Die Berliner mauern
Wann und womit alles begann? Gute Frage. Nehmen wir einmal die Gründung der Berlin Brandenburg Flughafen Holding GmbH als Ursprung der Burleske.
Im Frühjahr 1991 fanden Vertreter des Bundes sowie der Länder Berlin und Brandenburg beschwingt zueinander, um einen neuen, privat zu führenden Großflughafen in den märkischen Sand zu setzen. Ein Milliardenprojekt als infrastruktureller Segen für Millionen Passagiere - mit Myriaden Problemen im Anflug.
Erst stritten die Beteiligten ein halbes Jahrzehnt darüber, wo genau der Giganten-Airport hin soll, dann wurde weitere dreieinhalb Jahre - oft abwärts der Gürtelschnalle - darum gerungen, wer ihn bauen, wer ihn betreiben darf.
Und dann kam der 7. Februar 2000.
An diesem Montag hatten sämtliche Vorhaltungen und juristischen Zwischenspiele augenscheinlich ein Ende. Nachdem der Beschluss immer wieder vertagt worden war, entschieden die Flughafengesellschafter auf einer lebhaften Aufsichtsratssitzung: Das weiland erwählte Konsortium um den Baukonzern Hochtief wird wegen vermeintlich unsauberer Methoden von der Vergabe ausgeschlossen; stattdessen verhandeln die Privatisierer mit IVG-Chef Eckart John von Freyend und Alliierten zu Ende.
Vergeben, verziehen, kein zornerfüllter Blick zurück? Ganz im Gegenteil: alles noch einmal von vorn.
Auf Initiative der PDS, Oppositionspartei im SPD/CDU-regierten Brandenburg, wird wohl demnächst ein Untersuchungsausschuss das Unterste nach oben wenden. Was dabei herauskommt, davon hat der Berliner Jurist Markus Kerber, der das demokratische Aufarbeiten begleitet, mehr als nur eine wolkige Ahnung: Bei der Privatisierung des Großflughafens, sagt Kerber, "haben die Politiker jämmerlich versagt".
Nicht nur dort. Wenn es nur der Tragik-Terminal wäre: Ganz Berlin sollte Modell stehen für die erfolgreiche Privatisierung öffentlicher Betriebe. Erwartungsvoll schauen andere Kommunen, die ihre schwerfälligen und vom Wettbewerb bedrohten Unternehmen zu Geld machen wollen, auf diese Stadt.
Doch die bisherige Bilanz fällt wenig ermunternd aus. Ob Luft-Nummer, Wasser-Fall oder Strom-Blitzverkauf: nicht zum Nachahmen geeignet, eher als Abschreckung.
Immerhin: Seit 1994 haben die Großkoalitionäre von CDU und SPD für rund 14 Milliarden Mark Landesvermögen abgegeben, darunter wichtige Firmenbeteiligungen von zehn Milliarden Mark (siehe Tabelle unten).
Meist gingen die Politmanager allerdings stümperhaft zu Werke. Verpatzte Preisverhandlungen, amateurklassige Verträge, Interessenkonflikte und gelegentliche Durchstechereien: Inkompetenz und Unver- mögen lösten einander ab.
Mit derben Konsequenzen. Mal kippten die Gerichte wacklige Privatisierungskonstruktionen, dann zuckten Investoren verschreckt zurück, und oft musste das Land - vulgo Steuer- und Gebührenzahler - hunderte Millionen Mark nachschießen. Berlin, mault Günter Brinker, Vorsitzender des örtlichen Steuerzahler-Bundes, "als Paradebeispiel für Kapitalverschwendung und ökonomischen Dilettantismus".
Dass die Hauptstadt nicht zum privatwirtschaftlichen Muster taugt, zeichnete sich im Grunde schon früh ab. Das war der Zeitpunkt, als Günter Rexrodt auf Umwegen in diese Geschichte gelangte.
Rexrodt, Bundeswirtschaftsminister zu seligen Bonner Zeiten, kann die Rolle des Wegbereiters für sich reklamieren. Damals, von 1985 bis 1989, als die Freidemokraten mit der Union in Berlin paktierten, planierte Bürgemeis- ter Eberhard Diepgen (CDU) seinem Finanzsenator eine, wie dieser es heute nennt, "liberale Spielwiese": Rexrodt durfte ein wenig privatisieren, die CDU konnte in Ruhe regieren.
