Fotovoltaik Deutscher Starforscher entwickelt die Solarzellen der Zukunft

Entrepreneur: Der Stuttgarter Professor Michael Saliba will eine Firma gründen, um die neue Technik in Großserie zu bauen
Foto: Annette Cardinale für manager magazinDas Flachdach des Instituts für Fotovoltaik im Stuttgarter Univiertel am Pfaffenwald ist kaum begehbar. Überall versperren Solarmodule verschiedenster Bauart den Weg, deren Stromproduktion unten in den Labors ausgewertet und verglichen wird. In den Requisitenkammern finden sich Dutzende weitere Modelle, manche im Format einer Badezimmerkachel, andere in dem einer Haustür. "Beim Erforschen von Solarenergie können wir hier aus dem Vollen schöpfen", sagt Michael Saliba (38). Man wäre aber auch allein drauf gekommen.
Seit dem vergangenen Jahr ist der Physikprofessor Direktor des traditionsreichen Instituts, das sich seit 25 Jahren immer stärker auf die Erforschung von Elektrizität aus Sonnenlicht konzentriert. Mit seinen Teams erprobt der Ordinarius eine neue, hochwirksame Technik, die in der Solarszene weltweit für Furore sorgt. Und für die ihm die unabhängige Jury in diesem Jahr den Curious-Mind-Forscherpreis in der Kategorie "Materialien und Wirkstoffe" zugesprochen hat.
Saliba entwickelt Tandemsolarmodule: Auf die herkömmliche Technik einer Siliziumzelle lässt er eine hauchdünne Schicht auftragen, mit der sich die Stromausbeute deutlich verbessern lässt. Die zusätzliche Schicht besteht aus sogenannten Perowskit-Kristallen. Diese Halbleiter kommen zwar auch in der Natur vor, für den technischen Einsatz werden sie jedoch industriell hergestellt aus Metallsalzen – und können dann ganz einfach als Flüssigkeit aufgetragen werden.
Für die Fotovoltaik können sie den nächsten wirtschaftlichen Durchbruch bringen: Während herkömmliche Siliziumsolarzellen vor allem die roten Anteile des Sonnenlichts nutzen, erzeugen die Perowskite auch aus blauen und grünen Lichtwellen Strom. Zum ersten Mal wurde das vor zehn Jahren erprobt; seither haben Verbesserungen die Energieausbeute fast verzehnfacht. "Wir können damit Sonnenlicht wesentlich effizienter in nachhaltige Energie umwandeln", sagt Saliba.
In einem Projekt des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB) hat eine Tandemzelle im vergangenen Jahr einen Wirkungsgrad von mehr als 29 Prozent erzielt. Die leistungsstärkste Siliziumzelle liegt 3 Prozentpunkte niedriger, Großserienmodelle schaffen gerade mal 20 Prozent.
Forscher am HZB oder am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme halten mit der neuen Technik Energieausbeuten von 35 Prozent in nicht allzu ferner Zukunft für möglich. Damit könnte sie einen ebenso erheblichen wie kostengünstigen Beitrag zu einer klimafreundlichen Stromversorgung leisten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ein millionenschweres Programm aufgelegt, das den Weg von der Perowskit-Grundlagenforschung zur Anwendung im postindustriellen Alltag weiter ebnen soll. Für Deutschland, das den Wechsel in die Stromwirtschaft schaffen will, ist das eine Schlüsseltechnologie.
Das Material hat noch weitere Vorteile: Es lässt sich auch auf gekrümmten Flächen einfach verarbeiten und leistet in haarfeinen Schichten Ähnliches wie hundertfach dickeres Silizium. So könnte die Stromversorgung von Tablet-Computern, Mobiltelefonen und anderen Digitalgeräten ohne Aufladekabel aus Perowskit-Solarmodulen gelingen.
