Fragen und Antworten Warum die Silicon Valley Bank kollabierte

Zusammengebrochen: Die Silicon Valley Bank hat wegen der steigenden Zinsen massiv Geld verloren
Foto: STAFF / REUTERSEs ist der größte Kollaps eines Geldhauses seit der globalen Finanzkrise 2008: die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB), dem größten Techfinanzierer Kaliforniens. Die US-Aufsichtsbehörde FDIC hatte das Institut am vergangenen Freitag geschlossen, nachdem es infolge von Milliardenverlusten beim Verkauf von Wertpapieren in massive Schwierigkeiten geraten war. Der Fall offenbart, welch drastische Folgen Managementfehler in unruhigen Zeiten haben können. Und er löst Sorgen um die Stabilität des Finanzsystems und die Zukunft der Start-up-Industrie aus. Lesen Sie hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu der spektakulären Pleite.
Was war das Geschäftsmodell der Silicon Valley Bank?
Die SVB wurde 1983 von den Mitbegründern Bill Biggerstaff und Robert Medearis gegründet. Das Geldhaus fokussierte sich auf die boomende Tech- und Start-up-Industrie in Kalifornien. Die Gruppe stand im Ruf, besonders günstige Kredite auch an unprofitable, junge Firmen mit teilweise hochriskanten Geschäftsmodellen zu vergeben; sie beteiligte sich über ihren Arm SVB Capital auch direkt. In kleinem Umfang fungierte sie zudem als Vermögensverwalter für die Jungmillionäre der Szene.
Der implodierte Tech-Finanzierer
Die SVB Financial Group mit Sitz in Santa Clara steht seit dem 10. März unter Kontrolle der US-Aufsichtsbehörde FDIC. Die Gruppe verwaltete zu dem Zeitpunkt Assets im Wert von 209 Milliarden Dollar, sie bestand aus mehreren Teilen. Ende 2022 hatte die Gruppe rund 8500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wie gelang der SVB der Aufstieg?
Unter der Leitung von Greg Becker (52) wuchs das Institut zu einer der 16 größten Banken der USA heran. Laut Becker war die SVB im vergangenen Jahr die Bank für nahezu die Hälfte der mit Wagniskapital finanzierten Technolgie- und Healthcare-Firmen und an 44 Prozent der jeweiligen Börsengänge beteiligt gewesen.

Aufstieg und Fall: Silicon-Valley-Bank-CEO Greg Becker
Foto: Patrick T. Fallon / AFPDie Bank profitierte in den vergangenen Jahren vor allem vom Boom in der Techbranche. Das billige Geld, das Investoren während der Coronapandemie in Technologiefirmen investierten, deponierten die Start-ups oft auf Konten bei der SVB. Ende 2022 verwaltete sie rund 172 Milliarden Dollar – und meldete einen Jahresprofit von 3,4 Milliarden Dollar. Damit schoss auch die Bewertung des Unternehmens in die Höhe: Der Börsenwert, der vor Beginn der Pandemie noch bei gut zehn Milliarden US-Dollar lag, stieg auf bis zu 44 Milliarden Dollar im November 2021; vor gut einer Woche lag er immer noch bei rund 17 Milliarden Dollar.
Weshalb geriet die Bank in Schwierigkeiten?
Das einströmende Geld investierte die SVB in US-Staatsanleihen und andere Papiere wie Mortgage Backed Securities (MBS); die versprachen Zinsen von vielleicht 1,5 Prozent, aber die Leitzinsen der Notenbanken lagen damals bei null. Dann jedoch kam die Zinswende, die Becker und seine Bank gleich doppelt traf.
Weil plötzlich weniger Geld in Start-ups investiert wurde, versiegten die Geldströme. Es kam deutlich weniger rein – und weil die Start-ups selbst so viel Geld brauchten, floss viel mehr ab als erwartet: Seit dem ersten Quartal 2022, das zeigen aktuelle Daten der Bank , schrumpften die Assets, teilweise um 25 Milliarden Dollar pro Quartal. Dass es ungemütlich werden könnte, ahnten Beobachter seit Monaten. Bereits im November riet der Wagniskapital-Finanzierer Greenoak Capital, der in Deutschland etwa an dem Software-Start-up Personio beteiligt ist, seinen Firmen, ihr Geld bei der SVB abzuziehen und in Sicherheit zu bringen.
Parallel – der zweite Effekt nach der Zinswende – verloren die Anleihen in den Büchern der SVB-Bank drastisch an Wert. Ihr Kurs sinkt, wenn die Leitzinsen der Zentralbanken steigen, die in den USA inzwischen wieder bei 4,75 Prozent liegen. Bis zu einem Verkauf der Anleihen bestehen die Abschläge nur auf dem Papier, aber sie erhöhen die Risiken der Banken, sollten sie kurzfristig Liquidität benötigen.
Die Lage bei der SVB eskalierte, als die Ratingagentur Moody`s Mitte vorvergangener Woche per Telefonanruf ankündigte, ihr Kreditrating zu senken. So berichtet es die Nachrichtenagentur Reuters mit Bezug auf Insider. Aus Sorge um das Vertrauen der Anleger suchte SVB-Chef Becker Rat bei der Investmentbank Goldman Sachs. Er flog nach New York, verhandelte auch mit Moody's und anderen Ratingfirmen. Über das Wochenende bastelten sie dann an einem Notfallplan.
Wie sah der Notfallplan aus?
Um kurzfristig Geld zu bekommen, wollte Becker Anleihen aus seinen Beständen verkaufen. Zu niedrigem Kurs zwar, aber die Lücke wollte er über neu ausgegebene Aktien füllen.
Teil eins des Planes lief noch wie gedacht: Anfang vergangener Woche verkauften Beckers Leute niedrig verzinste Anleihen im Wert von rund 21 Milliarden Dollar, vor allem US-Treasuries mit einer durchschnittlichen Verzinsung von 1,75 Prozent. Der Verlust: 1,8 Milliarden Dollar.
Die Lücke sollten im zweiten Schritt nun Investoren füllen, die – am besten über Nacht von Mittwoch auf Donnerstag vergangener Woche – neue Aktien im Wert von 2,25 Milliarden Dollar zeichnen sollten. Der Finanzinvestor General Atlantic etwa hatte bereits eine Zusage über 500 Millionen Dollar gegeben.
Woran scheiterte der Notfallplan?
Mit Veröffentlichung des Prospekts brach allerdings ein Sturm über die SVB herein – die Mitteilung löste einen klassischen Bank-Run aus. Namhafte Venture-Capital-Firmen zogen ihre Gelder ab und riefen ihre Portfolio-Firmen auf, es ihnen gleichzutun. Der Founders Fund von Starinvestor Peter Thiel (55) empfahl es laut Bloomberg etwa per Rundschreiben all seinen Beteiligungen. Ähnlich reagierten die berühmten Investoren Coatue Management, Union Square Ventures oder Founder Collective.
In der gut vernetzten Start-up-Community machte sich Panik breit. Der Kurs sackte allein am Donnerstag um 60 Prozent ab, der Finanzinvestor General Atlantic stieg aus. Am Freitag wurde zunächst der Kurs vom Handel ausgesetzt, bevor am Nachmittag die US-Behörde FDIC die Kontrolle übernahm. Die Silicon Valley Bank war pleite.