Der FDP-Mann stieß hier ein paar Beteiligungen ab, gab dort ein bisschen in den freien Markt und emittier- te sogar einen Staatsbetrieb - wenngleich das Fernheizwerk Neukölln (Marktkapitalisierung: knapp 56 Millionen Mark) nicht gerade unter dem Brennglas der Börsianer liegt.
Nach Rexrodt kam lange nichts. Die nächsten großen Schritte ging Annette Fugmann-Heesing, von 1996 bis 1999 Finanzsenatorin in großer Koalition. Anders als ihr liberaler Vorgänger trieb die eiserne Sozi-Lady die Privatisierung jedoch weniger aus marktwirtschaftlicher Ordnungsliebe voran, sondern aus Not.
Die vom Mauerfall und Subventionsstopp paralysierte Stadt war Mitte der 90er Jahre so hoch verschuldet, dass kaum Raum für politisches Handeln blieb. Fugmann-Heesing verkaufte Landeseigentum, um Zeit zu gewinnen für das dauerhafte Gesunden der siechen Kommune.
Schade nur, dass die kühle Powerfrau mit ihren rigiden Plänen weder den Koalitionspartner noch die eigenen Genossen so recht begeistern konnte. Am Ende blieben meist knochenlose Kompromisse, die den Eindruck verstärkten: Den wirklich Mächtigen, ob christ- oder sozialdemokratisch, ist Privatisierung doch eigentlich - unangenehm.
Der Verkauf des Energieversorgers Bewag an ein Dreierkonsortium (PreussenElektra, Viag sowie der US-Konzern Southern Energy) wurde Fugmann-Heesings erster großer Fall - ex post beleuchtet, eher eine Art Nullnummer, so zum Üben eben.
Noch unerfahren im Umgang mit gewitzten Großinvestoren, so monieren Kritiker, habe sie Deutschlands achtgrößten Stromlieferanten viel zu billig weggegeben. Knapp drei Milliarden Mark erlöste das Land, mehrere hundert Millionen mehr, schätzen Experten, wären drin gewesen.
Die Verkäufer hatten es versäumt, den Bewag-Börsenkurs wenigstens durch grobe Sanierungsschnitte im Vorfeld nach oben zu treiben, sich zudem viel zu früh auf einen kleinen Interessentenkreis festgelegt. Und wenig hilfreich im Preispoker war die eilig transportierte Botschaft, wie existenziell ein schneller Abschluss des Deals für die Rettung des Landeshaushalts sei. Da konnten sich die Bieter gelassen zurücklehnen.
Gegen das, was bei der Privatisierung der Wasserbetriebe (BWB) folgte, waren die Energiekapriolen indes eher ein Appendix der Berliner Wirtschaftshistorie. Im Wasser-Fall vermischte sich Merkwürdiges mit Dubiosem, strömten Kurioses und Fehlerhaftes zusammen.
Ungereimtheiten in der BWB-Bilanz trieben plötzlich an die Oberfläche. Interessenten wurden vertrauliche Studien vorab zugeleitet. Zu allem Überfluss geriet auch noch der damalige BWB-Chef in den Verdacht, das Konsortium RWE/Vivendi protegiert zu haben.
Längst war auch die komplizierte gesellschaftsrechtliche Konstruktion kaum noch zu vermitteln. Fugmann-Heesings Ursprungskonzept hatte die SPD-Linke kassiert. Übrig blieb ein knotiges Gebilde, das allen Ansprüchen irgendwie und keinem richtig genügte.
Nur 49,9 Prozent der Anteile einer Holding wurden verkauft; der hoheitliche Abwasserbetrieb firmierte als Anstalt öffentlichen Rechts; Investoren und Land banden sich mit so genannten atypisch und typisch stillen Beteiligungsverträgen aneinander, die kaum einer durchschaute und die vor allem einem Zweck dienten: die Steuerfreiheit des Abwassergeschäfts aufrecht zu erhalten.
Die Ausschreibungssieger um RWE-Chef Dietmar Kuhnt und Vivendi-Patron Jean-Marie Messier überwiesen mehr als drei Milliarden Mark - und ließen sich den Spitzenpreis mit ominösen Renditegarantien und Gewinnklauseln versüßen. Ein prima Geschäft, das dem ÖTV-Gewerkschafter Uwe Scharf kurzzeitig die hochdeutsche Sprache verschlug: "Det jibt et uf keenem Schiff."