Die praxisnahe Entwicklung steht freilich noch am Anfang. Die Solarzellen, mit denen Salibas Team derzeit arbeitet, sind noch kleiner als eine Briefmarke. Das reicht für aussagekräftige Experimente, nicht jedoch für eine relevante Energieproduktion. Im Labor lassen sich die Kristalle schon bei Zimmertemperatur auf Siliziumoberflächen ausfällen – im größeren Maßstab kommt es jedoch zu chemischen Reaktionen. Vor allem unter direktem Sonnenlicht, bei Feuchtigkeit oder Hitze verwittern die Perowskit-Module schnell. Anfangs hielten sie nur wenige Stunden.
Die Tandemzellen sollen künftig, wenn alles gut geht, bis zu 30 Jahre lang störungsfrei Strom liefern. Module von sieben bis zehn Quadratmetern Fläche könnten dann die Grundversorgung eines Einfamilienhauses übernehmen.
Ein Feld für Tüftler. "Ich habe schon immer genauso gern mit dem Schraubenzieher gearbeitet wie mit dem Elektronenmikroskop oder der Stichwortsuche in der Bibliothekssoftware", sagt Saliba. Der Schwabe, Sohn eines Arbeiters beim Modelleisenbahnbauer Märklin, war das erste von acht Kindern in der Familie, das aufs Gymnasium gehen durfte. Nach einem Abschluss in Mathematik und Physik an der Uni Stuttgart wurde er 2014 in Oxford promoviert; es folgten Auslandsaufenthalte in Fribourg (Schweiz), an der Cornell-Universität an der US-Ostküste und im kalifornischen Stanford.
Im Jahr 2018 wurde Saliba Mitglied der renommierten Jungen Akademie, zwischendurch gehörte er auch dem Präsidium an. 2020 erhielt er den Heinz Maier-Leibnitz-Preis der DFG für herausragende Leistungen junger Wissenschaftler. Das Magazin "Times Higher Education" zählt ihn zu den global einflussreichsten Forschern auf seinem Gebiet, das World Economic Forum in Davos nennt ihn einen der weltweit wichtigsten jungen Wissenschaftler.
Neben den technischen Entwicklungsfragen für Solarmodule beschäftigen ihn derzeit weitere Verwendungsmöglichkeiten der Perowskit-Halbleiter, etwa in Lasern und Leuchtdioden. Für den Einsatz in den Detektoren der PET-Scanner, die auch in der Krebsdiagnostik eingesetzt werden, hat er schon ein Patent angemeldet; die US-Firma Deep Science fördert die medizintechnischen Entwicklungen seiner Arbeitsgruppe mit 300.000 Euro. Die britischen Firmen Helio Display Materials und Oxford PV nutzen Lizenzen für zwei seiner bereits erteilten Patente.
In der Kategorie "Materialien und Wirkstoffe" wählen vier "Generalisten" und drei Spezialisten
Belén Garijo
Vorsitzende der Geschäftsleitung und CEO der Merck KGaA
Rafael Laguna de la Vera
Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind)
Martin Noé
Chefredakteur manager magazin
Otmar Wiestler
Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft
Martin Brudermüller
CEO der BASF SE
Christoph Schlünken
Mitglied des Vorstands, Altana AG
Ferdi Schüth
Direktor am MPI für Kohlenforschung
Das nächste Abenteuer könnte jedoch eine Unternehmensausgründung sein, die Saliba gerade vorbereitet: das erste Perowskit-Start-up Deutschlands. Mit Forschenden seines Teams hat er eine Fertigungstechnik entwickelt, die Perowskit-Halbleiter auf Siliziumoberflächen drucken kann – ein wichtiger Schritt zur Großserienproduktion. Ein Start-up, das diese Maschinen herstellt und vertreibt, könnte dann zur Keimzelle einer neuen Solarindustrie in Baden-Württemberg werden. "Die Siliziumtechnik ist zum Kern der milliardenschweren Digitalindustrien im kalifornischen Silicon Valley geworden", schwärmt Michael Saliba. "Ähnliches könnte mit unseren Impulsen gelingen. Dann haben wir in wenigen Jahrzehnten ein schwäbisches Perowskit Valley."