Kopenhagen "Der Klimagipfel braucht eine andere Tagesordnung"
mm.de: Herr Scheer, gerade hat der Weltklimagipfel in Kopenhagen begonnen. Was darf man von einer Konferenz erwarten, die bereits im Vorfeld so oft für tot erklärt wurde?
Scheer: Das gehört ja zu dieser Art von Veranstaltungen dazu. Noch vor jeder Klimakonferenz in den vergangenen Jahren hat man zunächst riesige Erwartungen in der Öffentlichkeit aufgebaut, dann durch gezielte Ankündigungen den Eindruck zu erwecken versucht, das Treffen sei zum Scheitern verurteilt. Und am Ende wird ein Minimalkonsens als vergleichsweise großartiges Ergebnis verkauft.
mm.de: Warum ist das so?
Scheer: Es hat mit den Ausgangsbedingungen der Veranstaltung zu tun. Hier treffen die Vertreter von weit über 100 Staaten zusammen, um sich auf ein gemeinsames Programm für den Klimaschutz zu verständigen. Diese Länder sind aber höchst unterschiedlich: Industrienationen, Entwicklungsländer, Schwellenländer. Sie unterscheiden sich in Sozial- und Industriestrukturen, bei Rohstoffvorkommen und im technischen Reifegrad. Eine Lösung, die allen diesen Anforderungen gerecht wird, ist zwangsläufig ein Minimalkonsens.
mm.de: Das wird auch in Kopenhagen so sein?
Scheer: Die Erfahrung aus 15 Klimagipfeln lehrt uns: Ja. Das Schlimme daran ist, dass der Minimalkonsens, der üblicherweise gefunden wird, nicht das Minimum dessen beschreibt, was angesichts des Klimawandels notwendig wäre. Vielmehr hinkt er dem Notwendigen hinterher.
mm.de: Trotzdem wird er als Erfolg gefeiert ...
Klimagipfel Kopenhagen: Die Knackpunkte
Die internationale Staatengemeinschaft will sich vom 7. bis 18. Dezember in Kopenhagen auf ein neues Weltklimaabkommen einigen. Es wird das Kyoto-Protokoll ersetzen, das 2012 ausläuft. Es schreibt vor, dass die Industrieländer die Emissionen der wichtigsten Treibhausgase zwischen 2008 bis 2012 um durchschnittlich 5,2 Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Doch die USA, bis vor Kurzem der größte Kohlendioxid (CO2)-Emittent, haben das Abkommen nie ratifiziert. Und China, heute größter Luftverschmutzer, bekam überhaupt keine verbindlichen Reduktionsziele vorgeschrieben, weil es damals noch als reines Entwicklungsland eingestuft wurde.
Die G8-Staaten haben sich grundsätzlich zu dem Ziel bekannt, den globalen Temperaturanstieg im Vergleich zum Beginn des Industriezeitalters auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Auch die Schwellenländer haben sich dem jetzt angeschlossen. Doch konkrete Vorgaben und Zusagen zur Finanzierung fehlen noch - deshalb könnte es beim bloßen Lippenbekenntnis bleiben.
Außer den USA und China sollen diesmal auch die anderen Schwellenländer wie Indien, Mexiko oder Brasilien ins Boot geholt werden. Insgesamt werden 192 Staaten nach Kopenhagen reisen. Doch auch die Entwicklungsländer sollen Verantwortung übernehmen und Wege festlegen, wie sie klimaschonendes Wirtschaftswachstum erreichen wollen. Der Westen ist dafür auch zu Finanz- und Technologietransfers bereit.
Europa - vor allem Deutschland - sieht sich gerne als Vorreiter im globalen Kampf gegen die Erderwärmung. In den globalen Verhandlungen tritt das Bündnis gemeinsam auf, vertreten von der EU-Kommission und der EU-Ratspräsidentschaft, derzeit Schweden. Die 27 EU-Staaten haben im Dezember in ihrem "EU-Klimapaket" beschlossen, bis 2020 den CO2-Ausstoß um ein Fünftel gegenüber 1990 zu senken. Jetzt fordert die EU von den anderen großen Verschmutzern ähnliche Bekenntnisse.
