Chemieriese streicht Jobs "Eine extrem schwierige Zeit – als BASF und in Europa"

BASF-Chef Martin Brudermüller gibt sich alle Mühe, trotz Jobabbau und der Schließung von Produktionsanlagen nicht die Zuversicht zu verlieren. Zugleich beschreibt er ausführlich die Probleme in Deutschland und Europa – und hält an der umstrittenen Expansion in China fest.
BASF-Chef Martin Brudermüller: "Wir ziehen das jetzt durch"

BASF-Chef Martin Brudermüller: "Wir ziehen das jetzt durch"

Foto: Uwe Anspach / dpa

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BASF-Chef Martin Brudermüller (61) gab alles, um auf der Bilanz-Pressekonferenz des Konzerns am Freitag in Ludwigshafen gute Stimmung zu verbreiten. Mehrfach sprach der CEO vom "Stolz" auf die Belegschaft in diesen schwierigen Zeiten. Viel Zeit verwendete er auf Erläuterungen zur grünen Transformation des größten Chemiekonzerns der Welt. Er beschwor die schwierigen Marktbedingungen und den harten Wettbewerb mit Regionen außerhalb Europas, in dem sein unter den hohen Energiepreisen leidendes Unternehmen derzeit steht. Und er malte eine gute Zukunft für den 158 Jahre alten Stammsitz aus: "Ludwigshafen wird der größte und am stärksten integrierte Standort in der BASF-Gruppe bleiben."

Brudermüller musste mit seinem wortreich vorgetragenen Optimismus eine Negativnachricht einordnen, die das Unternehmen derzeit intensiv bewegt: Der Chemiekonzern will Anlagen schließen und Jobs streichen. Dem Sparprogramm fallen weltweit 2600 Stellen zum Opfer, knapp zwei Drittel davon in Deutschland.

Mehrere energieintensive Anlagen sind betroffen, darunter die für das Perlon-Vorprodukt Caprolactam, eine der beiden Ammoniak-Anlagen sowie die damit verbundene Düngemittelproduktion. Bei den Ammoniak-Anlagen war die Produktion bereits zurückgefahren worden, da diese große Mengen Erdgas benötigen. Beendet werden soll auch die Produktion in der Anlage für das Kunststoffvorprodukt TDI, die erst 2015 den Betrieb aufgenommen hatte, aber nicht voll ausgelastet war. Ersatz soll nun von Standorten aus dem Ausland kommen. Von den Einschnitten sind weitere rund 700 Stellen in der Produktion betroffen.

Entlassungen sind für BASF ein Novum

Brutto fällt der geplante Jobabbau mit 4200 zu streichenden Stellen sogar noch größer aus. Doch BASF will auch Stellen aufbauen, etwa in Service-Zentren in Berlin und Madrid. Ein Teil des Jobabbaus soll daher über natürliche Fluktuation abgefedert werden: So rechnet BASF ab 2024 mit altersbedingten Abgängen von 1000 Mitarbeitern jährlich in den kommenden zehn Jahren. Für das Sparprogramm fallen etwa 400 Millionen Euro Kosten an. Insgesamt beschäftigt BASF weltweit rund 111.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, knapp 52.000 davon in Deutschland.

Für die BASF-Belegschaft sind Stellenstreichungen ein Novum. Und die Beschwichtigungsmaßnahmen des Topmanagements verfangen bei der Belegschaft nur in Teilen. Bislang konnte man bei BASF so gut wie nie einen öffentlichen Dissens zwischen Belegschaft und Management ausmachen. Diese Zeiten sind vorbei. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft IGBCE luden am frühen Nachmittag zu einer eigenen Pressekonferenz ein. Der Ton: kämpferisch.

"Stellenabbau ist noch kein Konzept für zukünftigen Erfolg"

"Anlagen abbauen und Stellen streichen ist noch kein Konzept für eine erfolgreiche Zukunft des größten Chemieareals der Welt", kritisierte der IGBCE-Vorsitzende und BASF-Aufsichtsrat Michael Vassiliadis. "Dieser Standort steht vor seiner ganz eigenen Zeitenwende. Und die gestalten wir nur mit mutigen Innovationen und Investitionen – nicht mit dem Kostenhammer." Die aktuelle Energiepreiskrise dürfe sich nicht zum dauerhaften Standortnachteil entwickeln. Der IGBCE-Vorsitzende legte nach: "Ludwigshafen braucht jetzt eine konkrete Roadmap zur nachhaltigen Chemie-Produktion von morgen, in die mehr investiert wird. Diese Investitions-Roadmap ist der Vorstand bis heute schuldig geblieben."

