Quirin Bank Die stille Revolution

Klein und fein: Das Hauptquartier der Quirin-Bank in Berlin
Berlin - "Diese Hauptversammlung steht unter einem guten Stern", sagt Karl Matthäus Schmidt. "Wir haben unser Versprechen gehalten: Die Quirin Bank schreibt schwarze Zahlen." Damit habe das Geldinstitut bewiesen, dass sich Honorarberatung rechne.
Immerhin 547.000 Euro hat die Quirin Bank im Jahr 2010 verdient. 2009 stand demgegenüber noch ein Fehlbetrag von 7,4 Millionen Euro in den Büchern. Die Anlaufverluste hatten sich seit 2006 auf rund 25 Millionen Euro summiert.
Neben der Honorarberatung für Privatkunden ruht das Geschäftsmodell der Bank auf zwei weiteren Säulen: dem Investmentbankgeschäft für den Mittelstand und das Mandantengeschäft für Finanzdienstleister. So betreute die Quirin Bank beispielsweise die in Wismar ansässige German Pellets GmbH, einen der größten Holzpelletshersteller Europas, bei der Platzierung einer Unternehmensanleihe. Für die Abwicklung und Regulierung von Wertpapiergeschäften und bei der Wertpapierverwaltung hat die Quirin Bank zum Beispiel die Privatbank Julius Bär Deutschland als Kunden.
Auf der Hauptversammlung beschränkt sich Schmidt in seinem Jahresresümee aber im Wesentlichen um das prominenteste Geschäft der Bank: die Honorarberatung. "Wir haben die Gründungs- und Start-up-Phase hinter uns gebracht", sagt Schmidt. Nun beginne die Phase zwei, die "Excellence-Phase". Bis Ende 2014 sollen 20.000 Kunden gewonnen werden. Gut 8000 sind es derzeit.
Die Krawatte bleibt wieder im Schrank
Der Unternehmer verkündet an diesem Tag selbstbewußt den "Durchbruch der Honorarberatung" in Deutschland - woran zumindest die Aktionärsschützer im späteren Verlaufe der Hauptversammlung mit Blick auf den geringen Marktanteil der Bank Zweifel anmelden.
Dennoch. Es soll die zweite Revolution im Bankenwesen sein, die mit dem Namen Karl Matthäus Schmidt verbunden ist. Die zweite Revolution, für die er seit seinem 37. Lebensjahr kämpft, ist stiller als die erste, die er im Alter von 24 Jahren los trat. Damals, als Vorstandsvorsitzender von Consors, ließen er und seine Kollegen sich für den Geschäftsbericht schon mal mit freiem Oberkörper ablichten.
Schmidt hat sich angepasst - zumindest ein bisschen. Einst wurde er von der Wirtschaftspresse als "Turnschuhbanker" oder als "Banker ohne Krawatte" bezeichnet. Turnschuhe, sagt er, habe er aber nie getragen. Und mit dem Schlips hat er es nach der Gründung der Quirin Bank zumindest probiert. Als aber die "Börsenzeitung" einmal schrieb, "mit viel zu engem, wohl erstmals gebundenem Schlipsknoten, erläuterte der neu gebackene Private Banker die Strategie seines Hauses", blieb die Krawatte doch wieder im Schrank.
Doch auch ohne Schlips ist heute vieles anders als in jenen Jahren, in denen er das erste Mal den Aufstand gegen das deutsche Bankwesen probte.
Aufstand gegen das deutsche Bankenwesen
Damals, 1994, hatte sich Schmidt nach Waldorfschule, Abitur und Wehrdienst in Nürnberg für ein BWL-Studium eingeschrieben. Über die Diskussionsrunden in einem von ihm selbst gegründeten studentischen Börsenclub - dem Börsenfreunde Wiso Nürnberg e.V. - reifte die Idee für ein eigenes Bankkonzept. Es sollte teure Beratung und unnötige Filialen umgehen.