Doch während in der EU, aber auch in Russland, der CO2-Ausstoß von 1990 bis 2005 wegen des Zusammenbruchs der Ostblock-Schwerindustrien sowieso sank, stieg er im gleichen Zeitraum in den USA, Japan und anderen großen Industrienationen. Gemessen am derzeitigen Niveau müsste die EU ihren Ausstoß nur noch um zwölf Prozent senken. Besonders Japan fordert deshalb 2005 als Basisjahr und hat ein Reduktionsziel von 15 Prozent angeboten. Die USA wollen ihre Treibhausgase im gleichen Zeitraum um 17 Prozent reduzieren. Der Weltklimarat (IPCC) fordert Minderungen um 25 bis 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990.
Der Streit um das Basisjahr steht symptomatisch für das globale Ringen um die Lastenteilung. Die Entwicklungs- und Schwellenländer beharren auf der Schuld des Westens am Klimawandel und fordern ihre Rechte auf Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Die Industrienationen sind bereit, der Dritten Welt zu helfen, wollen aber noch keine konkreten Zahlen auf den Tisch legen. Experten zufolge dürften bis 2020 mindestens hundert Milliarden Euro im Jahr fällig werden. Umstritten ist auch der Schlüssel, mit dem die Gelder auf die einzelnen Länder umgerechnet werden sollen.
Experten streiten zudem darüber, ob Technologien wie die CO2-Abscheidung und -Lagerung oder klimafreundliche Projekte in Entwicklungsländern angerechnet werden können, oder ob sie nicht vielmehr das Problem nur aufschieben und deshalb abzulehnen sind.
Gibt es in Kopenhagen keine Einigung, ist nicht alles verloren, aber es wird zeitlich eng: Bis 2012 muss eine neue Konvention ratifiziert sein, da dann das Kyoto-Protokoll ausläuft. Und sollte die Weltgemeinschaft nicht zusammenstehen, dürfte die Erderwärmung ungebremst weitergehen. Experten warnen, dass die Temperaturen noch in diesem Jahrhundert um mehr als sechs Grad steigen würden. Es drohen katastrophale Überschwemmungen wegen der Eisschmelze, Dürren, Stürme, Artensterben und Millionen "Klimaflüchtlinge". ssu/dpa
Scheer: ... der nicht ehrlich ist. Aber aus Sicht der Politiker ist das verständlich, denn sie wollen nicht als Versager heimkehren. Schlimmer finde ich etwas anderes: Weil der Minimalkonsens als Erfolg dargestellt wird, dient er bei späteren Verhandlungen als Messlatte. So werden die Erfolge einzelner Staaten bei der Reduktion von Treibhausgasen immer gemessen an einer Zielsetzung, die von Anfang nicht ambitioniert war.
mm.de: Wenn Sie Recht haben, darf man sich selbst über einen vordergründig erfolgreichen Klimagipfel nicht freuen.
"Emissionshandel beruht auf schädlicher Prämisse"
Scheer: Die bisherigen Ergebnisse sind ja auch kein Grund zur Freude. Sehen Sie, in Kopenhagen soll das Nachfolgeprotokoll zum Kyoto-Protokoll verhandelt werden. Seit der Klimakonferenz von Kyoto 1997 laborieren die Staaten praktisch nur noch an einem einzigen Instrument, das die Lösung für alle klimapolitischen Probleme darstellen soll, nämlich den Emissionsrechten.
mm.de: Mit diesen Rechten werden die Einsparverpflichtungen der Länder verteilt, weil jede Fabrik nur noch soviel Klimagasse ausstoßen darf, wie ihr rechnerisch zugestanden wurde. Bläst sie mehr in die Luft, muss sie Emissionsrechte von jemandem kaufen, der der Umwelt Abgase erspart hat. Das belohnt Umweltschützer und macht Luftverpestung teuer. Was ist schlecht an dem System?
