Aktie im Visier der Leerverkäufer Black Box Wirecard - das Geschäftsmodell, das keiner versteht

Black Box: Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München

Black Box: Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München

Foto: Wirecard

Entweder Wirecard ist ein digitaler Hidden Champion, eine atemberaubende Erfolgsgeschichte in einer Zukunftsbranche à la Silicon Valley, nur eben aus der bayerischen Provinz. Oder das Unternehmen aus Aschheim bei München ist ein Kartenhaus, mehr wilde Börsenspekulation als Substanz.

Und vielleicht gibt es noch eine dritte Möglichkeit: die, dass beide Sichtweisen auf eine der wertvollsten Firmen im TecDax  etwas Wahrheit enthalten.

Wirecard  mit Sitz im Münchener Vorort Aschheim ist innerhalb weniger Jahre praktisch aus dem Nichts - genauer gesagt, aus der Firmenhülle eines Call-Center-Betreibers, der das Schicksal vieler Neuer-Markt-Buden teilte - zu einer Größe mit 4,5 Milliarden Euro Börsenwert aufgestiegen, nicht weit entfernt von Lufthansa  oder RWE .

Gemessen am Handelsumsatz, war die Wirecard-Aktie an diesem Mittwoch (als sie um 22 Prozent oder mehr als eine Milliarde Euro abschmierte) sogar die Nummer eins in Deutschland, noch vor Daimler .

Der Aufstieg an der Börse wurde von starken Geschäftszahlen unterfüttert, die Jahr für Jahr Wachstumsraten von 20, 30 Prozent bei allen relevanten Größen ausweisen - und das verbunden mit einer sagenhaften Profitabilität: Im vergangenen Jahr lag die Ebitda-Rendite über 29 Prozent.

"Reinventing Payment" heißt das Unternehmensmotto. Wirecard präsentiert sich als Innovationsführer für das dynamisch wachsende Bezahlen im Internet und zunehmend auch mobil. Eine Zukunft ohne Bargeld? Wirecard würde kräftig profitieren, als einer der Player, die das digitale Geschäft verstanden haben, wo die Banken ihr klassisches Feld räumen.

Oft, wenn Geld übers Netz fließt, ob im Namen der bekannten Kreditkartenanbieter, über Paypal  oder welches System auch immer, kassieren die Aschheimer im Hintergrund mit. 2015 dürften mehr als 40 Milliarden Euro mit Wirecards Hilfe bewegt worden sein. Dabei hatte, bevor Firmenchef Markus Braun als Consultant von KPMG kam, überhaupt niemand derartige Ambitionen mit dem Unternehmen.

Diese Story kann Bewunderung wecken. Oder Zweifel. Oder eben beides.

Kursziel: Null Euro

Wie kann es sein, dass in der strunzlangweiligen und margenschwachen Welt der Zahlungsdienste, wo die Kreditkartenriesen schon um ihre Prozente ringen, noch auskömmliche Renditen für einen Dienstleister der Dienstleister übrig bleiben? Und wie nachhaltig ist das irrsinnige Wachstumstempo?

Eher profan - laut Wirecard "verleumderisch und gänzlich unwahr", außerdem von einer "dubiosen" Quelle  vorgetragen - sind die Vorwürfe, mit denen die aktuelle Leerverkaufsattacke vorgetragen wurde: Geldwäsche, Betrug, ein Netz von Scheinfirmen, hinter denen angeblich ausgestiegene, aber doch noch irgendwie mit dem Unternehmen verbundene Ex-Manager stehen sollen.

Ob die detailreichen, vermeintlichen Enthüllungen der nur für diese Veröffentlichung gegründeten anonymen Firma Zatarra Research vor Gericht Bestand haben oder nicht - dem Ruf "Kursziel: Null Euro" mochten sich mehrere Hedgefonds und auch ein kanadischer Pensionsfonds mit zusammen mehr als einem Zehntel der Wirecard-Aktien anschließen. Was dann rund um Wirecard lief, war ein klassischer, riesiger Short-Trade: Die meisten verfügbaren Anteilsscheine sind verliehen, um sie abzustoßen und später billiger (also mit Gewinn) zurückzukaufen.

Skandale aufdecken - das Geschäftsmodell ist nicht per se verwerflich

Die Verteidigung dagegen besteht neben privaten Aktienkäufen von Firmenchef Markus Braun aus zahlreichen Treueschwüren der professionellen Analysten, die alle Wirecard zum Kauf empfehlen.

