Überblick in Grafiken Kaufhäuser in der Krise – wie sich der Einzelhandel verändert hat

Einkaufen in der City: Das Einkaufsverhalten ändert sich grundlegend – und damit auch die Innenstädte
Foto: Daniel Bockwoldt / dpa"Der Handel ist der Hauptgrund für einen Innenstadtbesuch", proklamiert Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des deutschen Handelsverbands (HDE). Doch wird das auch so bleiben? Der Handel ist im Umbruch. Während der Coronapandemie hat Deutschland rund 41.000 Einzelhändler verloren. Und die Angst geht um, dass es noch mehr werden könnten. Insbesondere die Schließungen von weiteren Galeria-Filialen treiben Städteplaner, Citymanager und Bürgermeister, aber auch Händler um.
"Man muss sich immer die Frage stellen, was die Kunden heute und morgen wollen", sagt Patrick Müller-Sarmiento, Leiter des globalen Bereichs für Consumer Goods & Retail bei Roland Berger gegenüber manager magazin. Das gilt auch für die künftige Entwicklung von Innenstädten.
"Kaufhäuser wurden seit ihrer Entstehung zu Symbolen für ein modernes Einkaufserlebnis", sagt Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik. Doch es ist schon lange her, dass Waren- und Kaufhäuser als "Kathedralen des Handels" und "Paradies der Damen" gefeiert wurden. Damals wurde Luxusware plötzlich erschwinglich, Arm neben Reich wandelte an den Waren-Auslagen vorbei. "Einkaufen wurde zum Erlebnis, Luxus demokratisiert", betont Müller-Sarmiento.
Das Kaufhaus verliert an Bedeutung
"Auch heute gelten Kaufhäuser in Innenstädten als Konsummagneten, die Frequenz und Belebung versprechen", meint Wagner-Endres. Doch ist das überall so?
Erste Kaufhäuser entstanden bereits im 19. Jahrhundert. Bis in die 1920er Jahre eröffneten etliche Häuser in Groß- und Mittelstädten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Wiederaufbau und viele neue Häuser wurden gebaut. Doch nur wenig später wurden die ersten Einkaufszentren auch auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft. Kunden wanderten in die neuen "Kathedralen" draußen vor der Stadt ab, gleichzeitig erlebte der Discount seinen Aufstieg.
Die 1970er Jahre waren schließlich die Zeit der großen SB-Warenhäuser, die ebenfalls vor allem auf der grünen Wiese entstanden. Das waren zum Beispiel Globus, Real und Kaufland. Sie kamen aus dem Lebensmittelhandel und boten plötzlich auf großer Fläche auch Non-Food-Ware an. "Die Auswahl war riesig", beschreibt Michael Gerling, Geschäftsführer am EHI Retail Institute in Köln, gegenüber manager magazin.
Wie attraktiv großflächige Geschäfte waren, entdeckte auch der Fachhandel und siedelte sich ebenfalls auf der grünen Wiese an, woraus sich dann große Fachhandelsketten entwickelten – für Möbel-, Futter- und Elektronik. Vertikale Handelssysteme entstanden, deren prominente Vertreter beispielsweise Ikea und H&M sind und die durch ihr schnelles Reagieren auf Trends bei den Kunden punkteten.
Shoppen auf der Wiese
Riesige Shoppingcenter wuchsen ebenfalls auf der grünen Wiese, dann auch in den Innenstädten. Ihr Ziel: die besten des jeweiligen Segments, angepasst an den jeweiligen Standort unter einem Dach zu vereinen. Das Kauf- und Warenhaus? Galt als verstaubt und verlor erneut angesichts der Konkurrenz.
Mit dem Aufkommen des Onlinehandels bedrohten zudem neue Wettbewerber den stationären Einzelhandel. Von 2004 bis 2022 wuchs der Onlineanteil am Einzelhandelsumsatz stetig, wie die Grafik zeigt. Zunächst traf es besonders den Buchhandel, dann die Elektronikhändler, derzeit die Mode. Die Folge: Filialschließungen und Reduktion der Flächen einzelner Geschäfte oder Ketten.
In der jüngsten Zeit ließ die Pandemie zudem den Onlineumsatz sprunghaft ansteigen. In einzelnen Branchen wie Mode oder Elektro nähere sich der Anteil der 50-Prozent-Grenze, heißt es. Zuletzt verbuchte der Onlinehandel allerdings ein deutliches Minus beim Umsatz – das mag dem Wegfall der meisten Corona-Maßnahmen geschuldet sein. Von einem längerfristigen Rücklauf geht die Branche aber nicht aus.
Über die Jahre konstant hält sich der Umsatzanteil des Lebensmittel-Einzelhandels – mit leichten Schwankungen zwischen neun und 11,5 Prozent, ähnlich wie die Umsätze der Discounter, die um 15 Prozent des Umsatzes des Einzelhandels ausmachen. Der Fachhandel hingegen verliert zuletzt leicht.
Wie geht es weiter? Die grüne Wiese hat jedenfalls schon lange an Schwung verloren. "Die Innenstadt ist nicht tot – sie muss nur wieder zum Ort der Begegnung entwickelt werden", bekräftigt Müller-Sarmiento. Auch Gerling blickt positiv auf Innenstädte. "Die Kundenfrequenz lag 2022 acht Prozent unter dem Niveau von vor Corona", weiß er zu berichten. "In manchen Innenstädten kamen im Weihnachtsgeschäft 2022 sogar mehr Kundinnen und Kunden als 2019."
