US-Stromkonzerne Auf Kollisionskurs mit Europas Stromriesen

US-Stromanbieter in Florida: Umsatzschwund zwingt die Versorger zum Kohleausstieg
Foto: CorbisHamburg - Die US-Versorger sind mit dem dramatischsten Wandel in ihrer Geschichte konfrontiert. Die stark fragmentierte Energiebranche muss sich auf deutlich schärfere Umweltbestimmungen einstellen, gleichzeitig betagte Kraftwerke auf Gas und erneuerbare Energieträger umrüsten und auch noch massiv in smarte Stromnetze investieren. Kein Stromanbieter in den USA symbolisiert diesen Wandel so wie die Southern Co. in Atlanta.
Dicke Kohlekraftwerksblöcke sind das Markenzeichen des Unternehmens. Die Energie, die Southern Co. darin entfesselt ist gigantisch - der regionale Versorger produziert fast so viel Strom wie alle Kraftwerke in Australien zusammen. Gigantisch ist aber auch die aufziehende Unwirtschaftlichkeit seiner Kohlekraftwerke: Weil andere Brennstoffe für Kraftwerke wie etwa Naturgas in den vergangenen zwölf Monaten um die Hälfte billiger wurden, ist der Betrieb von Kraftwerken mit Kohle im Verhältnis deutlich weniger profitabel geworden. Mehr noch: Der dramatische Preisverfall für Naturgas zwingt den zweitgrößten Stromanbieter der USA, sich im Rekordtempo von der Kohle zu verabschieden.
Allein in den vergangenen zwölf Monaten nahm der Gasverbrauch des Versorgers um 34 Prozent zu. Kohle steuert zur Stromproduktion des Unternehmens jetzt nur noch 35 Prozent bei - und spielt bei dem Versorger erstmals seit einhundert Jahren nur noch die zweite Geige. "Wir haben die Kohle halbiert", sagt Southern-CEO Tom Fanning. "Für jemanden wie uns ist das in nur fünf Jahren eine unglaubliche Transformation", sagt Fanning. Wie ihm geht es vielen Chefs in der US-Energiebranche - und alle brauchen dafür riesige Summen: Die US-Versorger benötigen in den kommenden 20 Jahren zwei Billionen Dollar für den Wandel, schätzen Energieexperten. Und der Kapitaledarf wird noch größer. Die US-Versorger modernisieren investieren auch verstärkt im Ausland.
Nach Einführung des Energy Policy Act im Jahr 1992, der die Regeln für Investitionen amerikanischer Stromfirmen im Ausland lockerte, haben über zwei Dutzend US-Versorger vor allem in Argentinien, Australien und Großbritannien Beteiligungen gekauft.
Auf Kollisionskurs mit Eon
Vor allem in Lateinamerika dürften sie dabei verstärkt europäischen Konkurrenten ins Gehege kommen. Die breiten sich dort im Augenblick teils rasant aus. Das gilt auch für deutsche Versorger, die nach dem Atomausstieg in Deutschland keinen großen Wachstumsmarkt mehr sehen.
So steigt der größte deutsche Energiekonzern Eon derzeit in den rasant wachsenden brasilianischen Markt ein. Das Unternehmen kündigte zu Jahresbeginn an, 10 Prozent der Anteile am brasilianischen Versorger MPX zu erwerben. Eon zahlt für die Beteiligung rund 350 Millionen Euro. Die beiden Stromanbieter gründen ein Gemeinschaftsunternehmen. Es soll in Brasilien und Chile Kraftwerke mit einer Kapazität von rund 20.000 Megawatt betreiben. Der Deal wird im laufenden Quartal über die Bühne gebracht.
Eon könnte sich dabei in Südamerika plötzlich US-Energiekonzernen gegenübersehen, die es an Größe vielleicht schon bald mit Deutschlands größtem Energieunternehmen aufnehmen können. Denn Amerikas Versorger beginnen, sich in ihrer eigenen Geldnot und Expansionslust zusammenzuschließen.
Das aktuell bekannteste Beispiel ist die von Duke Energy betriebene Integration mit Progress in North Carolina. Der Umfang des Deals wird mit etwa 17 Milliarden Dollar angegeben und soll - wenn die Bundesbehörde zustimmt - bis zum 1. Juli unter Dach und Fach sein. Diese Versorgerehe würde den größten Stromkonzern der USA hervorbringen. "Die fragmentierte Struktur der Industrie und die Möglichkeit, bedeutende Größenordnungen zu erreichen, werden die Fusionsaktivität in den USA weiter anheizen", sagt die Ratingagentur Fitch der Branche in den USA für die kommenden Jahre voraus. Das glaubt auch das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers: "Wir erwarten, dass die Versorger eher durch Käufe als durch den Bau eigener Anlagen wachsen."
