EZB-Ratssitzung Draghis größte Baustellen

EZB-Präsident Draghi: Der Zins bleibt auf Rekordtief - doch wie geht es mit Italien und möglichen Anleihekäufen weiter?
Foto: ALEX DOMANSKI/ REUTERSHamburg - Dunkler Anzug, weißes Hemd, blaue oder rote Krawatte - bei den Pressekonferenzen der Europäischen Notenbank (EZB) im Frankfurter Eurotower setzt der Hausherr auf Konstanz. Die Bilder von Mario Draghi gleichen sich beinahe wie ein Ei dem anderen. Jeden ersten Donnerstag eines Monats läd Europas oberster Währungshüter die Presse ein, um die neusten Winkelzüge der europäischen Geldpolitik im Kampf gegen die Staatsschuldenkrise zu erklären.
Dass die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Leitzins bei 0,75 Prozent belässt, ist keine Überraschung. Viel interessanter wird die an die Zinsentscheidung anschließende Pressekonferenz mit EZB-Chef Dragi sein: Im Gegensatz zu seinem Outfit sind die Aussagen des EZB-Präsidenten immer für eine Überraschung gut.
Jede Silbe wird von Journalisten wie Spekulanten mit Spannung verfolgt, jedes Wort kann zu heftigen Bewegungen an den Märkten führen. Sein im September vorgetragener Satz, er werde alles tun, um den Euro zu retten, gilt beispielsweise als Auslöser dafür, dass sich die Finanzmärkte seitdem beruhigt haben. Bei der letzten Ratssitzung Anfang Februar gelang es "Super Mario" den zwischenzeitlich stark zum Dollar aufgewerteten Euro-Kurs mit wenigen Worten zu drücken.
Angesichts des Polit-Chaos in Italien und der anhaltender Konjunkturschwäche im Währungsraum gibt es auch am heutigen Donnerstag mehr als genug Diskussionsstoff - weitere Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Ein Überblick über die größten Baustellen der Europäischen Zentralbank:
Hat die EZB überhaupt noch Spielraum für eine weitere Zinssenkung?
Ja. Zwar liegt der Hauptrefinanzierungssatz bereits auf einem historisch niedrigen Niveau. Einige Ökonomen sehen dennoch Raum für eine weitere Zinssenkung. Nick Kounis von der niederländischen ABN Amro Bank argumentiert vor allem mit dem Rückgang der Teuerung in den vergangenen Monaten. Er erwartet, dass diese Entwicklung im Jahresverlauf anhält, glaubt aber, dass Draghi allenfalls andeuten könnte, dass er im Zweifelsfall - also bei einer Rückkehr der Krise - das geldpolitische Gaspedal weiter durchtreten wird. Morgan Stanley-Analystin Elga Bartsch fordert eine Zinssenkung von "mindestens 25 Basispunkten" und auch weitere Maßnahmen, um die Wirtschaft in der Euro-Zone anzukurbeln.
Aus Sicht der Notenbanker um Mario Draghi wird viel davon abhängen, wie ihre hauseigenen Ökonomen und die Experten der 17 nationalen Notenbanken der Euro-Länder die Entwicklung in den nächsten Monaten einschätzen. Ihre Prognosen macht sich der EZB-Rat zwar nicht zu eigen, aber nimmt sie als Grundlage für seine politischen Entscheidungen. Commerzbank-Ökonom Schubert rechnet damit, dass die EZB-Experten die Konjunkturperspektiven etwas optimistischer einschätzen als zum Jahreswechsel - ein Argument mehr gegen eine schnelle Zinssenkung.
Zinssenkung würde verpuffen
Ein weiteres Argument gegen eine Zinssenkung ist, dass sie nicht dort ihre stimulierende Wirkung entfalten würde, wo sie am meisten gebraucht wird. Denn trotz der bereits rekordniedrigen Zinsen sind die Banken gegenüber spanischen oder italienischen Unternehmen zugeknöpft, während deutsche Firmen sehr leicht an frisches Geld kommen. "Die Kreditvergabe ist nach wie vor sehr fragmentiert", mahnte Draghi in der vergangenen Woche. Eine weitere Absenkung des Leitzinses würde daran kaum etwas ändern, glauben Experten. "Solange die Bilanzprobleme der Banken so gravierend sind, wirkt die Euro-Geldpolitik nicht symmetrisch", sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), manager magazin online.
Mit weiteren Finanzspritzen für die Banken in der Euro-Zone befassen sich auch die Euro-Finanzminister bei ihrem Treffen am Montag. Geplant ist, den Rettungsfonds ESM, der eigentlich für die Stützung von Staaten konzipiert wurde, auch zur direkten Rekapitalisierung von Banken genutzt wird. Besonders Deutschland, die Niederlande und Finnland wollen dieses Instrument jedoch sehr restriktiv halten.
Wie wird Draghi auf das Wahl-Patt in seiner Heimat Italien reagieren?
Bislang hat sich der EZB-Präsident zur Lage in Italien ausgeschwiegen. Das politische Patt in Rom und damit die Unklarheit über den Weg der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone haben dem EZB-Chef neue Probleme beschert: Die Angst vor einem Rückfall der Währungsunion in die Krise ist wieder da, weil niemand weiß, ob eine künftige Regierung Italiens mit dem eingeschlagenen Reform- und Sparkurs aus der kurzen Ära Mario Montis weitermachen wird.