Obwohl BASF die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch interne Umsetzungen oder Weiterqualifizierungen im Unternehmen halten will, ist der Schock intern groß. Das räumte am Morgen auch Brudermüllers Vorstandskollegin Melanie Maas-Brunner (54) ein. Sie verantwortet im Vorstand das Technikressort und das Werk Ludwigshafen. Maas-Brunner berichtete, vor der Bilanzpräsentation habe man in einem globalen Call alle Mitarbeitenden und Mitarbeiter informiert. Zuvor habe man bereits mit den direkt betroffenen Kolleginnen und Kollegen gesprochen. Man habe auch mit den Arbeitnehmervertretungen "unendlich viel" diskutiert. Trotzdem gebe es "Wut" und "Enttäuschung", "Unruhe" sei geblieben.

Beide Topmanager verwahrten sich gegen die Vorstellung, in Ludwigshafen gingen nun die Lichter aus. BASF investiere pro Jahr zwei Milliarden Euro am Stammsitz, betonte Maas-Brunner. Die geplante Elektrifizierung des Standorts im Rahmen der grünen Transformation schaffe auch neue Job-Perspektiven.

"Riesenprobleme in Deutschland"

Doch der globale Chemie-Champion kann sich von den verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa nicht frei machen. Man laufe in eine "extrem schwierige Zeit, sagte Brudermüller, "als BASF und in Europa." Ab Ende 2024 soll das Kostensparprogramm die Ausgaben um 500 Millionen Euro verringern. Die Stilllegungen sollen noch einmal 200 Millionen Euro bringen.

Wie man es von ihm gewohnt ist, sparte Brudermüller nicht mit Einschätzungen zur Situation Europas im weltweiten Standortwettkampf. "Die Wettbewerbsfähigkeit der Region Europa leidet zunehmend unter Überregulierung", kritisierte Brudermüller. Dazu kämen langsame und bürokratische Genehmigungen und hohe Kosten. All dies habe über viele Jahre das Marktwachstum in Europa im Vergleich zu anderen Regionen gebremst. "Zusätzlich belasten jetzt die hohen Energiepreise die Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa."

Die Deutschen müssten umdenken, um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschlands zu sichern. Man habe jetzt "Riesenprobleme in Deutschland." Weil es "uns gut ging", sei vieles ausgeblendet worden. Er wisse nicht, "ob die Gesellschaft insgesamt die Bereitschaft zur Anpassung an die neuen Zeiten habe." Bei BASF sei man trotzdem "nicht in Panik".

Ludwigshafen solle sich künftig auf die Versorgung des europäischen Marktes konzentrieren. Brudermüller will Ludwigshafen zum "europaweit führenden emissionsarmen Chemiestandort" entwickeln, darunter mit Wärmepumpen und CO2-ärmeren Wegen der Dampferzeugung.

Bei Andreas Schmidt, Vorstand und BASF-Experte bei der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre, stößt der Kurs des BASF-Vorstandes auf Zustimmung. Dieser gehe "dringende strategische Herausforderungen an". Seitdem die Zeiten "im billigen Energie-Wunderland Deutschland auf Jahrzehnte vorbei" seien, müsse der Konzern sich anpassen. "Sonst steht die Zukunft des Unternehmens insgesamt auf dem Spiel."

3,2 Milliarden Euro Mehrkosten für Energie – trotz der Sparmaßnahmen

2022 habe BASF 3,2 Milliarden Euro mehr für Energiekosten ausgegeben als im Vorjahr, erläuterte Finanzchef Hans-Ulrich Engel. Allein für Erdgas habe man 2,2 Milliarden Euro mehr bezahlt. Von den Mehrkosten für Erdgas entfielen 1,4 Milliarden Euro auf Ludwigshafen, obwohl BASF gut ein Drittel weniger Gas verbraucht habe.