Gab''s auch nicht lange. Das Landesverfassungsgericht kippte die zweifelhaften Absprachen.
Doch auch für einen solchen Störfall sind die Investoren vertraglich abgesichert (siehe Kasten Seite 134). Nun muss der Senat nachverhandeln. Das heißt: entweder ein jährlicher Gewinntransfer, diesesmal gerichtsfest, oder herunter mit dem Preis. Insider kalkulieren mit einem Rabatt von mehreren hundert Millionen Mark.
So oder so schmerzlich für die Berliner Kassenwarte: Schließlich wurde das Wasser-Geld längst im Haushalt 1998 verbucht, der ohne den Zufluss kaum zu retten gewesen wäre.
Während der Grundstein für das BWB-Desaster im verschrobenen Konstrukt der Teilprivatisierung liegt, ist das Flughafendebakel, so der Berliner Anwalt Kerber, ein erschreckender Beleg für den "ohnmächtigen, unintelligenten Staat".
Divergierende Interessen der drei Airport-Eigner (Bund, Berlin, Brandenburg), die sich einzeln mit potenziellen Erwerbern austauschen, das muss scheitern. Eine Projektplanungsgesellschaft, die ihren eigenen Verkauf managen darf, das kann nicht funktionieren. Mitten im Vergabeprozess neue EU-Regeln, die Investorenrechte stärken - wie soll das gut gehen?
Die Bieter hatten es leicht, die Politiker gegeneinander auszuspielen und Bedingungen zu diktieren. Werbewirksam hatten die Beteiligten den "ersten privat finanzierten" Flughafen propagiert. Keine Kunst: Rund ein Drittel der Investitionssumme von sechs bis acht Milliarden Mark sollten die Fluggäste aufbringen.
Im Konsortialvertrag mit der zunächst siegreichen Hochtief-Gruppe wurde eine Flughafengebühr fixiert, die schnellstmöglich auf den bestehenden Flugplätzen Tegel, Tempelhof und Schönefeld erhoben werden sollte. Obendrein garantierten die Privatisierer den Investoren eine Mindestverzinsung ihres Eigenkapitals (15 Prozent) und auf Jahrzehnte quasi das Monopol. Tegel und Tempelhof werden geschlossen; der Staat verpflichtete sich, keine anderen Flughafenbetreiber zu fördern.
Ergo siebter Investorenhimmel über Berlin?
Es schien zunächst so, bis brandenburgische Oberlandesrichter nach einer Klage des IVG-Konsortiums den Deal im August 1999 stoppten und anordneten, die letzte Verhandlungsrunde noch einmal von vorn zu beginnen - vor allem wegen Schlampereien im Verfahren. Politiker, die über den Zuschlag entschieden, saßen auch in den Aufsichtsgremien der potenziellen Erwerber. Die Londoner Investmentbanker von Credit Suisse First Boston stümperten bei der Dokumentation der Vergabe. Anwälten missriet die juristische Begleitung.
Auch die Investoren machten große handwerkliche Fehler - beim Antichambrieren und wohl auch beim Schmieren; so große, dass die Berliner Staatsanwälte aufmerksam wurden.
Hochtief unterhielt Kontakte zum Berliner Ingenieurbüro WIB, das eng in das Airportprojekt eingebunden war. So hat der Baukonzern mit WIB Vorgespräche über eine Zusammenarbeit bei seinem Flughafenprojekt Düsseldorf geführt; ein Vertrag sei allerdings nicht unterzeichnet worden, beteuert Hochtief. Und mehrere hunderttausend Mark zahlte Hochtief an eine Berliner Firma, die der WIB nahestehen soll - für publizistische Beratung, wie es offiziell heißt. Einen Journalisten des Senders Freies Berlin bedachte die RWE-Tochter für wortreiche Vermittlungsdienste mit Zuwendungen. Erwiesen ist gleichfalls, dass der Hochtief-Partner Frankfurter Flughafen AG (FAG) Mitarbeiter an die WIB auslieh - als genehmigte Nebentätigkeit deklariert, behaupten die Arbeitskräfteverleiher; um Privatisierungsdetails auszuspähen, mutmaßen andere.
