Branchenprimus im Umbruch Deutsche Bank-Chef Cryan will Kapital vorerst nicht erhöhen

Deutsche Bank-Türme in Frankfurt: Der neue Chef Cryan will weiter durchgreifen
Foto: REUTERSIn seinem ersten Auftritt vor Publikum hat John Cryan, der neue Vorstandschef der Deutschen Bank, überraschend deutlich gemacht, dass er vorerst keine Kapitalerhöhung plant. "Das würde das Problem nicht lösen, dass unsere Renditen zu niedrig sind. Kapitalerhöhungen sind nicht im Interesse unserer Aktionäre", sagte Cryan in einer Telefonkonferenz mit Analysten.
Die Aussage überrascht insofern als das viele Beobachter damit rechnen, dass die Deutsche Bank nochmals ihr Kapital erhöhen muss, um den aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu entsprechen. Die Schätzungen reichen bis zu zehn Milliarden Euro. So werden sich wegen regulatorischer Änderungen die risikogewichteten Vermögenswerte des Konzerns erhöhen, die wiederum die rechnerische Grundlage für die Kapitalquoten bilden.
Hinzu kommt, dass die Bank bis 2020 immerhin 5 Prozent ihrer gesamten Bilanzsumme mit Eigenkapital abdecken will - das geht nur wenn entweder das Kapital steigt oder die Bilanzsumme sinkt. Derzeit liegt die Verschuldungsquote ("leverage ratio") bei 3,6 Prozent.
Cryan kritisierte die "antiquierte, fragmentierte Technologieplattform" der Bank, die gewaltigen Kosten für Rechtsstreitigkeiten und die zu komplexe und schwerfällige Struktur des Konzerns. Zugleich warb er um die Geduld der Anleger.
Details zur "Strategie 2020", die Ende April noch sein Vorgänger Anshu Jain vorgestellt hatte, werde er spätestens bis Ende Oktober liefern. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass es jetzt nicht mehr um Worte geht, sondern um Taten", sagte Cryan. Am Verkauf der Postbank will er festhalten.
Zuvor hatte die Deutsche Bank ihre Geschäftsergebnisse für das zweite Quartal 2015 veröffentlicht. Florierende Geschäfte im Investmentbanking haben dem Institut im Frühjahr zu einem deutlichen Gewinnsprung verholfen. Das Vorsteuerergebnis kletterte um gut ein Drittel auf 1,2 Milliarden Euro, wie Deutschlands größtes Geldhaus am Donnerstag mitteilte. Der Nettogewinn sprang sogar auf 818 (Vorjahr: 238) Millionen Euro. Aktien der Deutschen Bank zogen kräftig an.
Es ist die erste Quartalsbilanz, die der neue Vorstandschef John Cryan präsentiert. Der Brite hatte am 1. Juli überraschend Anshu Jain auf dem Chefsessel abgelöst.
Cryan lobte zwar das solide Wachstum der Erträge, kündigte aber auch eine Reduzierung bilanzintensiver Geschäfte im Investmentbank an - "ein Luxus, den wir uns nicht mehr erlauben können", wie der Chef am Donnerstag in einem Brief an die Mitarbeiter schrieb.
Cryan sieht noch etliche Baustellen im Konzern: "Inakzeptabel hohe Kosten, anhaltend hohe Belastungen aus Rechtsstreitigkeiten und insgesamt eine Rendite für unsere Aktionäre, die zu niedrig ist." Infolgedessen werde der Vorstand im weiteren Jahresverlauf "eine Reihe wichtiger Veränderungen vornehmen", so Cryan weiter. "Veränderungen können belastend sein, aber den Status quo beizubehalten, ist keine Option."

Cryan brütet derzeit über den Details der "Strategie 2020". Sie sollen im Herbst vorgestellt werden. Im Kern sieht die Strategie eine radikale Schrumpfkur vor, unter anderem durch den Verkauf der Postbank, einen Rückbau des Privatkundengeschäfts und einen Rückzug aus mehreren Ländern.
Nach Cryans Einschätzung ist die Deutsche Bank viel zu komplex, was auf der Rendite lastet. "Unser finanzielles Ergebnis spiegelt nicht unser enormes Potenzial wider", mahnte er.
Mit seinen Aussagen knüpft Cryan an seinen vorherigen Brief an, den er zu Amtsantritt an die gut 100.000 Mitarbeiter des Konzerns verschickte. Damals wie heute markieren die Worte nicht weniger als einen Bruch mit der Ära Jain. Ohne die Stärken des - auch von Cryan als Aufsichtsrat abgesegneten - Geschäftsmodells der Deutschen Bank zu verschweigen, unterstreicht der neue Chef klar und offen, dass er zu weitaus radikaleren Einschnitten bereit ist als das alte Management: Kosten senken, Geschäfte aufgeben, die Lasten aus Rechtsstreitigkeiten senken.
All das versprach zwar auch Jain, zumindest in der Endphase seiner Regentschaft. Cryan allerdings stellt diese Punkte in den Mittelpunkt - anders als Jain, der viel lieber über die angeblich so großartigen Möglichkeiten im Investmentbanking philosophierte, die sich durch den Rückzug von Wettbewerbern ergäben.
Magere Eigenkapitalrendite
Per Ende Juni lag die Eigenkapitalrendite nach Steuern bei mageren 5,7 Prozent. Die US-Konkurrenz, mit der sich die Frankfurter messen wollen, ist längst davongezogen. Das liegt auch daran, dass noch immer viele Altlasten auf die Bilanz drücken: Für Rechtsstreitigkeiten hat die Deutsche Bank nach wie vor 3,8 Milliarden Euro zur Seite gelegt, obwohl der besonders teure Zinsskandal vom Tisch ist.
Für die Dividende hat das Geldhaus im ersten Halbjahr bereits mehr zurückgelegt, als sie für das Jahr 2014 gezahlt hatte. Die Rückstellungen für Dividenden und die Kupons auf Anleihen, die auf das Kernkapital angerechnet werden (AT1-Anleihen), summieren sich nach Angaben der Bank auf 1,2 Milliarden Euro. Allein im zweiten Quartal dezimierten sie das Ergebnis um rund 700 Millionen Euro. Für das Jahr 2014 hatte die Bank 1,18 Milliarden ausgeschüttet.
Hintergrund ist eine Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), die die europäischen Großbanken seit Herbst 2014 beaufsichtigt. Sie hatte im Februar festgelegt, dass Banken den Durchschnitt ihrer Ausschüttungsquote der vergangenen drei Jahre zurücklegen müssen. Früher waren die Ausschüttungspläne der Bank dafür maßgeblich.
Der Umbau des Geldhauses wird zunächst noch einmal viel Geld verschlingen. Viele Analysten erwarten, dass die Kosten dafür bereits im zweiten Halbjahr zu Buche schlagen und die Bilanz verhageln werden. So muss die Deutsche Bank etwa die freien Postbank-Aktionäre für deutlich mehr Geld abfinden, als ihre Papiere in der Bilanz stehen. Die Aufstockung der Anteile auf mehr als 95 Prozent und die geplante Zwangsabfindung führten in diesem Jahr zu einem Verlust von 161 Millionen Euro, hieß es am Donnerstag. 92 Millionen davon hat die Bank schon im zweiten Quartal verkraftet, 69 Millionen folgen im dritten. Insgesamt lässt sich die Deutsche Bank die Abfindung der letzten Postbank-Aktionäre 245 Millionen Euro kosten.
In der Kernbank gab es über alle Sparten hinweg Zuwächse: Die Investmentbank, die wohl ebenfalls abspecken muss, steigerte das Ergebnis dank eines überraschend robusten Anleihehandels auf 1,2 Milliarden Euro von 828 Millionen im Vorjahreszeitraum. Im Privatkundengeschäft verdiente das Institut 483 (379) Millionen Euro - eine gesunkene Risikovorsorge im Kreditgeschäft bügelte die Belastungen der Zinsflaute aus. Zulegen konnte die Deutsche Bank auch im Zahlungsverkehr und der Vermögensverwaltung, während die interne "Bad Bank" ihren Verlust deutlich ausweitete.
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