Auch dieses Jahr bleibt das Umfeld für den Konzern schwierig. BASF erwartet Umsätze von 84 Milliarden bis 87 Milliarden Euro. Im abgelaufenen Geschäftsjahr lag der Umsatz bei 87 Milliarden Euro, eine Steigerung gegenüber Vorjahr um 11 Prozent. Der Betriebsgewinn vor Sondereinflüssen ging um 11,5 Prozent auf 6,9 Milliarden Euro zurück.

Beim bereinigten operativen Ergebnis rechnet der Konzern 2023 mit 4,8 Milliarden bis 5,4 Milliarden Euro – das wäre bis zu 30 Prozent weniger als im Vorjahr. Erwartet wird ein schwaches erstes Halbjahr. Die Lage dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte mit Aufholeffekten insbesondere in China verbessern.

In Russland hat BASF bereits schmerzhafte Erfahrungen gemacht: Die BASF-Tochter Wintershall Dea beklagt eine faktische Enteignung ihrer Beteiligungen in Russland und plant einen vollständigen Rückzug aus dem Land. Wintershall Dea musste 6,3 Milliarden Euro abschreiben. 2022 fiel wegen Milliarden-Abschreibungen auf die Öl- und Gastochter Wintershall Dea für BASF Konzernverlust von 627 Millionen Euro an.

Dividende soll stabil bleiben, Aktie dennoch unter Druck

Trotz des Nettoverlusts auf Konzernebene im Geschäftsjahr 2022 will BASF genauso viel Geld an die Aktionäre ausschütten wie für 2021. Geplant ist eine Dividende von 3,40 Euro je Aktie. Ein laufendes Aktienrückkaufprogramm hat BASF derweil vorzeitig gestoppt. Anstatt bis zu drei Milliarden Euro habe man 1,4 Milliarden Euro ausgegeben. Damit behält das Unternehmen mehr Geld in der Kasse für schwierige Zeiten. An der Börse gab die BASF-Aktie am Freitag zeitweise um mehr als 7 Prozent nach und war damit Schlusslicht im Dax.

Das Geschäft in China baut Brudermüller weiter aus – trotz der Kritik auch im Vorstand. In dieser Woche hat Saori Dubourg (52) das Unternehmen weit vor Ablauf ihres Vertrags verlassen . Die Vorständin galt als Kritikerin einer zu großen Abhängigkeit von China. Ausführlich nahm Brudermüller zur auch intern umstrittenen China-Expansion Stellung. Aus Sicht des CEO überwiegen die Chancen die Risiken, er gibt sich aber nicht blind gegenüber geopolitischen Risiken. Gebe es das "Desaster-Risiko" eines Überfalls von China auf Taiwan?, fragt Brudermüller. "Das gibt es." In diesem Fall sei der "Totalverlust" des China-Geschäfts denkbar. Aber dann sei in der Weltwirtschaft ohnehin kein Stein mehr auf dem anderen. BASF investiert seit 2018 Milliardensummen in den Aufbau des neuen Verbundstandorts in Zhanjiang. "Wir ziehen das jetzt durch."

Umbau in Ludwigshafen ohne das Auslandsgeschäft "nicht finanzierbar"

BASF sei deshalb "nicht vaterlandslos". Man wolle in Europa investieren, aber es müsse auch den entsprechenden Marktbedarf geben. China sei der vielversprechendste Markt: "Wir müssen da investieren, wo wir den entsprechenden Return für unsere Aktionäre bekommen." Ohne die Investitionen außerhalb von Europa sei auch die Transformation am Standort Ludwigshafen nicht finanzierbar.

Er sei grundsätzlich Optimist, merkt der BASF-Chef noch an – und nimmt auf Nachfrage auch kurz einmal die Zukunft der BASF nach seinem Ausscheiden in den Blick. Brudermüllers Vertrag endet im Frühjahr 2024. Er hoffe, dann "das Staffelholz in ruhigerem Fahrwasser übergeben zu können." Der eingeschlagene Pfad zur Klimaneutralität bis 2050 soll bis dahin "unumkehrbar sein."

Mit Nachrichtenagenturen
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