Skandal für die LME Der große Nickel-Schwindel

Wertvolles Nickel: Wegen seines hohen Wertes ist das Metall besonders anfällig für Diebstahl und Betrug
Foto: Bloomberg / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Es war eine Schocknachricht für die Rohstoffbranche: Die ehrwürdige Londoner Metallbörse (LME) – seit den Kursturbulenzen im vergangenen Jahr ohnehin in der Kritik – ist Opfer eines Nickelbetrugs geworden. Als kürzlich Lieferungen des vermeintlich hochwertigen Metalls aus einem ihrer Lagerhäuser bei den Käufern eintrafen, stellte sich heraus, dass es sich um Säcke voller Steine handelte: Das Nickel war weg.
Und damit nicht genug: Einer der Käufer war der Handelsgigant Trafigura. Für den weltweit zweitgrößten Rohstoffhändler ist der Nickel-Schwindel besonders pikant, da es schon der zweite Betrug mit dem Edelmetall innerhalb weniger Wochen ist, dem das Unternehmen zum Opfer fiel. Erst im Februar hatte der Konzern eine halbe Milliarde Euro verloren, nachdem sich das gekaufte Nickel als minderwertiger Kohlenstoffstahl entpuppt hatte. Nun ist einer der mächtigsten Akteure der Rohstoffwelt abermals reingelegt worden – in einem Deal mit der LME.
Seither herrscht noch mehr Unsicherheit als ohnehin schon. Denn der Skandal wirft vor allem eine Frage auf: Wo ist das Nickel noch sicher, wenn schon nicht in einem von der Börse lizenzierten Lagerhaus?

Sofa-Tradition: An der LME wird bis heute nach alten Ritualen gehandelt
Foto: Luke MacGregor / ReutersFälle von Betrug und Raub sind im Rohstoffhandel keine Seltenheit. Nickel, das vor allem zur Herstellung von Batterien für Elektroautos benötigt wird, ist wegen seines hohen Wertes besonders anfällig. Allein ein einziger Container kann 500.000 Dollar wert sein. Doch die Lager der LME galten bislang als absolut sicher. Dort ist die physische Ware untergebracht, die über "Warrants" registriert ist und die Kontrakte der LME untermauert. Das System galt als globale Benchmark, auch für Metalle wie Aluminium oder Kupfer.
"LME-Lagerscheine waren früher der Goldstandard für Lagerscheine auf der ganzen Welt, die nahezu als Bargeldäquivalent behandelt wurden", schrieb John MacNamara, CEO vom Beratungshaus Carshalton Commodities und erfahrener Banker für Rohstoffhandelsfinanzierung, auf LinkedIn. "Bei der LME ist etwas gewaltig schiefgelaufen."
Die Skandalserie der LME
Die 146 Jahre alte Börse, eine Tochterfirma der Hongkonger Börse, ist der weltweit wichtigste Terminmarkt für Basismetalle. Und sie gilt in der Branche schon lange als Drama-Queen. Zuletzt stand LME-Chef Matthew Chamberlain (41) massiv in der Kritik, weil er im vergangenen Jahr infolge der Preisexplosion aufgrund des Ukraine-Kriegs den Nickelhandel ausgesetzt und kurzerhand Geschäfte in Milliardenhöhe storniert hatte . "Weil der Preis irgendwann nichts mehr mit der Realität zu tun hatte", rechtfertigte Chamberlain damals die Entscheidung gegenüber dem manager magazin . Inzwischen zog der Schritt behördliche Untersuchungen sowie Klagen von Investoren und Hedgefonds nach sich, die sich um hohe Gewinne gebracht fühlen. Eine ungünstige Zeit also für einen neuen Skandal, auch wenn nur 0,14 Prozent der Nickelbestände der LME betroffen sind.

Stoff der Energiewende: Nickel wird vor allem für Batterien gebraucht, wichtigstes Förderland ist Indonesien
Foto: SOPA Images / LightRocket via Getty ImagesAufgefallen war der Nickelbetrug, als sich offenbar ein Kunde bei der Börse meldete. Die LME habe die Informationen erhalten, dass eine Reihe von physischen Nickellieferungen aus einer bestimmten Einrichtung eines LME-lizenzierten Lagerhausbetreibers von Unregelmäßigkeiten betroffen waren, teilte die Börse Mitte März der "Financial Times " mit. Diese "Unregelmäßigkeiten" seien unter anderem am Gewicht der Säcke zu erkennen gewesen, das nicht dem des Nickels entsprach. Betreiber des Lagerhauses im niederländischen Rotterdam ist die Firma Access World. Nachdem sie von der Börse über die Unregelmäßigkeiten informiert worden war, entdeckte sie insgesamt neun Fälle mit fehlendem Nickel – 54 Tonnen im Wert von 1,3 Millionen Dollar. Unklar ist, ob die Säcke überhaupt jemals Nickel enthielten.

