Drohendes Gas-Embargo Dieser Speicher soll die Industrie aus dem Energie-Trilemma führen

Riesiger Markt für Langzeitenergiespeicher: Der größte Hebel zur Reduzierung von Treibhausemissionen findet sich in der Industrie
Foto: Steffen Fuchs / EnergyNestDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Herr Thiel, alles spricht über die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Erdgas. Sie haben mit dem Unternehmen Energynest eine Lösung gefunden?
Ja, wir haben eine thermische Batterie für die Langzeitenergiespeicherung entwickelt und bereits erste Projekte in Europa im Bau. Die Batterie kann industriellen Unternehmen helfen, vom Erdgas weg hin zu einer zuverlässigen Verwendung erneuerbarer Energien zu kommen. Mittels thermischer Speicher können die Betriebe ihre Kosten für die Energie senken und zugleich ihren Energieverbrauch dekarbonisieren. So wird die industrielle Produktion umweltfreundlicher, profitabler und zugleich unabhängiger vom Erdgas.
Schaut man auf die Größe der deutschen Industrie, ist das eine Mammutaufgabe.
Das stimmt, laut Eröffnungsbilanz des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck (52) zu Anfang des Jahres kommen rund 25 Prozent der aktuellen Treibhausemissionen in Deutschland aus der Industrie. Das ist mehr als Flugzeuge, der Güterverkehr auf der Schiene, Lkw und Pkw zusammen verursachen. Trotzdem reden wir – was ja auch gut und sinnvoll ist – eher über diese Themen, doch vom Stellenwert her müssten die industriellen Emissionen viel stärker in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden. Denn das ist der größte Hebel. Und zum Glück sind wir nicht allein auf dem Markt, um die größten Emittenten von CO₂ langfristig zur Klimaneutralität zu führen.
Wie sollen diese 25 Prozent denn Richtung null gedrückt werden?
Es geht darum, alle bereits vorhandenen Technologiebausteine zusammenzufügen: Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft, Energiespeicher, Wärmepumpen und Wasserstoff. Damit können wir schon jetzt den Energiekreislauf komplett neu ausgestalten, nicht mehr nur als Flickenteppich, bei dem sich nur hier und da etwas tut. Schon längst hat Deutschland auf diesem Gebiet den Status von Forschung und Entwicklung hinter sich gelassen, wir sollten jetzt endlich flächendeckend loslegen.
Ihr Unternehmen setzt dabei auf thermische Speicher.
Ja, diese bieten die Möglichkeit, einen Ausweg aus dem Energie-Trilemma zu finden.
Was meinen Sie mit "Energie-Trilemma"?
Jeder Industriebetrieb möchte eine hohe Versorgungssicherheit haben, doch die Energie soll auch bezahlbar und möglichst nachhaltig sein. Nun war Erdgas immerhin lange bezahlbar und versorgungssicher, jedoch nicht umweltfreundlich. Die erneuerbaren Energien sind dagegen zwar nachhaltig, doch die Versorgung bislang zu sehr abhängig von der Verfügbarkeit von Wind und Sonne. Dieser Problematik treten wir entgegen, indem wir uns auf eine Applikation fokussieren, die Produktion nachhaltiger macht, die Energiekosten reduziert und die Versorgungssicherheit verbessert. Das kann gelingen, weil Wärme darin die Hauptrolle spielt.
Und diese findet sich in der Industrie?
In den meisten Industrieunternehmen wird viel Hochtemperaturdampf benötigt. Wir bieten die Möglichkeit, diesen Dampf durchgehend erneuerbar zur Verfügung zu stellen. Die thermischen Speicher können wir dabei mit grünem Strom laden. Ist dieser ausreichend vorhanden, ist er auch relativ günstig, damit kann man den Speicher befüllen und die Energie in Form von hohen Temperaturen speichern. Wenn dann mal die Windparks nicht liefern oder keine Sonne scheint, kann der vollgetankte Speicher weiterhin grüne Energie liefern. Doch das ist nur ein Weg.
Welche Möglichkeiten gibt es noch?
Darüber hinaus lässt sich die Effizienz von Industriebetrieben stärken, indem Abwärme aus den Prozessen aufgefangen und nach Bedarf wiederverwertet wird. Unser Speicher verhindert hier, dass die industrielle Abwärme im wahrsten Sinne des Wortes durch den Schornstein geht. Diese Prozesswärme ist nahezu für alle Industriezweige von Bedeutung und wird nun in den Fokus der Wirtschaftlichkeit und der Nachhaltigkeit gebracht.
Wie hoch ist das Einsparpotenzial?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Viel hängt unter anderem davon ab, wie groß eine Anlage ist, wie sie konfiguriert ist und welche Größe der Speicher hat. Doch ich gebe gerne ein Beispiel. Für einen Verpackungshersteller in Belgien, der Prozessdampf benötigt und diesen Bedarf derzeit zu 100 Prozent durch Erdgas bedient, bauen wir eine neue Produktionsanlage. Diese wird ab dem Sommer solarbetrieben laufen. Wenn also die Sonne scheint, kann der Prozessdampf direkt hergestellt werden – im nächtlichen Schichtbetrieb oder bei wolkigem Wetter wird der Speicher genutzt. Dadurch kann das Unternehmen seinen Gasverbrauch um etwa 75 Prozent verringern. Und es wird künftig Möglichkeiten geben, dass Unternehmen ihren Erdgasverbrauch sogar komplett reduzieren.
