Holzpellets Europas Klimaschutz fördert Industrie in Kanada

Es ist ein Lehrstück über die globalen Folgen einer regionalen Entscheidung: Weil in Europa immer mehr auf Biomasse zur Energieerzeugung gesetzt wird, entsteht in Kanada eine potenzielle Milliardenbranche, die auch noch alte Industrien aus ihrer Krise führt. Die schaltet jetzt auf Wachstum.
Von Markus Gärtner
Nebenwirkung der europäischen Klimapolitik: Kanadas Holzindustrie lebt auf

Nebenwirkung der europäischen Klimapolitik: Kanadas Holzindustrie lebt auf

Foto: REUTERS

Hamburg - Europas Klimapolitik hat in der westkanadischen Provinz British Columbia einen ungeahnten Boom ausgelöst. Denn dort, Tausende Meilen vom alten Kontinent entfernt, werden jene kleinen Holzzylinder aus Biomasse gefertigt, mit denen die Europäer unter anderem ihre Energiewende befeuern wollen: Sogenannte Pellets, die hierzulande vornehmlich für die Heizung in Wohnhäusern und ehemaligen Kohlekraftwerken eingesetzt werden. Der Bedarf dafür scheint hierzulande ungebremst in die Höhe zu schnellen - und damit auch die Absatzchancen der kanadischen Pellet-Industrie.

Allein im vergangenen Jahr schossen die Pelletimporte der Europäer um 42 Prozent in die Höhe, heißt es bei Hawkins Wright, einem Beratungsunternehmen in der Holzbranche. Und just in jenem Jahr stieg Kanada bereits zum größten Überseelieferanten für die kleinen Holzzylinder auf: Eine Million Tonnen Pellets verschiffte Kanada 2010 über den Atlantik nach Europa, meist nach Amsterdam, oder zu britischen und belgischen Häfen.

Das wirft Gewinn ab, weil der Preis für herkömmliche Energieträger in Europa - vor allem Öl und Kohle - steigt und zugleich die Pellets in Kanada transportkostengünstig in Küstennähe produziert werden. So rentiert sich selbst die Verschifferei der Pellets nach Europa - trotz des 16.000 Kilometer langen Seewegs.

"Wir sind jetzt auf eine Größe gewachsen, dank der wir ganze Schiffe füllen können, und das macht den Pellet-Export nach Europa profitabel", sagt Leroy Reitsma, der COO bei Pinnacle Renewable Energy, dem ältesten und größten Pellet-Hersteller in British Columbia. Das Unternehmen betreibt derzeit sechs große Werke in der Provinz, eines davon ist ein Joint Venture mit dem börsennotierten Holz-Riesen Canfor.

Von dort, aus British Columbia, stammen auch die meisten Pellets, die ihren Weg nach Europa finden. Denn in British Columbia entstand innerhalb von ein paar Jahren aus einem Tante-Emma-Geschäft, bei dem Abfälle aus lokalen Sägewerken in Tüten und Eimern zu privaten Abnehmern getragen wurden, eine potenzielle Milliardenindustrie mit globaler Ausrichtung: Elf große Fabriken produzieren mittlerweile zwei Millionen Tonnen Pellets pro Jahr in British Columbia; vor einem Jahr waren es noch 1,2 Millionen Tonnen. Das hat geholfen, eine der traditionellen Industrien Kanadas aus ihrer tiefsten Krise zu führen und wieder Gewinne sprudeln zu lassen.

Nicht mal der starke Kanada-Dollar hat das globale Geschäft zuletzt nachhaltig gedämpft, der den begehrten Pellet-Rohstoff seit Monaten verteuert. Und das alles, weil am anderen Ende der Welt die Europäer den Ausstoß von Klimagasen bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent drosseln wollen. Die Fernwirkung ist in Kanada höchst willkommen.

Die Traditions-Branche fährt wieder Gewinne ein

Kanadas Holzindustrie war in den vergangenen Jahren in eine existenzielle Krise geraten: Der Einbruch des Immobilienmarktes beim traditionell wichtigsten Abnehmer USA - wo Häuser vornehmlich aus Holz gebaut werden - ließ den Absatz kollabieren. In den drei Jahren bis 2009 fuhren Holzfäller, Sägewerke und Zellstoffproduzenten auf kanadischer Seite kollektiv einen Verlust von 1,6 Milliarden Dollar ein. Doch im vergangenen Jahr haben sie erstmals wieder die Gewinnzone erreicht.

Geholfen haben ihnen dabei Chinesen und Europäer. China stieg im Juni zum größten Holzabnehmer vor dem traditionell wichtigsten Absatzmarkt USA auf. Und auch der Hunger der Europäer auf diese Pellets scheint kaum zu stillen: Als führende Importeure von Übersee-Pellets gelten in Europa mittlerweile die Niederlande mit jährlich 900.000 Tonnen, gefolgt von Großbritannien, Dänemark, Schweden und Belgien.

Im Kabinett von British Columbia reibt man sich die Hände, ob der kräftig sprudelnden Einnahmequelle für den Steuersäckel. "Unsere Lieferungen nach Europa und Asien haben ein großes Potenzial", jubelte im Mai Tourismusminister Pat Bell. "Japan und Südkorea fangen jetzt erst damit an, Pellet-Importe überhaupt ernsthaft zu prüfen", sagt Bell. Der Boom verursacht unterdessen erste Kopfzerbrechen. Es geht jedoch nicht um Fertigungskapazitäten.