Nickelladung: Allein ein einziger Container kann 500.000 Dollar wert sein
Foto: Bloomberg / Getty ImagesAccess World, das bis vor Kurzem zu Trafiguras Rivale Glencore gehörte, sagte gegenüber Bloomberg dazu, dass es sich um einen Einzelfall handelte, der das Lagerhaus in Rotterdam betreffe. Eine Anfrage des manager magazins ließ das Unternehmen unbeantwortet.
Metallhandel ist leichtes Ziel für Betrüger
Immer wieder kommen auch größere Mengen Nickel abhanden. 2017 mussten französische und australische Banken Kreditverluste in Höhe von über 300 Millionen US-Dollar hinnehmen, nachdem sie auf gefälschte Dokumente für Nickel gestoßen waren, das in asiatischen Lagerhäusern lagerte. Auch die russische Sberbank entdeckte 2018 nach einer Finanzierung, dass Container mit Ladungen von Nickel in Rotterdam bereits geleert worden waren.
Das Problem ist, dass Informationen zu Versand und Lagerung bei den Metallen laut Bloomberg häufig noch in Papierform weitergegeben werden. Darin sind Details zu Mengen, Qualität, Eigentum und Standort aufgeführt. Dadurch wird die Ware ein leichtes Ziel für Betrüger. Die Metalle werden teilweise in ausgeklügelten Raubzügen von Banden aus den Lagern gestohlen, die Ware ausgetauscht oder die Angaben gefälscht. Die größte Gefahr stellen jedoch Brancheninsider dar. Da viele kleinere Handelsunternehmen in den vergangenen Jahren mit erheblichen finanziellen Engpässen kämpften, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass Insider betrügen, um ihre Verluste zu decken.
Trafigura CEO Jeremy Weir on the alleged nickel fraud #FTCommodities @Trafigura @lesliehook pic.twitter.com/CCuvFbRtIx
— Financial Times Live (@ftlive) March 21, 2023
Im ersten Trafigura-Fall in diesem Jahr, als sich das Nickel als Kohlenstoffstahl entpuppte, soll der indische Metallmagnat Prateek Gupta (43) involviert gewesen sein. So jedenfalls stellt es Trafigura dar. Gupta soll mit seinen Firmen mehr als 1100 Container gefälschtes Nickel verkauft haben. Trafigura hat inzwischen Klage gegen ihn eingereicht sowie andere juristische Verfahren eingeleitet. Gleichzeitig will der Handelsriese eine "umfangreiche interne Prüfung" durchführen. Trafigura-CEO Jeremy Weir (59) betonte aber, dass sich der mutmaßliche Betrug auf einen bestimmten Geschäftszweig von Trafigura beschränke und dass das Unternehmen bislang keine interne Verwicklung seiner eigenen Mitarbeiter festgestellt habe. Für ihn ist klar: "Man muss aus solchen Erfahrungen lernen." Einen Zusammenhang zwischen dem Fall um den Tycoon und den an der LME entdeckten Steinsäcken gibt es laut Trafigura nicht.
Mit Hochdruck arbeitet die LME daran, das Vertrauen in den Nickelmarkt wiederherzustellen. Vor zwei Wochen sollte der Handel auch wieder zu den asiatischen Handelszeiten öffnen; er war nach den Turbulenzen im vergangenen Jahr verkürzt worden. Doch wegen des Risikos, dass womöglich noch weitere irreguläre Lieferungen in den Lagerhäusern entdeckt würden, hatte die LME den Start zunächst verschoben.
Ende vergangener Woche hat die LME zudem neue Regelungen für den Handel angekündigt. Um kurzzeitige Lieferengpässe und Preisexplosionen wie vor einem Jahr einzudämmen, sollen unter anderem Händler künftig auch Nickelpulver zur Deckung ihrer Verpflichtungen anbieten dürfen. Ob das reicht, wird sich zeigen. "Die LME muss richtig funktionieren", sagt Michael Widmer, Leiter der Metallforschung bei der Bank of America. "Das ist im Moment nicht der Fall – das ist das Problem."
Säcke voller Steine will die LME jedenfalls nicht noch einmal entdecken. Und so erinnerte sie die Betreiber der lizenzierten Lagerhäuser noch einmal an die strenge Vorschrift, das Metall bitte zu wiegen, bevor es eingelagert wird.