Vorsicht: Der Founders Fund von Peter Thiel zog rechtzeitig alle Gelder ab
Foto: Marco Bello / Getty ImagesWas passiert mit den Anlegergeldern?
Die US-Behörden haben am Sonntagabend angekündigt, sämtliche Einlagen des Instituts zu schützen. Finanzministerin Janet Yellen (76), Notenbankchef Jerome Powell (70) und die US-Einlagensicherung FDIC gaben in einer gemeinsamen Stellungnahme bekannt, alle Einleger der SVB würden vollständig geschützt und könnten ab Montag auf ihr gesamtes Geld zugreifen. "Der Steuerzahler wird keine Verluste im Zusammenhang mit der Abwicklung der Silicon Valley Bank tragen müssen", hieß es weiter. US-Präsident Joe Biden (80) erklärte, die Menschen bräuchten sich um ihre Einlagen nicht zu sorgen. Er kündigte außerdem Konsequenzen für jene an, die die Turbulenzen ausgelöst hätten.
Welche Folgen hat die SVB-Pleite in Deutschland?
Wegen der Schieflage der SVB schloss die deutsche Finanzaufsicht Bafin die deutsche Zweigstelle des US-Instituts. Dies stelle aber keine Bedrohung für die deutsche Finanzstabilität dar, hieß es in Frankfurt am Main. Die Bilanzsumme des Instituts belief sich nach Bafin-Angaben gemäß dem Jahresabschluss 2022 auf 789,2 Millionen Euro. Auch der Bundesverband deutscher Banken (BdB) wiegelt ab: "Die deutschen Banken sind robust, stabil und widerstandsfähig", so der BdB. "Sie haben ihr Kapital seit 2008 massiv aufgestockt."
Dennoch machte sich am deutschen Aktienmarkt am Montag Panik breit: Der Dax verlor zeitweise fast 500 Punkte und stürzte unter die Marke von 15.000 Zählern. Vor allem Finanzwerte standen unter Druck.
Droht eine weltweite Finanzkrise wie 2008?
Experten halten dies aktuell für unwahrscheinlich. Zwar wecken die Probleme der SVB und anderen Geldhäusern Erinnerungen an den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, der als Auslöser der globalen Finanzkrise vor etwa 15 Jahren gilt. Allerdings gibt es wichtige Unterschiede: So ist die SVB zwar kein kleines Institut, nach Bilanzsumme rangiert sie an Platz 16 aller US-Banken. Allerdings ist die SVB bei Weitem nicht so groß, wie es Lehman 2008 gewesen ist. Hinzu kommt, dass die SVB ein auf Risikokapital und Start-ups in der Technologiebranche spezialisiertes Geldhaus ist, wohingegen die Bedeutung von Lehman für das Finanzsystem wesentlich größer war.
Zudem sind seit der Finanzkrise zahlreiche Sicherungsmaßnahmen beschlossen worden, die eine Wiederholung damaliger Geschehnisse verhindern sollen. "Politik, Zentralbanken und Finanzmarktteilnehmer haben gelernt", erklärt etwa Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann. Insbesondere existierten heute Instrumente zur Eindämmung solcher Krisen, die nach 2008 erst geschaffen werden mussten. "Und weil sie damals nicht existierten, waren die Ansteckungseffekte damals höher als sie es heute sein dürften", erläutert Leuchtmann ein.
Der künftige Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, rät im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" (Montag) dennoch zu Wachsamkeit angesichts des historischen "Zinsschocks": "Spätestens jetzt ist allen klar: Im Finanzsystem entstehen wegen der steigenden Zinsen enorme Verluste, vor allem bei lang laufenden Anleihen und Immobilienkrediten. Manche Banken können die aussitzen. Brenzlig wird es, wenn Kunden ihr Geld kurzfristig abziehen können. Dann können die Verluste so hoch sein, dass die Bank zahlungsunfähig wird, wie in Amerika geschehen."