Als größtes Problem erweist sich stattdessen das Abwicklungsvolumen der Häfen, meist Prince Rupert oder Vancouver. "Wir exportieren im laufenden Jahr fast zwei Millionen Tonnen", sagt Bell, "das kann man nicht einfach im Vorbeigehen mit Kohle mischen, das muss getrennt transportiert werden, und wir können nicht im Regen die Schiffe beladen, weil nicht alle Förderbänder überdacht sind". In British Columbia selbst gibt es bislang keinen kommerziellen Markt für die Holzpellets. Kanada ist hinter den Europäern bei der Förderung alternativer Energien einige Jahre hinterher.

Die Pellets werden aus dem Abfall der Sägewerke und von den Überresten der Waldrodung gewonnen. In British Columbia gibt es die im Überfluss. Dazu hat auch der gefürchtete Bergkiefern-Käfer beigetragen, der in den vergangenen Jahren große Waldbestände vernichtete und absterbendes Holz zurücklässt, das nicht mehr komplett verarbeitet werden kann. Die Holzreste werden getrocknet, pulverisiert, und dann zu Zylindern mit 6 Mal 20 Millimeter Größe verarbeitet. Aus einer Tonne Holz entstehen dabei 500 Kilogramm Pellets.

Die Herstellung der Pellets ist teurer als die Förderung von Kohle, aber nur, wenn die Umweltkosten nicht berücksichtigt werden und für alternative Energien keine Anreize geschaffen werden. "Wenn Sie auf die Kosten pro Megawatt schauen", heißt es beim Wood Pellet-Verband von Kanada, "dann ist Kohle billiger, aber wenn man die Umweltkosten berücksichtigt, schauen Pellets ziemlich attraktiv aus".

Das ist der Grund, warum auch in den benachbarten USA der Pellet-Hunger der Europäer einen Boom ausgelöst hat. Noch vor sieben Jahren gab es keine nennenswerte Produktion. Jetzt werden jährlich zwei Millionen Tonnen Pellets gepresst, meist in den Südstaaten oder im Westen des Landes. Dort allerdings werden 80 Prozent der Produktion an lokale Abnehmer verkauft. Die Nachfrage hat so stark zugenommen, dass jetzt für die Pelletproduktion auch in großem Umfang Späne eingesammelt werden, die große Sägewerke früher allein an die Zellstoffindustrie geliefert haben.

In Europa überholt der Verbrauch die Produktion

Laut dem North American Wood Fiber Review haben die USA und Kanada zusammen im vergangenen Jahr 1,6 Millionen Tonnen Pellets nach Europa verschifft. Damit hat sich das gemeinsame Liefervolumen der beiden Länder an die Europäer seit 2008 verdoppelt. In der Pelletbranche wird keine Anstrengung gescheut, um die kommerziellen Bande noch weiter zu stärken. Das deutsche Pellet-Institut nahm vor kurzem Ex-Rennfahrer Hans-Joachim "Striezel" Stuck als Werbebotschafter unter Vertrag.

Stuck, bekannt als "König von Hockenheim", betreibt mit seiner Frau Sylvia am Yukon ein touristisches Unternehmen. Stucks Frau ist bei der Fluggesellschaft "Yukon Wings" für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Der frühere Formel-1-Pilot selbst hat ein Auge auf die "Yukon River Cruises", wenn er nicht gerade als Repräsentant für Volkswagen  über irgendwelche Pisten braust.

Jetzt lockt der Pelletboom, den die Europäer in Nordamerika ausgelöst haben, auch schon große Investoren über den Atlantik. Der RWE-Konzern hat mit seiner Ökostrom-Tochter Innogy gerade in Georgia, im Süden der USA, das weltweit größte Pelletwerk in Betrieb genommen. Rund 120 Millionen Euro wurden investiert, um in der Stadt Waycross jährlich 750.000 Tonnen Pellets für den Export nach Europa zu fertigen.

In Europa hat der Verbrauch die Produktion überholt. In Nordamerika ist die Situation umgekehrt, wie Innogy-Chef Fritz Vahrenholt bemerkt. Nach seinen Informationen herrscht auf der anderen Seite des Atlantiks 35 Prozent Überschuss. "Europa", so Vahrenholt, "kann mit Hilfe dieser überseeischen Vorkommen seine CO2-Ziele erreichen".

Ende Juni wurde im niederländischen Seehafen Dordrecht das erste Schiff mit Pellets aus Waycross gelöscht. Es hatte 23.000 Tonnen des klimafreundlichen Breenstoffs an Bord, bestimmt für das Kohlekraftwerk Amercentrale der niederländischen RWE-Tochter Essent. Welche strategische Bedeutung das neue Werk in Georgia für den RWE-Konzern hat, sieht man an der Kapazität: Sie entspricht drei Viertel dessen, was Kanada als größter Überseelieferant der Europäer im Jahr verschifft.

RWE  profitiert vor Ort in Georgia von einer guten Versorgungslage. Der Einbruch des Immobilienmarktes - der Ausgangspunkt und Epizentrum der Finanzkrise 2008 war - sowie der Rückzug mehrerer Papier- und Zellstoff-Unternehmen hinterlässt lokal einen erheblichen Holzüberschuss. Der schwache Dollar subventioniert die neue Produktion.

Ein zweites Beispiel dafür, wie der Pellet-Exportboom in Nordamerika auch deutsche Investoren anzieht, ist die German Pellets GmbH. Sechs Jahre nach seinem Start gilt das Unternehmen in Wismar bereits als Europas größer Pelletproduzent. German Pellets führt mit der amerikanischen Westervelt Renewable Energy in Tuscaloosa - wo Mercedes ab 2014 die neue C-Klasse produziert - Gespräche über ein gemeinsames Pelletwerk. Es soll ab Anfang 2012 jährlich 250.000 Tonnen produzieren. Eine mögliche Verdoppelung der Kapazität ist vorgesehen, heißt es bei Westervelt, einem der größten Waldbesitzer in den USA.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren