Unprofitable Gaskraftwerke Deutscher Windstrom sorgt für Zwangspausen in Holland

Kraftwerksbaustelle von RWE in den Niederlanden: Wenig Glück mit Stromerzeugung aus Gas
Foto: dapdHamburg - Wenn über Norddeutschland eine frische Brise aufzieht, bereiten sich niederländische Kraftwerksbetreiber schon mal auf eine unfreiwillige Pause vor. In dem Moment, wo der deutsche Windstrom ins Netz drückt, wissen sie: Viele ihrer Anlagen sind jetzt erstmal nicht mehr gefragt. Es ist dann soviel billiger Saft in der Leitung, dass der sich zunehmend auch seinen Weg durch die Kuppelstellen an der Grenze bahnt.
Das relativ neue Phänomen ist auch eine Folge des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland. Galt die Bundesrepublik nach dem Teil-Atomausstieg im Frühjahr 2011 noch als möglicher Netto-Importeur von Strom, hat sich die Lage inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Selbst im Sommer, traditionell eine Importphase, führt Deutschland dank zahlreicher Solaranlagen inzwischen mehr Elektrizität aus als ein.
Für die niederländischen Versorger ist es inzwischen günstiger, im Osten einzukaufen als sämtlichen Strom selbst zu produzieren. "Die aktuelle Marktsituation machen die Schlussfolgerung sehr wahrscheinlich, dass die hohen Stromflüsse in die Niederlande durch die aktuelle Marktsituation für Gaskraftwerke bedingt sind", sagt ein Sprecher des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gegenüber manager magazin Online.
Gas ist derzeit zu teuer
In anderen Worten: Ihr Brennstoff ist derzeit so teuer, dass die zahlreichen niederländischen Gaskraftwerke derzeit nicht mit Kohleblöcken oder erneuerbare Energien konkurrieren können. Gleichzeitig ist der Preis für Kohle zuletzt gesunken. Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen übernehmen deshalb zusammen mit den erneuerbaren Energien zunehmend die Versorgung des Nachbarlandes.
Eine gute Entwicklung für die großen in Deutschland aktiven Versorger ist das aber nicht wirklich. Zwar können sie ihre Kraftwerke bei starkem Wind oder viel Sonne mitunter weiterlaufen und für das Ausland produzieren lassen. RWE, Eon und Vattenfall verfügen jedoch allesamt über üppige Gaskraftwerks-Kapazitäten in den Benelux-Ländern. Diese Anlagen müssen sie häufig herunterfahren, weshalb ihre Wirtschaftlichkeit sinkt. Der Fluch der Energiewende ereilt somit zum Teil also erst in Holland.
Nach Angaben des Informationsdienstes Bloomberg New Energy Finance war Grundlaststrom in den Niederlanden zuletzt vier bis acht Euro teurer pro Megawattstunde als in Deutschland - das sind an die 20 Prozent. "Die Importe sind eine Reaktion auf diesen Aufschlag", sagt Bloomberg-Analyst Brian Potskowski.
Mit durchschnittlichen Gaskraftwerken verlieren Versorger in den Niederlanden laut Bloomberg fünf Euro pro Megawattstunde. Mit Kohlekraftwerken verdienen sie dagegen 17 Euro pro Megawattstunde.
Deutschland exportiert so viel Strom wie nie zuvor
RWE beispielsweise kann sich darüber nicht uneingeschränkt freuen. Das Essener Unternehmen betreibt in Westdeutschland vor allem Kohlekraftwerke, die von der Situation zwar profitieren. In den Niederlanden und Belgien gehören der Tochter Essent aber viele Gaskraftwerke - der Anteil an der installierten Leistung betrug zuletzt etwa 55 Prozent.
Nun stehen die Blöcke häufiger mal still. "Die beschriebenen Effekte sind auch für unsere Anlagen zu beobachten", bestätigt ein RWE-Sprecher gegenüber manager magazin Online. Zunehmend konkurrierten die Kraftwerke in unterschiedlichen Staaten miteinander. "Strom wird in den Kraftwerken produziert, die das günstigste Angebot gestellt haben." Holländische Gaskraftwerke kämen zuletzt seltener zum Zug. Etwas besser sind offenbar die Aussichten für das im Bau befindliche Kohlekraftwerk bei Eemshaven.
Geringere Kraftwerkslaufzeiten gelten gemeinhin vor allem in Deutschland als Problem der großen Versorger, weil Solar- und Windkraftwerke hierzulande mehr und mehr Elektrizität einspeisen. Zudem sinkt aufgrund des hohen Stromangebots aus diesen Quellen mit marginalen Betriebskosten der allgemeine Strompreis an der Börse, was die Margen der Versorger zumindest mittelbar belastet. Doch durch die zusammenwachsenden Strommärkte verlagert sich das Problem häufiger ins Ausland.
Fossiler Anteil an holländischer Stromproduktion sinkt drastisch
Nicht viel besser ergeht es der Vattenfall-Tochter Nuon, die neun Gaskraftwerke in Holland betreibt. Das Unternehmen wollte die Entwicklung gegenüber manager magazin Online jedoch nicht kommentieren.
Die Niederlande importieren erst seit März dieses Jahres Mengen von um die 2000 Gigawattstunden für deutschen Strom. Im Frühjahr speisten die Solaranlagen in der Bundesrepublik so viel Elektrizität ein wie noch nie, der Preis für den Börsenstrom sank. Mit einem Mal flossen monatlich im Saldo um die 2000 Gigawattstunden rheinabwärts, in den Jahren zuvor waren es um die 500 (siehe Bildergalerie). Neue Leitungen beschleunigen den Trend.
Der deutsche Strom wurde so attraktiv für die Versorger im Nachbarland, dass der Energiemix dort mächtig durcheinander geraten ist. Noch im Februar betrug der Anteil fossiler Kraftwerke an der niederländischen Stromerzeugung 83 Prozent. Bis Mai rutschte er auf 55 Prozent ab, der Importanteil stieg auf 28 Prozent.
Unterm Strich macht die aktuelle Entwicklung Deutschland wieder zum Großexporteur für Strom. Von Januar bis September führten die Versorger laut vorläufigen Zahlen des BDEW im Saldo etwa 12,3 Terawattstunden Strom aus. Im Jahr vor dem Atomausstieg waren es im selben Zeitraum nur 8,8 Terawattstunden.