Westeuropa zu nutzen. Die zweite Leitung Nord Stream 2, in die mehrere westliche Konzerne Milliarden investierten, ist fast fertiggestellt, aber politisch hochumstritten. US-Sanktionen drohen das Projekt auf den letzten Kilometern noch zu stoppen, auch die Unterstützung aus der europäischen Politik ist fraglich.
Erdgas ist bislang die Hauptquelle für die Produktion von Wasserstoff. Weil damit immer noch ein fossiler Brennstoff verbrannt wird und Klimagase in die Atmosphäre gelangen, wird von grauem Wasserstoff gesprochen – im Gegensatz zu grünem Wasserstoff, für dessen Gewinnung die Energie aus erneuerbaren Quellen wie Windstrom stammt. Gazprom will als Zwischenform im großen Stil türkisen Wasserstoff aus Erdgas herstellen, wobei der Kohlenstoff fest gebunden wird und beispielsweise als Dünger dienen kann.
Für Thyssenkrupp ist Wasserstoff das Mittel, um Kohle in der Stahlproduktion der Zukunft zu ersetzen und so unter der Maßgabe der Klimaneutralität zu überleben. Den Großteil des Bedarfs für einen bis 2022 geplanten Hochofen in Duisburg soll grüner Wasserstoff aus einer RWE-Anlage im Emsland decken. Um später die ganze Produktion umzustellen, werden aber größere Mengen gebraucht.
Nach einem Umbau der Industrie wäre Deutschland auf Importe angewiesen. "Deutschland kann den Bedarf an Grünem Wasserstoff nicht alleine decken", befindet etwa das Bundesforschungsministerium, "denn Wind und Sonne liefern hierzulande nicht genügend Energie." Laut Max-Planck-Insitut für Chemische Energiessysteme würden bis 2050 Importe von rund 45 Millionen Tonnen Wasserstoff notwendig. Der Bund setzt in seiner Nationalen Wasserstoffstrategie auf Importe vor allem aus Afrika. Dort wären allerdings ungleich größere Investitionen nötig, um Solar- und Windkraftanlagen sowie Elektrolyseure zu installieren und dann auch die Transportinfrastruktur zu erschaffen.
Diese Rohre sollen nicht umsonst liegen: In Lubmin an der deutschen Ostseeküste ist alles bereit für die aus Russland stammende Gaspipeline Nord Stream 2, die derzeit gebaut wird. Die EU sieht das 9,5-Milliarden-Euro-Projekt kritisch und hätte es fast mit einer neuen Gasrichtlinie torpediert - doch im Februar schlossen Deutschland und Frankreich noch einen Kompromiss. Nur noch ein kleines Teilstück in dänischen Gewässern fehlt, auch dieses ist genehmigt. Auf den letzten Kilometern drohen die USA mit Sanktionen gegen die am Bau beteiligten Firmen.
In Deutschland wird Nord Stream vor allem mit dem Einfluss des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (74) zugunsten des russischen Staatskonzerns Gazprom verknüpft. Schröder zog 2005 kurz nach seiner Abwahl als Vorsitzender in den Aktionärsausschuss der Schweizer Nord Stream AG ein - vertritt dort aber auch die Interessen mehrerer großer westlicher Konzerne.
Die BASF-Tochter Wintershall Dea ist mit 15,5 Prozent an der Nord Stream AG beteiligt, der die 2011 eröffnete erste Ostseepipeline gehört. Beim Nachfolgeprojekt Nord Stream 2 gilt Gazprom als Alleineigentümer und die westlichen Partner als Finanzinvestoren, die je ein Zehntel der Baukosten (derzeit geschätzt auf 950 Millionen Euro) tragen. Diese Struktur wurde als Reaktion auf EU-Kritik an der Röhre gewählt, die osteuropäische Länder wie Polen, Ukraine oder Weißrussland für den Gastransit entbehrlich macht.
Für Wintershall-Dea-Chef Mario Mehren (49) steht mit Nord Stream einiges auf dem Spiel. "Russland ist für Wintershall die wichtigste Region! Und Russland bleibt für Wintershall die wichtigste Region", beteuerte der Manager 2018. "Im Interesse der europäischen Kunden" sei die auch von den USA betriebene Kritik "sicher nicht".
