Nach VW-Urteil des BGH Betriebsratsgehälter schrecken Konzerne auf

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann: "Betriebsratsarbeit ist mit Managergehältern nicht vereinbar"
Foto: Britta Pedersen / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Verhandelt wurde nur über die Gehälter der Betriebsräte im Volkswagen-Konzern. Doch die Sätze, mit denen die Richter des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofes in Leipzig am 10. Januar ihr Urteil mündlich begründeten, ließen Personalmanager in der gesamten Republik aufhorchen: Wenn Vorstände in Unternehmen ihren Betriebsräten zu hohe Bezüge gewähren, könne grundsätzlich der Tatbestand der Untreue erfüllt sein (Az 6 StR 133/22). Nach Auffassung des obersten deutschen Gerichts machen sich Topmanager möglicherweise strafbar, wenn sie freigestellten Arbeitnehmervertretern zu viel Geld zahlen.
Der BGH hob demzufolge die Freisprüche für vier ehemalige VW-Manager auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht Braunschweig: Mit ihrer Entscheidung sorgten die Richter am BGH dafür, dass der seit Jahren schwelende Streit um die angemessene Bezahlung von Betriebsräten wieder hochkocht.
Der Fall ist kein Sonderfall Volkswagen, sondern hat grundsätzliche Bedeutung für Unternehmen in Deutschland und für das deutsche Modell der Mitbestimmung. Sollte der BGH in seiner Ende Februar erwarteten schriftlichen Urteilsbegründung das bislang praktizierte Vergütungssystem infrage stellen, dann müssen hunderte Konzerne und Unternehmen in Deutschland reagieren. Volkswagen will sich wie viele andere Dax-Konzerne zu dem Vergütungsstreit erst äußern, wenn die schriftliche Urteilsbegründung des BGH vorliegt. In Wolfsburg ist nach Informationen des "Handelsblatt" aber bereits eine interne Task Force damit beschäftigt , bei 80 der rund 250 freigestellten Betriebsräte im Konzern eine Gehaltskürzung vorzubereiten.
"Hypothetische Karriere" von Betriebsräten: VW-Modell nach Auffassung des BGH nicht zu halten
Im konkreten Fall wirft die Staatsanwaltschaft zwei ehemaligen VW-Vorständen und zwei Personalmanagern vor, mehreren leitenden VW-Betriebsräten in den Jahren 2011 bis 2016 zu hohe Bezüge gezahlt zu haben. Der langjährige VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh (66) erhielt etwa als Topverdiener inklusiv Bonus bis zu 750.000 Euro im Jahr. Osterloh hatte als Bandarbeiter bei Volkswagen angefangen, sah sich als Betriebsratschef aber als "Co-Manager", ohne den bei VW kaum wichtige Entscheidungen möglich waren.
Volkswagen berief sich im Fall Osterloh auf eine sogenannte "hypothetische Karriere": Dem Betriebsratsboss seien in seinen mehr als 30 Jahren bei Volkswagen auch Toppositionen im Management angeboten worden, die er aber wegen seiner Arbeit als Betriebsratschef abgelehnt habe. Nach seinem Abschied aus dem Gesamtbetriebsrat 2021 wechselte Osterloh tatsächlich in den Vorstand der VW-Tochter Traton und arbeitet seitdem als Personalvorstand.
Der Bezahlung auf Grundlage einer "hypothetischen Karriere" erteilte der BGH jedoch eine Absage. Betriebsräte sollen zwar "auf Augenhöhe" mit den Topmanagern in einem Konzern verhandeln. Daraus leitet sich für sie aber nicht der Anspruch ab, auch so bezahlt zu werden wie ein Topmanager.
Betriebsrat als Ehrenamt: Mehrheit der Konzerne arbeitet mit Vergleichsmodellen
Die Mehrzahl der Dax-Konzerne gibt sich mit Blick auf das jüngste BGH-Urteil noch gelassen und wartet die schriftliche Begründung ab. Viele Unternehmen orientieren sich bei der Bezahlung ihrer freigestellten Betriebsräte am Modell der "betriebsüblichen Entwicklung" – ein Vergütungsmodell, das der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) aus dem Jahr 2005 folgt. Die Unternehmen sehen keinen Anlass, an ihren aktuellen Vergütungsmodellen etwas zu ändern. Noch.
"Jedem voll freigestellten Betriebsratsmitglied werden Vergleichspersonen zugeordnet, die von Ausbildung, Funktion und beruflichem Werdegang her mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbar sind", heißt es bei der Deutschen Telekom auf Anfrage von manager magazin. Diese Vergleichspersonen bilden den "Maßstab einer betriebsüblichen Entwicklung": Kommt es bei ihnen zu Gehaltserhöhungen, so erhält das freigestellte Mitglied des Betriebsrats diese Gehaltserhöhung auch. Ähnlich handhabt es der Autozulieferer Continental, der das Gehalt eines Betriebsrats "am Karriereweg von drei ausgewählten Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern orientiert, die vergleichbare Ausgangspositionen haben." Maßstab für die Vergütung des Betriebsrats sei also "der typische Normalverlauf" vergleichbarer Arbeitnehmer.