Draghi wird Beobachtern zufolge die heutige Pressekonferenz dazu nutzen müssen, mahnende Worte gen Rom zu schicken, nicht mit den Reformanstrengungen aufzuhören. Wirklich ausrichten aber kann der Italiener wenig bis nichts dagegen, dass seine Heimat zum neuen alten Problemkind in der Euro-Zone zu werden droht und damit die Zentralbank in ihre so ungeliebte Position als letzter Retter in der Not drängt. EZB-Experte Michael Schubert von der Commerzbank konstatiert nüchtern: "Nach dem Patt in Italien kann der EZB-Rat kurzfristig kaum mehr tun, als das Ergebnis zu akzeptieren - und dringliche Appelle an Italien richten, in den Reformbemühungen nicht nachzulassen."
Muss Draghi die Bazooka auspacken?
Nein, nicht in der aktuellen Lage. Gänzlich ausgeschlossen ist es aber nicht. Das Euro-Schwergewicht Italien könnte die Notenbank in die Klemme bringen. Nachdem die jüngsten Parlamentswahlen keine klaren Mehrheiten ergeben und damit politischen Stillstand verursacht haben, droht die drittgrößte Wirtschaftsmacht im Euroraum wieder ins Visier der Investoren zu geraten. Würde die EZB zum Kriseneinsatz am Anleihemarkt ausrücken? Stützungskäufe, um die Zinsen zu drücken, setzen grundsätzlich voraus, dass eine Regierung einen Hilfsantrag stellt und Reformauflagen akzeptiert.
Marchel Alexandrovich, Experte der Investmentbank Jefferies, sieht die Notenbank im Dilemma: "Sie könnte einem Zusammenbruch des italienischen Anleihemarkts natürlich nicht tatenlos zuschauen." Aber genauso wenig könne die EZB eine wacklige und unzuverlässige italienische Regierung offen bei der Finanzierung unterstützen. Jürgen Michels, Europa-Chefvolkswirt der Citigroup, geht davon aus, dass die Notenbank bekräftigt, dass das Anleihekaufprogramm nur für solche Länder bereit steht, die sich unter den Rettungsschirm ESM stellen.
Die Ratingagentur Standard & Poor's warnt vor dem Einsatz der Anleihekäufe. Sollte das Programm freigeschaltet werden, die profitierenden Staaten aber von Reform- und Sparvorgaben abweichen, könnte sich das OMT (Outright Monetary Transactions) als "Büchse der Pandora" erweisen. "Ich glaube, der Moment der Wahrheit wird sein, wenn das OMT tatsächlich aktiviert wird", sagt Moritz Kraemer, S&P-Chefanalyst für die Länderbewertung in Europa. Ob es weiter ausreiche, dass die EZB ihre Interventionsbereitschaft signalisiere, ohne überhaupt Anleihekäufe vornehmen zu müssen, bleibe abzuwarten.
Zuletzt waren zwar die Risikoaufschläge von italienischen Staatsanleihen gestiegen. Der Aufschlag war verglichen mit früheren Höchstständen allerdings moderat.
Wird Draghi sich noch einmal zum Währungskrieg äußern?
Vielleicht. Zumindest die Spekulationen auf eine rhetorische Weichenstellung für eine weitere geldpolitische Lockerung am Markt haben zugenommen. Grund sind die zuletzt stärker als erwartet gesunkene Inflation und der nach wie vor trübe Wirtschaftsausblick. Die Kreditvergabe der Banken im Euroraum schwächelt weiter, so dass die EZB trotz der Entspannung an den Finanzmärkten unter Handlungsdruck geraten könnte.
Deshalb dürften die Projektionen der Notenbanker diesmal besonders im Fokus stehen. Zumal EZB-Präsident Mario Draghi schon nach der letzten Ratssitzung bekräftigt hatte, dass der Wechselkurs ein explizites Risiko für die Preisstabilität und damit ein implizites Risiko für die Konjunktur im Währungsraum darstelle. "Für mich hört sich das so an, als ob Draghi schon einmal ankündigt, der stärkere Euro sei Grund für eine pessimistischere EZB-Projektion und das als Ausrede für eine Zinssenkung verwenden will", kommentiert Commerzbank-Chefanalyst Ulrich Leuchtmann.
Wo hört der Wirkungsbereich der EZB auf?
Das, was außerhalb der Macht der EZB liegt, hat Draghi in der vergangenen Woche bereits sehr deutlich formuliert. Die Notenbank könne keine unsoliden Haushalte in Ordnung bringen, oder strauchelnden Banken wieder auf die Beine helfen, sagte Draghi. "Wir können nicht die tief verwurzelten Probleme der Volkswirtschaften in der Eurozone lösen", so der Notenbankchef.
Stattdessen ist mit weiteren Appellen an die Regierungen zu rechnen. Bereits mehrfach hat Draghi betont, dass nur mit strukturellen Reformen das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaften im Währungsraum erhöht und die "äußerst dringliche Bekämpfung von Arbeitslosigkeit" ermöglicht werden könne.