Wintershall arbeitet schon seit Jahrzehnten mit Gazprom zusammen. In Westsibirien ist das deutsche Unternehmen an zwei großen Erdgasfeldern beteiligt, aus denen der Stoff über Nord Stream in deutsche Heizungen, Industriebetriebe oder Kraftwerke strömt. 2015 tauschte Wintershall seine Anteile an der deutschen Gashandels und -speicherfirma Wingas gegen weitere Förderlizenzen in Russland.
Für den Mutterkonzern BASF - in der neuen Industriestrategie der Bundesregierung namentlich als schützenswerter "Champion" genannt - ist Wintershall nicht nur einer der wichtigsten Gewinnbringer. Das Erdgas aus Russland wird auch als Grundstock für die Chemieproduktion ebenso wie als Brennstoff für die werkseigenen Kraftwerke gebraucht.
Wintershall ist schon Deutschlands größter Öl- und Gasproduzent. Mit der Übernahme der bisher von Maria Moraeus Hanssen (53) geführten Hamburger Dea soll Mehrens Firma aber auch zu einem "europäischen Key Player" aufsteigen, der mit den globalen Multis mithalten kann. Der russische Vorbesitzer von Dea, Michail Fridman, ist nun als Partner von BASF Großaktionär von Wintershall Dea.
Neben Wintershall ist auch der österreichische Wettbewerber OMV, geführt von Ex-Wintershall-Chef Rainer Seele, mit einem Zehntel der Anteile an Nord Stream 2 beteiligt. Seele (59) sieht die US-Sanktionen als "Schlag gegen Europa und den engen Bündnispartner Deutschland" und fordert Gegensanktionen.
Ebenfalls ein Zehntel trägt der Energiekonzern Uniper. Erfolgreicher als in Deutschland, wo beispielsweise das moderne Gaskraftwerk Irsching nur noch als Netzreserve gebraucht wird, betreibt Uniper auch mehrere Gaskraftwerke in Russland selbst - ebenso wie der Uniper-Großaktionär Fortum aus Finnland, der deshalb auf russischen Druck vorerst nicht beim Düsseldorfer Konzern durchgreifen darf.
Die ehemalige Uniper-Mutterfirma Eon hat zwar ihre bis in die 70er Jahre zurückreichende strategische Russland- und Erdgasorientierung längst aufgegeben. An der Nord Stream AG verdient sie aber trotzdem weiter mit. Die PEG Infrastruktur, der 15,5 Prozent der ersten Ostseepipeline gehören, wurde 2016 von Uniper an Eon übertragen. Der Transaktionswert wurde damals auf eine Milliarde Euro beziffert.
Das Projekt ist aber nicht bloß deutsch-russisch. Der französische Konzern Engie unter Führung von Isabelle Kocher (53), einer der größten Betreiber von Gasinfrastruktur und Gaskraftwerken in Europa, trägt ebenfalls ein Zehntel zu Nord Stream 2 bei und hält 9 Prozent an der alten Nord Stream AG. Wegen des starken Interesses von Engie sorgte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für Überraschung, als er die deutsch-französische Blockade gegen die EU-Gasdirektive vorübergehend auflöste.
Unbeirrt hinter Nord Stream stehen hingegen die Niederlande. Im gleichen Maß wie Engie ist der Konzern Gasunie an der alten Leitung beteiligt. Die Staatsfirma baut auch in Deutschland weiter die Verteilnetze aus. In der Heimat steht Gasunie wegen Erdbeben im Gasfördergebiet Groningen in der Kritik. Die Niederlande fahren ihre Produktion - die wichtigste heimische Erdgasquelle der EU - zurück. Auch deshalb werden russische Lieferungen wichtiger.
Der niederländisch-britische Multi Shell ist erst bei Nord Stream 2 eingestiegen, mit 10 Prozent wie die anderen westlichen Partner. Shell ist traditionell eher fürs Ölgeschäft bekannt, seit der Übernahme von British Gas 2016 aber auch der weltgrößte Produzent von verflüssigtem Erdgas. Dieses LNG wird von den Nord-Stream-Kritikern aus EU und USA als Alternative zu russischem Gas beworben. Der Transport per Pipeline ist jedoch erheblich billiger, sicherer und verlässlicher - und dieses Geschäft will sich auch Shell-Chef Ben van Beurden (60) nicht entgehen lassen.
Für all diese Konzerne könnte Nord Stream 2 zum Risiko werden, wenn die USA Sanktionen verhängen. Gestoppt wird das Projekt aber wohl kaum. Die Verlegearbeiten in der Ostsee sind bereits weit fortgeschritten. Mehr als 2100 Kilometer Röhren liegen bereits am Meeresgrund (nur 147 Kilometer fehlen), im wahren Wortsinn versenkte Kosten. Noch in diesem Jahr wollen die Projektpartner den Betrieb eröffnen.
Neben den langfristigen Interessen geht es auch um kurzfristige Aufträge für die deutsche Wirtschaft. 41 Prozent der 200.000 Rohre sollen von der Mülheimer Gesellschaft Europipe kommen, einem Gemeinschaftsbetrieb der Stahlkonzerne Salzgitter und Dillinger Hütte (hier bei einem Besuch der damaligen saarländischen Ministerpräsidentin und heutigen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer).
Am meisten auf dem Spiel steht allerdings für den russischen Staatskonzern Gazprom und seinen Chef Alexej Miller (57). Die Russen suchen zwar seit Jahren nach anderen Absatzmärkten vor allem in Ostasien, wo Erdgas auch zu deutlich höheren Preisen verkauft wird. Für große Gasmengen aus Westsibirien ist das jedoch zu weit entfernt. Russland ist vom Gasverkauf nach Westeuropa mindestens so abhängig wie Europa von Gaslieferungen aus Russland. Der direkte Weg zum Hauptabsatzmarkt Deutschland durch die Ostsee spart Transitgebühren - was die Pipeline zugleich zum wirtschaftlichen Vorteil und zum geopolitischen Instrument macht.
Ebenfalls ein Zehntel trägt der Energiekonzern Uniper. Erfolgreicher als in Deutschland, wo beispielsweise das moderne Gaskraftwerk Irsching nur noch als Netzreserve gebraucht wird, betreibt Uniper auch mehrere Gaskraftwerke in Russland selbst - ebenso wie der Uniper-Großaktionär Fortum aus Finnland, der deshalb auf russischen Druck vorerst nicht beim Düsseldorfer Konzern durchgreifen darf.
Foto: Tobias Hase/ dpaDer niederländisch-britische Multi Shell ist erst bei Nord Stream 2 eingestiegen, mit 10 Prozent wie die anderen westlichen Partner. Shell ist traditionell eher fürs Ölgeschäft bekannt, seit der Übernahme von British Gas 2016 aber auch der weltgrößte Produzent von verflüssigtem Erdgas. Dieses LNG wird von den Nord-Stream-Kritikern aus EU und USA als Alternative zu russischem Gas beworben. Der Transport per Pipeline ist jedoch erheblich billiger, sicherer und verlässlicher - und dieses Geschäft will sich auch Shell-Chef Ben van Beurden (60) nicht entgehen lassen.
Foto: AFPNeben den langfristigen Interessen geht es auch um kurzfristige Aufträge für die deutsche Wirtschaft. 41 Prozent der 200.000 Rohre sollen von der Mülheimer Gesellschaft Europipe kommen, einem Gemeinschaftsbetrieb der Stahlkonzerne Salzgitter und Dillinger Hütte (hier bei einem Besuch der damaligen saarländischen Ministerpräsidentin und heutigen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer).
Foto: Oliver Dietze/ dpaAm meisten auf dem Spiel steht allerdings für den russischen Staatskonzern Gazprom und seinen Chef Alexej Miller (57). Die Russen suchen zwar seit Jahren nach anderen Absatzmärkten vor allem in Ostasien, wo Erdgas auch zu deutlich höheren Preisen verkauft wird. Für große Gasmengen aus Westsibirien ist das jedoch zu weit entfernt. Russland ist vom Gasverkauf nach Westeuropa mindestens so abhängig wie Europa von Gaslieferungen aus Russland. Der direkte Weg zum Hauptabsatzmarkt Deutschland durch die Ostsee spart Transitgebühren - was die Pipeline zugleich zum wirtschaftlichen Vorteil und zum geopolitischen Instrument macht.
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