US-Energiebranche unter Wandeldruck
Eon wird sich in Lateinamerika deshalb womöglich schon bald mit US-Energiekonzernen gegenübersehen, die erhebliche wirtschaftliche Macht in sich bündeln - während Eon selbst kräftig Firmenbesitz verkaufen muss, um das nötige Kleingeld für die neue Expansion in Amerika aufbringen zu können. Aktuell versucht das Düsseldorfer Unternehmen mit dem Verkauf seines Gasleitungsnetzes in Deutschland weitere Milliarden locker zu machen - sofern die nicht erst zur Verringerung der Schuldenlast des größten vollständig privaten Energieunternehmen Europas eingesetzt werden müssen. Tröstlich da für Eon, dass zumindest die Finanzierung von Übernahmen unter den US-Versorgern schwieriger wird, wenn sich die Börsen wegen der Turbulenzen in Europa und den grassierenden Konjunktursorgen weiter eintrüben.
Tröstlich für die Düsseldorfer wohl auch, dass die US-Versorger aktuell nicht nur mit einem eskalierenden Investitionsaufwand kämpfen, sondern auch mit einer Flaute bei den Einnahmen.
Geringer Stromverbrauch infolge einers der mildesten Winter in Amerika seit Generationen, hat etwa Southern Co. im ersten Quartal einen Gewinnrückgang von 13 Prozent beschert, die Umsätze der Kraftwerke in Alabama, Mississippi, Florida und Georgia fielen um 10 Prozent. Und an den Wetter- und somit Absatzbedingungen ändert sich derzeit nicht viel: Die National Oceanic and Atmospheric Administration hat allein für den März 15.000 gebrochene Temperaturrekorde in den USA gemeldet. Die Nachfrage nach Energie zum Heizen ging in Bundesstaaten wie Illinois um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.
So oder so: Experten erwarten, dass die US-Energiebranche vor einem tiefgehenden Wandel steht, der nicht nur die Eon-Manager an die Entwicklung des Energiesektors in Deutschland erinnern wird - und über die US-Manager noch vor Kurzem feixten.
Energiewende in Amerika?
Im März hat der Demokratische Senator Jeff Bingaman aus New Mexico den Clean Energy Standard Act of 2012 im US-Kongress eingebracht; das Papier hat im Gegensatz zu seinen vielen Vorläufern erstmals realistische Chancen, Gesetz zu werden. Bingaman will die Versorger verpflichten, ab 2015 mindestens 24 Prozent des produzierten Stroms aus "sauberen Energiequellen" zu beziehen, und bis 2035 jedes Jahr den Prozentsatz um drei Prozentpunkte anzuheben. Laut der Energy Information Administration der USA würde das Gesetz dazu führen, dass sich der Anteil der Windenergie bis 2035 mehr als verdoppelt. Den als saubere Energieträger werden in der Vorlage eben Wind, Wasser und Solarstrom, aber auch Naturgas, Biomasse - und Kernkraft bezeichnet.
Die Verantwortlichen bei Eon mag beruhigen, dass der Bau neuer Kernreaktoren gerade einiges an Kapital bindet, dass die US-Konkurrenz sonst womöglich zur Abwehr der Eon-Expansion in Lateinamerika aufwenden könnte. Bewegen sich die Düsseldorfer doch damit aus Sicht der US-Konzerne vor ihrer eigenen Haustür. Denn die Baukosten für die Reaktoren laufen nicht selten aus dem Ruder. So wie bei Progress Energy.
Der Versorger begann 2009, bei seinen Kunden zusätzliche Gebühren für den Bau eines neuen Atomkraftwerks einzusammeln. Geschätzte Kosten damals: vier bis sechs Milliarden Dollar. Inzwischen stehen auf dem Preisschild 24 Milliarden. Und Staatshilfen sind für solche Projekte auch nicht mehr so einfach in den USA zu bekommen:
Weil sich die US-Konjunktur wieder eintrübt und die Obama-Administration sich mit Kreditgarantien für den bankrotten Solarproduzenten Solyndra blamierte, sind im aktuellen Geschäftsumfeld auch die Finanzierungen von Großprojekten schwieriger geworden. Southern Co. in Atlanta erhielt im Februar zwar die Baugenehmigung für zwei neue Atomreaktoren in seiner existierenden Anlage "Plant Vogtle". Doch Verhandlungen mit dem Energieministerium in Washington über 8,3 Milliarden Dollar Kreditgarantien zum Bau der Anlage sind schwieriger als erwartet - die Obama-Administration hat die Bedingungen verschärft.
So treibt nicht nur der Drang nach Größe und profitableren Einheiten, sondern auch die schärferen Umweltvorschriften die Konsolidierung und Auslandsexpansion der Versorgerbranche der USA an. Wie erfolgeich sich Eon behaupten kann bleibt abzuwarten.