Jeder hat offenbar nach Kräften zu mauscheln versucht. Auch das IVG-Konsortium ward nicht müde, sich eine gute Ausgangsposition im Auftragskampf zu verschaffen und war ebenfalls mit der WIB-Gruppe im Gespräch.Die Beteiligten weisen den Vorwurf der unzulässigen Einflussnahme weit von sich. Er sei froh, dass die "entwürdigenden" Vorgänge der vergangenen Monate nun ein Ende hätten, sagt Hans-Peter Keitel, Chef des unterlegenen Hochtief-Konzerns; neben der Würde ging allerdings auch ein zweistelliger Millionenbetrag für Bewerbungskosten verloren.
Ob Flughafen, Bewag oder BWB - warum ist so vieles schief gelaufen in der deutschen Kapitale?
Klar, jeder Kasus hat seine einmaligen Facetten. Und doch gibt es Gemeinsames.
Als jahrzehntelang umsorgter Pflegefall hat sich in der Mauer-Metropole eine Vollkaskomentalität breit gemacht, die mit Rationalisierung, Privatisierung und freiem Markt nur schwer überein geht. Die Gewerkschaftsflügel bestimmen die Richtung in beiden großen Parteien; CDU und SPD ringen um die gleiche Klientel, die viele Urnengänge entschieden haben: zigtausend Beschäftigte des öffentlichen Dienstes.
Jetzt scheint denn auch erst einmal Schluss mit spektakulären Megadeals. Chefprivateuse Fugmann-Heesing verlor ihren Senatorenposten im innerparteilichen Machtgezänk. Und ihr Nachfolger Peter Kurth (CDU), ein Ziehsohn Diepgens, möchte die Sache harmonisch und konfliktfrei angehen, auch auf die Gefahr, dass die Haushaltskonsolidierung ein wenig zurückstehen muss.
Die ÖTV hat den Regierungsfraktionen schon eine Art Nicht-Verkaufs- garantie für die Berliner Stadtreinigung abgetrotzt - auf ihre bevorzugte Streikwaffe mag die Gewerkschaft nicht verzichten. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben ist eine Privatisierung aufs Nebengleis geschoben.
Lange hatte die Deutsche Bahn um das Unternehmen gebuhlt, als Einstieg in das Kombigeschäft mit Bussen und Bahn (siehe manager magazin 10/1999). Doch Diepgen entschied anders, kurz vor den Senatswahlen im vergangenen Oktober. Schließlich ging es um 14 000 Stimmen.
Noch mehr ökonomische Blockaden in der Hauptstadt?
Ach ja, den Olympia-Bären ist Berlin los.
Eine Investorengruppe hat das Logo der gescheiterten Bewerbung, ein gelbes Bärchen, zum Jahreswechsel erworben. Für einen zweistelligen Millionenbetrag wollen sich die Käufer wieder davon trennen.
Gelb-Stromer Yello hat angeblich schon nachgefragt, ein Internet-Anbieter sein Interesse gemailt.
Eine runde Sache, der Senat ist am Vermarktungsgewinn beteiligt. Im Moment deutet alles auf eine gelungene, wenngleich sterbenslangweilige Transaktion hin - ohne Schadenersatzklagen, Verfassungsgericht oder Untersuchungsausschuss. Dietmar Student
Am Stück oder in Scheiben?
Die wichtigsten Privatisierungsobjekte in Berlin seit 1994
Jahr Unternehmen Erwerber verkaufter Erlös*
Anteil
1994 Gasag Berliner Gaswerke RWE, Ruhrgas, Bewag 35,85 % 520
1994 Bankgesellschaft Berlin NordLB 10,00 % 955
1995 Gasag Berliner Gaswerke Veba 12,95 % 279
1997 Berliner Kraft und Licht (Bewag) PreussenElektra, Viag, 100,00 % 2900
Southern Energy
1998 Gasag Berliner Gaswerke Bewag, Gaz de France 51,20 % 1410
1998 Gehag gem. Heilstätten-AG RSE Holding 50,19 % 651
1999 Berliner Wasserbetriebe RWE, Vivendi 49,90 % 3300
Gesamterlös 10 015
*In Millionen Mark. Quelle: Senatsverwaltung für Finanzen
*In Millionen Mark. Quelle: Senatsverwaltung für Finanzen