Die Verkaufsflächen sind derzeit zwar leicht rückläufig, aber es finden sich auch neue Nutzer für freiwerdende Flächen. Tatsächlich suchen Händler plötzlich Einzug in die Innenstädte, die vorher nur in den Randgebieten zu finden waren - wie Ikea und verschiedene Baumärkte. Zusätzlich eröffnen Hersteller wie Dyson oder Peleton Präsenzen in der City. Gleichzeitig reduzieren andere wiederum ihre Flächen – wie beispielsweise H&M und Douglas.
Grundsätzlich müsse "man sich fragen, wie wir leben wollen", sagt Müller-Sarmiento. Handelszentren müssten gut zu erreichen sein. Innenstädte und Einkaufsstraßen bräuchten Plätze zum Verweilen und des Austausches. Konzepte wie die 15-Minuten-Stadt werden diskutiert, Nahversorgungszentren sollen in kurzer Reichweite entstehen, auch um den Verkehr zu entlasten.
Für Kaufhäuser bleibt die Situation schwierig. Ihr Anteil am Gesamtumsatz des Einzelhandels sinkt zusehends. Im Jahr 2000 lag er noch bei 4,2 Prozent, 2020 sind es bei abnehmender Filialanzahl nur noch 1,6 Prozent. Die Konkurrenz in den Städten ist hoch. Und "die klassische Bedarfsdeckung hat der Online-Handel für sich beansprucht", sagt Müller-Sarmiento.
Luxus als Umsatztreiber
Neue Konzepte sind gesucht. "Früher boten die Häuser ein viel breiteres Sortiment an", erklärt Gerling. Da gab es eine Möbelabteilung, Haushalts- und Unterhaltungselektronik sowie einen Fahrradbereich. Doch das Aufkommen der Fachmärkte sorgte dafür, dass sich das Angebot veränderte.
Wo aber haben Warenhäuser heutzutage ihre Kernkompetenz? Ohne Frage funktioniert das Luxussegment, sind sich die Experten einig. Die KaDeWe Group, die in Deutschland das KaDeWe in Berlin, das Oberpolliger in München und das Alsterhaus in Hamburg betreibt, macht es vor. Die klare Fokussierung der Häuser unterstrichen die Eigentümer um René Benko noch im Herbst 2021, als sie die britische Luxushauskette Selfridges übernahmen.
Neben Luxus wird Kaufhäuser im Allgemeinen noch in den Segmenten Unterwäsche und Strümpfe hohe Kompetenz zugemessen. Andere Bereiche kämpfen mit großer Konkurrenz. Wer da nichts anderes böte als ohnehin alle haben, verlöre, heißt es in der Branche.
Die Nahversorger
Potenzial für die Kaufhäuser sieht Gerling in der Nahversorgung. So heißt es in einem Bericht des Einzelhandelsverbands, dass der Homeoffice-Trend den Nahversorungsbedarf gerade in den Innenstädten von Zentren im Speckgürtel von Großstädten verstärkt habe. Händler profitierten hier besonders unter der Woche, während Innenstädte von Großstädten wiederum am Wochenende an Attraktivität gewönnen.
Auch der Kaufhauskonzern Galeria hat die Nahversorgung entdeckt und will die Filialen stärker an lokale Gegebenheiten anpassen. So wurde in Kassel bereits das erste Haus nach den Bedürfnissen vor Ort ausgerichtet. Dennoch droht einem großen Teil der Filialen die Schließung oder der Verkauf.
Dass es auch Konzepte jenseits dieser Szenarien gibt, beschrieb der SPIEGEL jüngst in einem Artikel. Geschickt agiere beispielsweise das Kaufhaus La Rinascente in Mailand, heißt es da. Neben immer neuen besonderen Aktionen und Umgestaltungen im Haus habe es einen erfolgreichen Onlinehandel per WhatsApp-Bestellung etabliert.
"Um erfolgreich zu sein, müssen am Ende Händler alle Wege zum Kunden, also alle Kanäle bespielen", meint Müller-Sarmiento. Die Verkaufsfläche wird dann wahrscheinlich deutlich kleiner werden, so die Prognose. Ob im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung noch Mitarbeiter für die Kasse oder lieber für eine exzellente Beratung vor Ort eingesetzt werden, bleibt dabei jedem Händler selbst überlassen.
Wie aber könnte die Nutzung der Kaufhaus-Immobilien noch aussehen? "Die zentrale Lage der meisten innerstädtischen Kaufhäuser ist attraktiv und eignet sich grundsätzlich als Begegnungsort für viele Anlässe", konstatiert Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik. "Neben Einkaufen könnte das aber auch Nutzungen für Kunst, Kultur, Bildung, Gesundheit, Büro & Co-Working bis hin zum Wohnen sein." Von Kletterhalle bis Altersheim, Wohnungen, Hotels, Ateliers oder Museen bis zur Integration von Servicestellen von Ämtern oder Verkehrsbetrieben – alles scheint möglich. "Jede Innenstadt ist anders", sagt die Difu-Dozentin. Und das spiegele sich am besten in einer individuellen Mischung.