
Christian Sewing, einer der beiden Kronprinzen der Deutschen Bank für den CEO-Posten.
Foto: REUTERSDer nachfolgende Text ist eine aktualisierte Version einer Exklusiv-Geschichte, die in der Oktober-Ausgabe des manager magazins erschien (hier geht es zum Abo).
Die Rolle des grundehrlichen Deutschbankers mit Nähe zu Land und Leuten beherrscht Christian Sewing (47) wie kaum ein Topmanager des Konzerns. Mitte September gab der Privat- und Firmenkundenvorstand, Typ aufrechter Westfale, vor 100 ausgewählten Kunden der Bank in der Hauptverwaltung zu Köln eine Vorstellung, mit Anleihen volksnaher Poesie. "Im Sturm", so Sewing mit Blick auf die turbulente Vergangenheit der Bank, "bekommen Bäume tiefe Wurzeln." Das Publikum, darunter schwerreiche Unternehmer wie die Metallwarensippe Prym und Lokalgrößen wie Aktionskünstler HA Schult (78), applaudierte zögernd ob der Kunde von seiner angeblich wiedererstarkten Hausbank.
Bei betont bodenständigem Fingerfood (Knackwurst in Blätterteig) plauderte Sewing anschließend übers Schneeschippen und den mauen Aktienkurs. Schließlich muss er auf seiner bundesweiten Goodwilltour bei der heimischen Kernklientel die Lücke füllen, die der Abgang von Ex-Vorstandschef Jürgen Fitschen (69) gerissen hat. Wo Sewing hinkommt, da menschelt es.
Dass er irgendwann - wie früher Fitschen - von der Chefkanzel zu seinem Bankvolk sprechen wird, ist dagegen nicht sehr wahrscheinlich. Zwar hat Aufsichtsratsvorsitzender Paul Achleitner (61) Sewing und Investmentbankvorstand Marcus Schenck (52) zu Stellvertretern von CEO John Cryan (57) ernannt, dessen Amtszeit offiziell 2020 endet, doch bei Investoren wächst - erst recht nach der bestürzenden Überraschungs-Meldung vom erneuten Jahresverlust - nicht nur die Skepsis, ob Cryan so lange noch der Richtige ist.
Sie zweifeln auch daran, dass die beiden Kronprinzen einzeln oder als Doppelspitze das Format haben, die Deutsche Bank zu führen. "Die Schonfrist läuft ab. Es ist viel wahrscheinlicher, dass der nächste CEO von außen kommt", heißt es bei einem Großanleger, der ausspricht, was einige der einflussreichen Aktionäre denken.
Damit droht der Bank eine Führungskrise, die fast tragikomische Züge trägt. Gerade erst hat sie ihr Kapital erhöht, die größten Rechtsstreitigkeiten beigelegt und die Nahtoderfahrung vom Herbst 2016 halbwegs verdaut, als Aktien- und Anleihekurse ins Bodenlose fielen. Schon stellt sich wieder die CEO-Frage.
Dabei war Cryan 2015 angetreten, den von Skandalen und Intrigen zerrütteten Konzern zu befrieden und auf Sparkurs zu trimmen. Sparen kann er zweifelsohne, doch es mangelt ihm an Enthusiasmus, Empathie und geschäftlichem Geschick, um die verunsicherte Bank zu gesunden. Deren Erträge schmelzen schneller als die Kosten.

Das Ergebnis ist ein Konzern, der gefangen ist zwischen dem Wunsch, welt- oder zumindest europaweit an der Spitze mitzumischen, und der Wirklichkeit: renditeschwaches Mittelmaß.
Dass Cryan über 2020 hinaus verlängert, wie er kokettiert, ist unvorstellbar für Hamad Bin Khalifa Al Thani (65) und Hamad Bin Jassim Bin Jabor Al Thani (58). Die Vettern aus Katar und der chinesische HNA-Konzern dominieren den Eigentümerkreis mit zusammen fast 20 Prozent der Aktien, einschließlich Optionen.
Ihr Wohlwollen brauchte Cryan; allerdings meidet er enge Kontakte zu Katarern und Chinesen, obwohl sie die Kapitalerhöhung gestemmt haben. Ein neuer Einflussfaktor sind die US-Investoren von Cerberus, allerdings hält deren Chef-Renditejäger Stephen Feinberg lediglich gut drei Prozent der Anteile. Wahrscheinlich ist daher, dass Cryan nach Umsetzung des Sparprogramms "Oak Tree" ("Eiche") zur Hauptversammlung 2019 gehen muss. Spätestens.
Zwei Kronprinzen auf Bewährung
Mit seiner Entscheidung, Cryan Stellvertreter an die Seite zu stellen, hat Achleitner das Rennen um die Nachfolge des CEOs ohnehin bereits eröffnet. Nach offizieller Lesart freut sich Cryan mit seinen beiden Stellvertretern über deren neue Schulterklappen. Das schinde bei Kunden mehr Eindruck, schließlich könne er nicht alle Hausbesuche selbst machen. Tatsächlich richtet die Personaldebatte frühzeitig den Scheinwerfer auf die beiden Kronprinzen - und deren Schwächen.

Muss erklären: Deutsche-Bank-Co-Vize-CEO Marcus Schenck
Foto: KAI PFAFFENBACH/ REUTERSBeide sind noch nicht allzu lange im Amt; Schenck, zuvor CFO, amtiert erst seit Juli als Chef der Investmentbankingsparte. Der ehrgeizige Manager war, wie sein Mentor Achleitner, Fusionsberater bei Goldman Sachs und überdies Finanzvorstand des Versorgers Eon. Seit seiner Goldman-Zeit gilt Schenck als versierter Consultant, der sich mit Fusionen und Kapitalmaßnahmen auskennt. Zumindest im Heimatmarkt erholt sich die Deutsche Bank in dieser Disziplin derzeit.
Kern des Investmentbankings - und damit die Konzern-DNA - ist jedoch der Handel mit Anleihen und Devisen. Darin drehte das "Flow-Monster" Deutsche Bank früher ein gewaltiges Rad, gefürchtet selbst von den größten US-Banken.
Managementfehler, Skandale, Regulierung und Aderlass haben die Deutschen in dem Geschäft weit zurückgeworfen. Doch anders als europäische Rivalen wie UBS und Barclays wollen sie nur ein wenig schrumpfen und ansonsten weiter mitspielen an der Wall Street - ohne deren bilanzielle und personelle Feuerkraft zu haben.
Das Ergebnis des Durchwurstelns im Investmentbanking spiegelt die Entwicklung des gesamten Konzerns: Die Erträge der Sparte schnurren zusammen, der Abstand zur Konkurrenz wächst. In den USA ist die Deutsche Bank aus dem Blickfeld der Rivalen geraten, die besten Talente heuern woanders an.

Die Anleger werden nervös, ob Schenck und Co-Vorstand Garth Ritchie (49), ein Aktienexperte, den Trend drehen können. Sie müssten in den nächsten ein oder zwei Quartalen liefern, andernfalls werde es eng, heißt es bei Investoren.
Vor allem die Katarer sind fasziniert vom Investmentbanking und wollen wachsen. Das dürfte schwierig werden angesichts der Regulierung und Zurückhaltung großer Firmenkunden am Kapitalmarkt. Auch intern erwarten die Protagonisten vorerst keine besseren Zahlen.
Noch trüber sieht es für Sewing aus. Er amtiert seit 2015 als Chef der Sparte Private & Commercial Bank (PCB), eine Dauerbaustelle und von den Investmentbankern belächelt. Sewing soll die Quadratur des Kreises schaffen: Das deutsche Filialnetz modernisieren, das Geschäft in Spanien und Polen verkaufen sowie Wealth-Management und - endlich - die Postbank integrieren.
Unterstützt wird er von Frank Strauß (47), Co-Vorstand und Postbank-Chef. Der ist im Massenkundengeschäft fachkundiger als Sewing, der nach der Banklehre vor allem im Risikomanagement gearbeitet hat. Intern fällt das auf.
Sewing lässt seine Führungskräfte machen, auch wenn deren Fähigkeiten stark angezweifelt werden. Wie bei Fabrizio Campelli (44), zuständig für das Wealth-Geschäft und ein Konzernfaktotum. Campelli hat schon viele, zumeist frontferne Jobs ausgefüllt, etwa in der Strategieabteilung. In Sachen Geldanlage und Kundenansprache fehlt ihm indes der rechte Durchblick.
Ursprünglich hatte er auch anderes vor. 2016 sollte Campelli Chief Operating Officer (COO) werden, ehe IT-Chefin Kim Hammonds (50) dazwischengrätschte und die Chefs von sich überzeugte. Heute gilt die COO als Benchmark dafür, wie robustes Auftreten und Know-how auseinanderklaffen können.
Das toughe Regime der Texanerin ist typisch für die eigenwillige Personalpolitik des Konzerns, die im jetzigen Führungsdilemma mündet. So amtiert mit Nicolas Moreau (52) ein Vorstand an der Spitze der Vermögensverwaltung, von dem nicht einmal die Mitarbeiter wissen, mit welcher Börsenstory er die Sparte 2018 an den Aktienmarkt bringen will, um frische Milliarden einzusammeln. Asoka Wöhrmann (52), langjähriger Chefanlagestratege der Fondssparte DWS, wurde dagegen mit einem Job in Sewings Sparte abgespeist; er gilt als abreisewillig.
Vor Schenck und Sewing liegen also wahre Mammutaufgaben. Wenn die maßgeblichen Investoren den Druck auf Achleitner nun weiter erhöhen und die Führungsdebatte eskalieren lassen, könnten die beiden eine durchaus einschneidende Erfahrung machen: dass es Stürme gibt, die die Kraft haben, auch deutsche Eichen zu entwurzeln.