Bei großen Unternehmen ist das aber sicher ein langer Weg.
Zunächst gilt es, einzelne Anlagen umzurüsten. Werden dann die Erfolge sichtbar, kann man weiter planen und größere Anlagen angehen. Auch andere Unternehmen schauen sich das an – hier werden wir Skalierungseffekte erleben. Aktuell bauen wir Anlagen mit einer Speicherkapazität von 6 bis 8 MWh, schauen uns aber auch schon Projekte mit 800 MWh bis 1 GWh an. Das sind richtig große Speicher, die einen enormen CO2-Vermeidungseffekt haben.
Wie schnell kann das alles umgesetzt werden?
Natürlich können wir nicht von heute auf morgen die ganze hiesige Industrie damit ausrüsten. Wenn jedoch ein Unternehmen Bedarf nach diesen Speichern hat, liefern wir diese innerhalb von sechs bis zwölf Monaten. Zudem können wir die Produktionskapazitäten weiter ausbauen, zum Beispiel durch mehr Schichten und mehr Produktionsstätten. Mit unserem großen Infrastruktur-Fonds als Investor bieten wir mittlerweile auch vollfinanzierte Speicher an, die sich über die Energieeinsparungen finanzieren.
Sie kooperieren auch mit bekannten Konzernen.
Ja, mit HeidelbergCement haben wir unser Speichermaterial entwickelt, das Unternehmen ist nun auch unser Lieferant. Und mit Siemens Energy schauen wir uns weitere Projektentwicklungen für den Industriesektor an. Als norwegische Aktiengesellschaft kooperieren wir europaweit. In Hamburg haben wir mittlerweile eine GmbH gegründet, hier sitzen der Vertrieb, die Projektentwicklung und die Finanzabteilung. Hinzu kommt ein Standort in Spanien für die Projektabwicklung. Oslo bleibt dagegen unser technologisches Zentrum.
Gibt es Wettbewerber und braucht es diese sogar, um die große Herausforderung anzugehen?
Ja, es gibt mittlerweile einige Unternehmen auf diesem Gebiet, doch das ist zu begrüßen, denn es zeigt, dass es einen großen Markt gibt – und jeder kann mit seiner eigenen Positionierung einen Platz finden. Es gibt sogar bereits ein "Long-Duration Energy Storage Council", mit dem das Thema Langzeit- und Wärmespeicher weiter publik gemacht werden soll.
Mit Erfolg?
Es gibt immer einen schnellen Aha-Effekt, wenn klar wird, um welche Dimension der möglichen Energieeinsparung es hier geht. Wer über die Elektrifizierung beziehungsweise Dekarbonisierung der deutschen Industrie und die Frage der Unabhängigkeit nachdenkt, gelangt schnell zu dem Schluss, dass es nur mit der direkten Elektrifizierung aus dem Stromnetz allein nicht geht – hier kommen die thermischen Batterien ins Spiel. Unser Speicher hat für die Bereitstellung von Prozesswärme sowie Industriedampf eine Effizienz von 95 Prozent und ist ziemlich kostengünstig. Mit Blick auf die heutigen Gaspreise rechnet sich so ein Speicher innerhalb weniger Jahre.
Wie wird die Entwicklung auf dem industriellen Energiesektor weitergehen?
Wir werden den kommerziellen Einsatz von Wasserstoff sehen und wir werden eine Dekade der Energiespeicher erleben, sowohl elektrisch als auch thermisch. Diese Speicher sind das noch fehlende Glied in der Kette, das es braucht, um vollständig auf erneuerbare Energien zu setzen. Ziel ist es, ein unabhängiges Energiesystem für Europa zu schaffen, das weniger anfällig für externe Effekte ist. Und so wird es der Industrie ermöglicht, eine wirklich nachhaltige Produktion von Gütern anzubieten und dabei auch einen Mehrwert aus ökonomischer Sicht zu erzielen.
Entscheidet sich in der industriellen Produktion also die Energiewende?
Ja, und die Notwendigkeit könnte angesichts des schrecklichen Kriegs in der Ukraine nicht größer sein, um in diesem Klima der Zeitenwende die industrielle Energiewende mit Entschlossenheit anzupacken. Denn vorher war die Industrie zu bequem eingebettet in die vermeintlich sicheren und günstigen Gaslieferungen. Das hat sich nun komplett geändert. Energiespeicher dürften schon bald ganz oben auf der Prioritätenliste der Industrielenker stehen, von der Molkerei bis zum Stahlwerk. So kann der Standort Deutschland mit neuen Technologien einen Weg beschreiten in eine nachhaltige industrielle Produktion. Die Bausteine sind vorhanden, jetzt geht es nur noch ums Machen.