Die Kritiker seien "dubios" und "obskur", lautet das Echo von Commerzbank  über Kepler Cheuvreux bis zu Independent Research. DZ-Bank-Mann Harald Heider merkt vorsichtshalber an, seine unveränderten Prognosen "stützten sich auf die Annahme, dass sich Wirecard ordnungsgemäß verhalten" habe.

Aus Sicht der Anleger könnte das dünn wirken. Natürlich verfolgen die Hintermänner von Zatarra ein Profitinteresse - aber sie könnten ja trotzdem Recht haben, oder auch mit für sich genommen unhaltbaren Vorwürfen eine echte Spekulationsblase anpiksen. So arbeiten viele Leerverkäufer.

Skandale aufdecken und damit Geld verdienen - das Geschäftsmodell ist nicht per se verwerflich. Es ist eine Marktlücke, weil Bilanzprüfern, Analysten (und Journalisten) für das wirklich hartnäckige, flächendeckende Nachhaken mitunter die Mittel und/oder der Anreiz fehlen.

Legt euch nicht mit Wirecard an

Es ist freilich nicht die erste derartige Attacke auf Wirecard, und bisher blieb trotz vorübergehend drastischer Kurseinbrüche nie etwas länger hängen.

Auf dem "Financial-Times"-Blog "Alphaville"  schreibt Dan McDrum seit einem Jahr über das "House of Wirecard" - und wirft mehr Fragen über Wirecards Bilanzen auf, als er zu beantworten vermag.

Zwischenzeitlich meldete sich eine Firma namens JCap mit einem ähnlich kritischen Report über die "mit Phantomwerten aufgeblähte Bilanz", gespickt mit Reiseberichten von der vergeblichen Suche nach Wirecard-Tochterfirmen in Südostasien.

Diese Zukäufe sind ein zentraler Bestandteil der Wachstumsstrategie des Unternehmens. Wirecard zahlt immer wieder mehrstellige Millionenbeträge für "Kundenbeziehungen", einen wichtigen Aktivposten der Bilanz. Im Gegenzug fließen dann auch tatsächlich Bargeldströme aus den neu gewonnenen E-Commerce-Märkten, ob in Singapur, Indonesien oder seit dieser Woche auch Brasilien.

Viel Geld für zugekaufte, unbekannte Firmen im Ausland

Anscheinend braucht Wirecard immer wieder frische Zukäufe dieser Art, um die Cash-Zuflüsse weiter wachsen zu lassen, und verwendet darauf einen Großteil des in den vergangenen Jahren von Aktionären aufgenommenen Kapitals.

Was, wenn der Strom versiegt? Oder die meist unbekannten Firmen in Entwicklungsländern gar nicht die Substanz haben, um die als erwartet verbuchten Erträge abzuliefern?

Diesen "Bullshit" konnte Wirecard unter Verweis auf ein Missverständnis der Bilanzierungsmethode abweisen, auf Unterschiede zwischen deutscher, internationaler und der jeweiligen nationalen Rechnungslegung - und überhaupt auf die "Lächerlichkeit" des Versuchs, einen Backend-Dienstleister, der überhaupt keine direkten Beziehungen zu Endkunden sucht, auf lokale Präsenz zu überprüfen.

"Sie haben unser Geschäftsmodell nicht verstanden", wird zur Standardreplik. Zugleich gibt sich Wirecard nicht allzu große Mühe, es zu erklären.

Ähnlich hatte sich 2010 bereits die Firma Goldman, Morgenstern & Partners die Finger an Wirecard verbrannt. Damals ging es um Geldwäschevorwürfe, die heute auch wieder auftauchen (laut Zatarra nun aber besser belegt seien). Und 2008 hatte sich auch der deutsche Aktionärsverein SdK mit Zweifeln an der Bilanz gemeldet, was einem Vereinsvorstand - der seine eigenen Leerverkäufe nicht transparent gemacht hatte - eine Strafe wegen Marktmanipulation einbrachte.

Und Wirecard-Chef Braun? Der nahm binnen zwei Tagen mal eben knapp 8 Millionen Euro in die Hand, um Wirecard-Aktien zu kaufen, seinen Anteil am Unternehmen aufzustocken, den Kurs wieder nach oben zu treiben und damit den Short-Sellern in die Suppe zu spucken.


Alle relevanten News des Tages gratis auf Ihr Smartphone. Sichern Sie sich jetzt die neue kostenlose App von manager-magazin.de. Für Apple-Geräte hier  und für Android-Geräte hier . Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren