Commerzbank-Aufsichtsrat uneins über Zielke-Nachfolge Zehn Stunden Sondersitzung reichen nicht

Wo kommt jetzt Hilfe her? Noch-Chef Martin Zielke
Foto: Boris Roessler/ dpaDer Rücktritt von Commerzbank-Chef Martin Zielke (57) spätestens zum Ende dieses Jahres ist besiegelt - aber eine schnelle Lösung der Führungskrise bei dem Frankfurter Institut ist nicht in Sicht. Nach einer fast zehnstündigen Sondersitzung des Aufsichtsrates teilte die Commerzbank am Mittwochabend mit, das Kontrollgremium habe die einvernehmliche Aufhebung von Zielkes Vertrag beschlossen. Zielke habe sich bereit erklärt, "bis zur Berufung eines Nachfolgers die Geschäfte der Bank in vollem Umfang weiterzuführen".
Wer Zielke nachfolgt und somit bei dem teilverstaatlichten MDax-Konzern weitere Einsparungen vorantreibt, blieb zunächst weiterhin unklar - ebenso, wer den Aufsichtsrat künftig führen wird.
Am Freitag hatten überraschend sowohl Konzernchef Zielke als auch der Aufsichtsratsvorsitzende Stefan Schmittmann (63) ihren Rücktritt angekündigt. Zielke, der die Bank seit Mai 2016 führt, hatte eine einvernehmliche Auflösung seines bis November 2023 laufenden Vertrages spätestens zum Ende des laufenden Jahres angeboten. Schmittmann wird sein Mandat bereits zum 3. August 2020 niederlegen.
Allerdings will keiner der amtierenden Aufsichtsräte neuer Vorsitzender des Kontrollgremiums werden. Das Kontrollgremium hat laut Informationen des manager magazins die vom Bund in den Aufsichtsrat entsandte Jutta Dönges (47) beauftragt, ein neues Mitglied für das Kontrollgremium zu finden. Dönges ist Geschäftsführerin der Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur, die die Schulden des Bundes verwaltet.
Zielkes Nachfolge wird erst nach Neubesetzung der Aufsichtsratsspitze festgelegt
Die externe Suche nach einem möglichen neuen Chefkontrolleur verzögert allerdings den weiteren Prozess. Denn erst nach der Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes soll Insidern zufolge über Zielkes Nachfolger entschieden werden. Entsprechendes schrieb Zielke auch in einem internen Memo an die Belegschaft der Bank, das dem manager magazin vorliegt. Die Bank sei keineswegs führerlos, so Zielke, es gebe einen geordneten Prozess. "Und ich werde natürlich solange für die Commerzbank zur Verfügung stehen, wie der Aufsichtsrat das für sinnvoll erachtet." Seinen Abschied begründete Zielke in seiner Nachricht an die Mitarbeiter mit einem nötigen Neuanfang: "Die Bank hat Erwartungen des Kapitalmarkts nicht erfüllt. Wer sonst, wenn nicht der CEO sollte die Verantwortung dafür übernehmen?"
Zielke und Schmittmann reagieren mit ihrem Rückzug auf heftige Kritik von Investoren - namentlich des Großaktionärs Cerberus - am Kurs der Bank. Der US-Fonds hatte der Konzernführung vorgeworfen, "über Jahre hinweg eklatant versagt" zu haben. Cerberus ist mit gut fünf Prozent zweitgrößter Aktionär der Commerzbank - nach dem deutschen Staat, der seit der Rettung des Instituts mit Steuermilliarden in der Finanzkrise 2009 größter Anteilseigner mit derzeit 15,6 Prozent ist. Nach einer jahrelang eher passiven Rolle wirft der Bund inzwischen aber ebenfalls einen kritischeren Blick auf die Bankführung.

Cerberus hatte am Montag vor Schnellschüssen bei der Neubesetzung der Konzernspitze gewarnt. "Das plötzliche Ausscheiden des Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank erfordert ein geordnetes Nachfolgeverfahren zur Besetzung der vakanten Positionen", hatte ein Vertreter des US-Finanzinvestors gesagt. "Zuerst muss ein neuer Aufsichtsratsvorsitzender gefunden werden, gefolgt von einem formellen, vom Aufsichtsrat geführten Prozess, um einen Nachfolger für den Vorstandsvorsitzenden zu bestimmen."
Vor allem Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat kritisierten den Abgang. "Der Höllenhund hat ja gerade mal geknurrt, nicht gebissen, und schon rennt man weg", zitierte die "Süddeutsche Zeitung" den Verdi-Vertreter Stefan Wittmann, der damit auf den nach dem Höllenhund Cerberus benannten US-Hedgefonds anspielt.
Aussichtsreichste Kandidaten für Chefposten: Roland Boekhout und Bettina Orlopp
Zielke hatte eingeräumt, dass die im Herbst beschlossenen Maßnahmen nicht durchschlagend genug waren, um die Bank im Zinstief profitabler zu machen. Er wolle den Weg für einen Neuanfang frei machen: Nötig sei ein tief greifender Umbau und dafür ein neuer Vorstandschef, "der vom Kapitalmarkt auch die notwendige Zeit für die Umsetzung einer Strategie bekommt", begründete Zielke seinen Rückzug.
Als aussichtsreicher interner Kandidat für den Posten des Chief Executive Officer (CEO) gelten der seit Januar als Firmenkundenvorstand tätige Roland Boekhout (57), ehemals Chef der Direktbank ING-Diba (heute ING Deutschland). Außerdem Finanzvorständin Bettina Orlopp (50). Aber auch externe Kandidaten könnte der Aufsichtsrat für den Vorstandsvorsitz in Erwägung ziehen.

Wer immer Zielke beerbt, wird schmerzhafte Einschnitte vorantreiben müssen. Auf dem Tisch liegen dem Vernehmen nach Pläne zu einer drastischen Verschärfung des im Herbst vorgelegten Sparkurses. Die Zahl der zuletzt knapp 40.000 Vollzeitstellen könnte demnach um bis zu ein Viertel gekappt werden. Das Filialnetz soll erheblich verkleinert werden: Von ursprünglich 1000 Standorten könnten demnach gerade einmal 200 übrig bleiben, in denen Kunden sich beraten lassen können. Aber auch das Auslandsgeschäft soll eingedampft werden - nach dem Motto "weniger Masse, mehr Klasse". Dies könnte 1000 bis 1500 Vollzeitstellen im Firmenkundenbereich kosten.
Zielke selbst will dem Institut im Fall einer vorzeitigen Auflösung seines Vertrages finanziell entgegenkommen. Der Vorstandschef habe intern angekündigt, bei seinem Abschied auf eine variable Vergütung von rund 1,5 Millionen Euro zu verzichten, die ihm vertraglich zustehen würde. Entsprechende Informationen des "Handelsblattes" wurden der Deutschen Presse-Agentur in Finanzkreisen bestätigt.
Dennoch wird Zielke - abhängig von seinem genauen Austrittstermin - voraussichtlich einen mittleren einstelligen Millionenbetrag erhalten: Sein Vertrag sieht vor, dass er sein jährliches Grundgehalt von zuletzt gut 1,67 Millionen Euro bis zum Ende der Laufzeit des Kontraktes weiterhin bezahlt bekommt. Da er nicht zurücktritt, sondern seinen Vertrag im Einvernehmen auflösen will, könnte der CEO auf dem Fixgehalt bestehen. Nach dem Corporate-Governance-Kodex wäre eine Fortzahlung für bis zu zwei Jahre legitim. Allerdings ist Zielke noch länger berufen: Sein Vertrag läuft bis November 2023.Die Commerzbank wollte sich nicht zu diesen Informationen äußern.
Analysten und Aktionärsschützer kritisierten das entstehende "Führungsvakuum". Bankenexperte Volker Brühl von der Universität Frankfurt am Main nannte den Rückzug ungeordnet. Zielke habe "sicherlich keinen besonders guten Job gemacht", sagte Brühl, "aber ihm jetzt alle Probleme der Bank anzulasten, wäre auch unfair". Zielke habe den Konzern in Schieflage übernommen und sei mit seinem Vorstand bei der Modernisierung schlicht an Grenzen gestoßen. Gleichwohl bringe er die Bank mit seinem ungeordneten Abgang "in eine noch schwierigere Lage", kritisierte der Experte. "Ich kann nicht einfach gehen, wenn mir Gegenwind ins Gesicht bläst."