Scheer: Mich ärgert, dass die Summe der Emissionsrechte, auf die man sich in Kopenhagen verständigen wird, wieder einmal zu hoch liegen wird. An dem Prinzip stört mich, dass es darauf abstellt, Klimaschutz auf eine dumpfe Berechnungseinheit zu reduzieren. Luft wird dabei monetarisiert. Die einzige Motivation, die noch zählt, ist die, bei den Ausgaben für Emissionsrechte Geld einzusparen. Das entwertet andere Motivationen. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmer den Umweltschutz ernstnimmt und deswegen seinen Strom aus erneuerbaren Energien bezieht. Oder wenn klimaschonende Technik installiert wird, um ein Stadtviertel energetisch unabhängig zu machen.
mm.de: Die finanzielle Motivation mag nicht so ehrenhaft sein, funktioniert aber immerhin bei Leuten, die nicht sonderlich idealistisch sind.
Scheer: Sie basiert auf einer falschen und schädlichen Prämisse: Klimaschutz wird als Last wahrgenommen, der man sich irgendwie entledigen muss. Es stehen immer die Kosten des Klimaschutzes im Vordergrund.
mm.de: Die sind ja auch nicht zu unterschätzen.
Scheer: Natürlich ist da viel Geld im Spiel. Aber alle Daten zur Klimaschadenentwicklung zeigen, dass es noch viel teurer wird, wenn wir nicht in erneuerbare Energien und Energiespartechnik investieren. Außerdem geraten bei einer einseitigen Kostenbetrachtung die Chancen leicht in Vergessenheit. Mit den neuen Techniken zur Energiegewinnung haben wir es mit einer echten technologischen Revolution zu tun. Die bricht zwar alte Strukturen auf, hat aber auch ein großes Potenzial für neue Arbeitsplätze. Geschickt verwendet, sind die Kosten des Klimaschutzes doch Investitionen.
mm.de: Warum soll der Emissionshandel nicht die von Ihnen beschriebene technologische Revolution befördern?
"Welche Revolution wurde durch einen internationalen Vertrag ausgelöst?"
Scheer: Gegenfrage: Welche technologische Revolution wurde schon durch einen internationalen Vertrag ausgelöst? Keine. Der Emissionshandel ist ineffektiv und vermag keine Begeisterung zu wecken, die für wirtschaftliche Dynamik so wichtig ist. Außerdem ist er auf eine Weise bürokratisch, die geradezu wirtschaftsfeindlich ist.
mm.de: Und wie löst man eine technologische Revolution aus?
Scheer: Indem man auf einem Gebiet Vorreiter ist. Stellt sich der Erfolg ein, werden alle Konkurrenten nachziehen wollen. Das funktioniert auch mit erneuerbaren Energien und Klimaschutz, Deutschland ist das beste Beispiel: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fördert die revolutionäre Technik, die sonst zum Einstieg zu teuer wäre, um am Markt akzeptiert zu werden. Durch dieses Gesetz werden Investitionen in eine klimaschonende Energieerzeugung rentabel gemacht, weil der produzierte Strom zum Garantiepreis abgenommen wird.
Das Gesetz hat inzwischen weltweite Vorbildwirkung. Das liegt daran, dass es besser funktioniert als der Handel mit Emissionsrechten. Damit sollen in der EU bis 2012 rund zehn Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Zum Vergleich: Dank EEG sparen wir allein in Deutschland 7 bis 8 Millionen Tonnen ein - pro Jahr!
mm.de: Wenn das EEG so vorbildlich ist, schlägt sich das nicht auch auf dem Klimagipfel in Kopenhagen nieder?
Scheer: Wahrscheinlich nicht in dem Minimalkonsens, auf den man sich verständigen wird. Wie gesagt, auf höchster Ebene wird es wieder nur um Emissionsrechte gehen. Aber das ist eben die falsche Schwerpunktsetzung. Die Klimagipfel brauchen eine andere Tagesordnung.
mm.de: Was sollte darauf stehen?
Scheer: Alles, was den Ausbau erneuerbarer Energien befördert und beschleunigt. Zum Beispiel geben einzelne Entwicklungsländer nahezu 100 Prozent ihrer Deviseneinnahmen für Energieimporte aus. Diesen Ländern muss man helfen, eine neue Infrastruktur mit erneuerbaren Energien aufzubauen. Ähnlich wäre es mit Zollerleichterungen für Energietechnik, und sei es nur bei Lieferungen in Entwicklungsländer. All das wäre gut angelegtes Geld, für den Klimaschutz wie für die Entwicklungshilfe. Und die Wirtschaft in den Geberstaaten würde auch profitieren.