Weltverbesserer wider Willen Wie kaltes Kalkül die weltgrößte Ökostromfirma antreibt

Windräder in Texas
Foto: AFPVom Weltmarktführer für Wind- und Sonnenstrom haben bisher nur Eingeweihte gehört. Revolutionäres Image wie bei Tesla? Keine Spur. "Das ist Absicht", zitiert das "Wall Street Journal" einen Manager von Next Era Energy. Firmenchef Jim Robo stelle bewusst keine Leute ein, die den Anspruch haben, die Welt zu verändern.
Stattdessen herrsche in dem Konzern laut Insidern "Robo Math": Der CEO, der trotz seiner üppigen Vergütung von 33 Millionen Dollar im Jahr bei Meetings von zu Hause mitgebrachten Salat aus der Tupperdose esse, rechne stets mit spitzer Feder. Eine Präsentation, die finanziell nicht vollends optimiert sei, finde keine Gnade.
Als Ergebnis dieses kalten Kalküls macht Next Era Energy aber genau das - die Welt verändern. Der Konzern aus Florida ist mit einem Börsenwert von 77 Milliarden Dollar nicht nur zur Nummer eins in Amerikas Energiebranche aufgestiegen, kaum verschuldet, sondern nach eigenen Angaben auch noch zum Weltmarktführer für Wind- und Solarstrom.
Seine Windräder haben eine installierte Kapazität von 14 Gigawatt, die Sonnenkraftwerke etwas mehr als 3 Gigawatt. Weiteres enormes Wachstum ist mit Investitionen von rund 40 Milliarden Dollar bis 2020 schon angeschoben. Zum Vergleich: Die deutschen Wettbewerber Eon und Innogy, die nun auch vorwiegend auf Erneuerbare setzen, kommen zusammengenommen (vor der geplanten Übernahme) auf Windkraftanlagen mit 8 Gigawatt und kaum nennenswerte Solaranlagen.
"Hollywood-Status" als grünes Unternehmen spielt dabei keine Rolle. Next Era investiert in Erneuerbare einfach, weil es sich lohnt. 2017 überstieg der Gewinn der Ökosparte mit fast drei Milliarden Dollar den des traditionellen Versorgers Florida Power & Light (FPL), aus dem das Unternehmen hervorgegangen ist. Die wichtigsten Treiber des Wachstums sind
- Steuergutschriften der USA für Ökostrom. Diese Form der Subvention gibt es schon seit Anfang der 90er Jahre, also noch vor dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz - seit 2014 wächst ihr Volumen aber rasant; die Gutschriften weiter zu verkaufen ist lukrativ für Firmen, die kostengünstig Wind- oder Solarparks betreiben können. Das System ist zwar bis 2020 befristet, doch dann gibt es noch
- vorgeschriebene Ökostromquoten in den meisten Bundesstaaten. Versorger, deren Kapital in oft schuldenträchtigen fossilen Kraftwerken gebunden ist, müssen Ökostrom dazukaufen, um ihre Pflicht zu erfüllen - und wenden sich an Anbieter wie Next Era Energy
- außerdem entsteht ein Markt freiwilliger Käufe grünen Stroms beispielsweise von großen Verbrauchern wie Google, die sich aus Image- oder Gewissensgründen verpflichtet haben, ihre Datenzentren mit erneuerbarer Energie zu betreiben
Die gleiche Energievision wie Tesla - aber in einer ganz anderen Dimension

Vor allem jedoch geht die Rechnung auf, weil Wind- und Sonnenstrom zu erzeugen immer billiger wird. Laut Jim Robo sind die Preise für Windturbinen allein im vergangenen Jahr um 30 Prozent gefallen. Nach seiner Prognose werde Windstrom in den USA auch ohne staatlichen Anreiz Anfang der 20er Jahre nur noch 2 bis 2,5 Cent pro Kilowattstunde kosten, selbst Solarstrom (trotz Trumps Zöllen auf Module) 3 bis 4 Cent - "weniger als die variablen Kosten, die nötig sind, um ein existierendes Kohle- oder Atomkraftwerk zu betreiben".
Mit anderen Worten: Traditionelle Kraftwerksbauten sind bald nicht mehr wettbewerbsfähig. "Energiemanager klingen immer mehr wie wildäugige Hippies", folgerte das Magazin "Vox" aus der Telefonkonferenz mit Analysten. Die Marktdynamik übertreffe die glühendsten Fantasien früher Ökostrom-Utopisten.
Doch Jim Robo folgt schlicht der ökonomischen Ratio. Schon 2015 sagte er voraus, dass Gaskraftwerke für Spitzenlastzeiten bald nicht mehr gebaut würden - "dann nimmt man stattdessen einfach Energiespeicher".
Riesige Batterien, die überschüssigen Wind- oder Sonnenstrom aufnehmen und bei Bedarf abgeben, gelten als der heilige Gral der Energiewende. Tesla hat sich mit derartigen Projekten exponiert. Doch Next Era Energy bewegt sich, aktuell beispielsweise in einer Ausschreibung in Colorado, in weit größeren Dimensionen. Gleich mehrere Batteriespeicher mit 150 Megawatt Kapazität und bis zu 10 Stunden Speicherzeit verspricht die Firma, und das zu Kosten von weit unter einem Cent pro Kilowattstunde.
Die Everglades mit Quecksilber vergiften? Stört das Bild nur minimal
"Wir glauben, dass kein anderes Unternehmen die Expertise in allen drei Produkten - Wind, Solar und Batteriespeicher - hat, um so niedrige Kosten zu erreichen wie wir", prahlt Robo. Der Wettbewerbsvorteil ist aus frühen Investments in die Windkraft entstanden - und diese wiederum gewissermaßen aus Zufall.
Robo war 2002 von General Electrics Finanzsparte GE Capital zur Entwicklungsabteilung der damaligen Florida Power & Light gewechselt. Als ersten großen Deal musste er mit seinem früheren Arbeitgeber (der damals als wertvollstes Unternehmen der Welt galt und heute von der Last des schwachen Turbinengeschäfts nach unten gezogen wird) verhandeln:
"Wir entkamen einer großen Verpflichtung zum Kauf von Gasturbinen", berichtete Robo in einem Firmenvideo, "und bekamen einen fantastischen Deal mit Windturbinen" - auf denen GE damals nach dem Kollaps des Energieriesen Enron mit seinen aufgeblähten Bilanzen sitzengeblieben war. Die wurden in erste Windparks in Texas und Oklahoma eingebaut, wo viel Wind weht und das Land günstig ist, und so entstand Robos Gründungsmythos für die erneuerbare Wachstumsstory.
Da grüne Überzeugung nie als Leitmotiv genannt wurde, kann Jim Robo auch weiterhin (im Gegensatz zu GE) über Offshore-Windenergie als "furchtbare Energiepolitik und schlechtes Geschäft" lästern.
Und es stört das Bild nur minimal, dass FPL seinen Strom überwiegend fossil erzeugt, weiter neue Gaskraftwerke baut (wo sie sich lohnen), der Konzern fünf Atom- und sogar einige Ölkraftwerke betreibt und noch 2007 vom Staat daran gehindert wurde, am Lake Okeechobee ein Kohlekraftwerk zu bauen, was aus Sicht der Nationalparkverwaltung die berühmten Everglades-Sümpfe mit Quecksilber hätte vergiften können.
Alles vergessen - solange Jim Robos Analyse des aktuellen Markts gilt: "Wir befinden uns im besten Umfeld für Erneuerbare in unserer Geschichte."