Betriebsverfassungsgesetz bleibt bei Frage der Bezahlung äußerst vage
Eine solche Hilfskonstruktion, die das Gehalt eines freigestellten Betriebsrats durch ein "Schattenkabinett" mehrerer vergleichbarer Mitarbeiter bildet, ist notwendig geworden, weil das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) beim Thema Bezahlung von Betriebsräten kaum konkrete Vorgaben gibt. "Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt", heißt es lapidar in §37 BetrVG. Zugleich dürfen Mitarbeiter, die sich in Vollzeit als freigestellte Betriebsräte engagieren, wegen dieser Tätigkeit nicht benachteiligt und auch nicht begünstigt werden (§78 BetrVG).
Weil Betriebsratsarbeit an sich nicht vergütet werden darf, die gewählten Mitarbeitervertreter aber weder benachteiligt noch begünstigt werden dürfen, bezahlen Konzerne wie BASF ihre freigestellten Betriebsräte nach dem Entgeltausfallprinzip: Bei der Vergütung wird davon ausgegangen, dass das jeweilige Betriebsratsmitglied seiner früheren Tätigkeit weiter nachgegangen wäre. Auch der Autobauer BMW orientiert sich mit seinem Vergütungsmodell an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: BMW, BASF, Continental und Telekom sehen aktuell keinen Anlass, ihre Vergütungsmodelle zu überprüfen.
Konflikt zwischen Strafrecht und Arbeitsrecht
Dennoch führt das Urteil des BGH Unternehmen wie Mitarbeitervertreter auf ein gefährliches Terrain. Bislang wurden Streitfälle über die Bezahlung von Betriebsräten vor den Arbeitsgerichten verhandelt und entschieden, das BAG gab mit entsprechenden Urteilen die Richtung vor. Nun aber müssen Personalvorstände befürchten, sich wegen Untreue strafbar zu machen, wenn sie freigestellten Betriebsräten zu viel Gehalt oder zu hohe Boni zahlen. Das Thema erhält zusätzliche Brisanz, weil das Betriebsverfassungsgesetz eben keine konkreten Vorgaben gibt, wie viel Geld ein Betriebsrat verdienen darf und bis zu welcher Grenze Personalmanager auf der sicheren Seite sind.
Bei Mercedes und Siemens wartet man deshalb gespannt auf die ausführliche schriftliche Begründung des BGH-Urteils – und hofft auf konkrete Vorgaben. "Wir würden es begrüßen, wenn der Gesetzgeber Regelungen schaffen würde, die bestehenden Rechtsunsicherheiten bei der Vergütung von Betriebsräten zu beseitigen", sagt ein Siemens-Sprecher gegenüber manager magazin.
Gewerkschaften drängen auf Reform
Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter formulieren ihre Kritik deutlicher. 50 Jahre nach seiner jüngsten Novellierung sei eine Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes überfällig, heißt es bei der IG Metall. Es sei Zeit, die Qualifikation und die Arbeitsbelastung langgedienter Betriebsräte auch bei der Bezahlung zu würdigen. Doch sämtliche Reformvorschläge, sei es von der IG Metall oder vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), seien in den vergangenen Jahren im Parlament versackt.
"Mehr Klarheit und Sicherheit", fordert auch der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann (67). Er setzt darauf, dass der BGH bei der Frage einer "angemessenen Vergütung" den Ball wieder zum Bundesarbeitsgericht zurückspielen wird. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das höchste deutsche Gericht im Strafrecht dem höchsten deutschen Gericht im Arbeitsrecht inhaltlich widerspricht", sagt Hofmann während der Jahrespressekonferenz der IG Metall in Frankfurt. Für ihn persönlich sei die Arbeit im Betriebsrat mit Managergehältern nicht vereinbar, betont Hofmann: "Betriebsräte sollten nicht mehr verdienen als die, die sie wählen".
Es sei jedoch durchaus möglich, so befürchten Beteiligte, dass der BGH auch in seiner schriftlichen Urteilsbegründung die vom Bundesarbeitsgericht bislang abgesegneten Vergütungsmodelle als nicht zulässig verwirft. Dann müssten nicht nur Volkswagen, sondern sehr viele Konzerne in Deutschland rasch reagieren. Und die Diskussion um eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes würde weiter Fahrt aufnehmen. "Die meisten Veränderungen", so ein Beobachter, "entstehen unter hohem Druck."