RWE-Bilanz Kohle scheffeln dank Kohlekraft

Kraftwerk Neurath: Die Kohlendioxid-Hauptstadt Europas, 30 Kilometer vor Köln
Foto: DPAHamburg - Bis zu sechs Millionen Tonnen Kohlendioxid sollen die beiden grauen Blöcke in Neurath pro Jahr sparen. Wobei "Sparen" so zu verstehen ist wie in den Angeboten der Autohändler: "Sparen Sie 4000 Euro" - im Vergleich zum Listenpreis, nicht im Vergleich zum Nicht-Kauf.
Tatsächlich laufen die im vergangenen August von RWE eröffneten zwei Kraftwerksblöcke im Rheinischen Braunkohlerevier mit einem Wirkungsgrad von 43 Prozent sauberer als vergleichbare alte Anlagen, dürften aber doch ihren Anteil daran haben, dass der Ausstoß des klimaschädlichen CO2 in Deutschland 2012 erstmals seit Jahren wieder gestiegen ist. Der 2,6 Milliarden Euro teure Neubau macht das Kraftwerk Neurath zum größten CO2-Emittenten Europas. Nur ein kleiner Teil des Schmutzes wird durch die Schließung sechs alter Blöcke im benachbarten Frimmersdorf eingespart.
Es gehört zu den merkwürdigsten Wirrungen der an merkwürdigen Wirrungen reichen Energiewende: Vordergründig geht es um den Wechsel von Atom- zu Wind- und Sonnenkraft, gleichzeitig findet unter den fossilen Energieträgern, die unverändert den Großteil des Stroms liefern, aber ein anderer Wechsel statt: mehr Kohle und in geringerem Maß auch Öl, weniger Energie aus vergleichsweise sauberem und effizientem Gas.
Größter Profiteur dieser Entwicklung ist RWE, wie auch die heute vorgelegte Jahresbilanz 2012 zeigt. Der Konzern konnte den operativen Gewinn um 10 Prozent auf 9,3 Milliarden Euro steigern.
Ersatz für stillgelegte Atommeiler
Faktisch dienen eher Kohlekraftwerke als Ersatz für stillgelegte Atomkraftwerke zur Lieferung von Grundlaststrom, in der Spitzenlast verdrängen die Erneuerbaren zusammen mit Kohle die Gaskraftwerke, die doch ideal als Brücke zu einer CO2-freien Zukunft ideal wären. Im Ergebnis wird der Strom in Deutschland schmutziger hergestellt als vorher, zumindest in der Bilanz des vergangenen Jahres.
"Diese Entwicklung darf nicht zu einer Tendenz werden", warnte Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), und hoffte, die Zahlen als "Ausreißer in einer bisher positiven Entwicklung" darstellen zu können. Doch allmählich deutet sich auch ein längerfristiger Trend an. Die Bruttostromerzeugung aus Braunkohle erreichte 2012 mit 159 Milliarden Kilowattstunden den höchsten Wert seit 1990, Gasstrom mit 70 Milliarden Kilowattstunden den niedrigsten seit 2004.
RWE als Gewinner der Kohlewende, Eon als Verlierer
Kohlekraft in Deutschland, insbesondere Braunkohle, das heißt vor allem RWE. Der Konzern besitzt 26 mit Braunkohle betriebene Kraftwerksblöcke, mit einer elektrischen Leistung von fast zwölf Gigawatt der mit Abstand größte Anlagenpark zur Stromerzeugung, und weitere 16 Blöcke - überwiegend gemeinsam mit Partnern -, die mit Steinkohle laufen. Von den Großkraftwerken (über 100 Megawatt), die dem Konzern allein gehören, macht Braunkohle fast zwei Drittel aus.
Der größte Wettbewerber Eon dagegen hält nur Beteiligungen an drei Braunkohleblöcken, ist aber Spitzenreiter bei Atomkraft und Erdgas - den beiden Verliererthemen.
Das hilft zu erklären, warum sich die früher unzertrennlichen Stromkonzerne in öffentlichen Äußerungen zur Energiepolitik neuerdings so stark unterscheiden. Eon-Chef Johannes Teyssen warnt im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur davor, weitere verlustreiche Gaskraftwerke zu schließen - die Alternative dazu bestehe nicht etwa in einem kommerziellen Weiterbetrieb, sondern in der Übernahme der Anlagen durch die Bundesnetzagentur als Reserve gegen Entschädigung an Eon.
Das Kraftwerk Irsching in Ingolstadt liefen nur noch 1000 bis 2000 Stunden im Jahr statt 4000 bis 5000, erklärte Teyssen - "und dabei sprechen wir über die modernste und effizienteste Anlage in Deutschland mit einem Wirkungsgrad von mehr als 60 Prozent." Mit längeren Betriebszeiten würde sich noch nicht einmal etwas bessern, weil die Kraftwerke ja in jeder Stunde mit Verlust produzieren würden.
Die Misere der Gaskraft ist ein Ergebnis niedriger Verkaufspreise an der Strombörse (durch geringe Nachfrage und das wachsende Angebot von Kohle und Erneuerbaren ausgelöst), in Europa relativ teuren Erdgaseinkaufs und der von Teyssen beklagten Wettbewerbsverzerrung durch den "völlig am Boden" liegenden Markt für Emissionszertifikate. Teyssen wirbt darum, diesen Markt zu reparieren - das heißt, Kohlekraft entsprechend der von ihr verursachten Umweltlast zu verteuern.
RWE-Kollege Peter Terium dagegen hält sich zu dem Thema lieber bedeckt, räumt auf Nachfrage zwar Reformbedarf ein, zeigt aber wenig Neigung, den Status quo zu ändern.
Auch für Kohleverstromer ist nicht alles golden. Ihre Profite fallen wegen der niedrigen Börsenstrompreise geringer aus als ursprünglich gedacht, im Bau neuer Anlagen haben sich einige von ihnen verkalkuliert - mehrere neue Projekte kommen etwa wegen fehlerhaften Kesselstahls später ans Netz als geplant. Gleich sechs neue Steinkohlekraftwerke dürften deshalb in diesem Jahr den deutschen Strommix verändern, darunter auch wieder zwei neue Blöcke von RWE in Hamm.