Gemeinsam mit einem Kommilitonen und seinem damaligen Professor entwickelt der junge Student ein Konzept. Den Namen findet Schmidt beim durchblättern eines Lexikons - "Consors", Ein Wort, das auf den lateinischen Begriff "Teilhabe" zurückgeht. Das Startgeld, zwei Millionen D-Mark, steuert sein Vater Karl Gerhard bei, damals noch Herr der Schmidt Bank, einer der größten Privatbanken Deutschlands. "Mach!", sagt der Vater. Und der Sohn macht.
Consors wird 1994 als Niederlassung der Schmidtbank in einer kleinen Altstadtgasse von Nürnberg gegründet. Eine Hand voll Mitarbeiter, vier PCs, zwei Faxgeräte, ein paar Tische und Stühle - damit beginnt alles. Als sich seit Mitte der Neunziger Jahre das Internet als Massenmedium durchsetzt, geht es schnell. Während die Kunden bei Consors per Mausklick Aktien ordern und kurz darauf per E-Mail eine Bestätigung bekommen, geben klassische Banken ihren Kunden noch per Brief Bescheid. Der Rest ist Geschichte.
Consors wächst rasant. In den Fluren stapeln sich Waschkörbe voll mit Kontoeröffnungsanträgen. Als Consors sich an die Börse wagt, wird die Bank schon am ersten Tag mit 3,4 Milliarden D-Mark wert, also rund 1,7 Milliarden Euro. 1999 wird Consors an der Börse gar mit 4,5 Milliarden Euro bewertet. Als die Blase am Neuen Markt platzt, geht es mit dem Online-Broker jedoch schlagartig bergab. Der einstige Börsenliebling, der 1999 noch Geld verdient hat, rutscht in die roten Zahlen.
Noch zu Consors-Zeiten reift die neue Idee
Dazu gerät die väterliche Schmidt Bank in Schieflage, die zwei Drittel der Consors-Aktien hält. Um die Traditionsbank zu stützen, wird das Consors-Aktienpaket an die Pariser Großbank BNP Paribas verkauft. Die Schmidt Bank bricht dennoch zusammen. Und dem jungen Consors-Chef wird ein Franzose als Co-Chef zur Seite gestellt.
"Ich wurde mitverkauft", sagt Schmidt rückblickend. Zunächst empfand er die neue Konstellation als spannend. Dann stellte er aber fest, dass es doch nicht passte. "Die Entscheidungen wurden woanders getroffen und nicht mehr bei mir", sagt er. So einigte er sich auf einen sanften Ausstieg, schied aus der Unternehmensführung aus, blieb aber der inzwischen als Cortal Consors firmierenden Direktbank noch bis 2006 als Aufsichtsrat erhalten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Schmidt indes längst mit neuen Ideen beschäftigt. Das Thema Beratung hatte er als Consors-Gründer einst großzügig umkurvt. Interessiert hatte es ihn aber dennoch. "Schon bei Consors war mir aufgefallen, dass gerade jene Anleger, die besonders häufig ihr Depot umschichteten, eine vergleichsweise schwache Rendite erwirtschafteten", sagt er. Es war aber auch die Zeit, in der Schmidt selbst intensiv über die eigene Vermögensbildung nachdachte. "Damals war mein erstes Kind unterwegs", sagt er. Doch schon seinen Freunden musste er auf die Frage, welche Bank er für die Vermögensverwaltung empfehlen könne, stets antworten: "Gar keine."
Beim Grübeln über die Frage, wie eine empfehlbare Bank aussehen könnte, entstand schließlich die Idee, auf Provisionen zu verzichten und stattdessen auf Honorarvergütung zu setzen, um unabhängig und von Interessenkonflikten befreit zu beraten.
"Deutschlands unbeliebteste Bank - bei den Banken"
"Das Konzept stand, nur eine Bank fehlte noch", sagt Schmidt. Doch auch dafür findet sich bald eine Lösung. Im Sommer 2005 übernimmt der Unternehmer den Chefposten der Berliner CCB Bank, die ehemaligen Geschäftspartnern aus Consors-Zeiten gehört. Sie sind vom Konzept überzeugt. Und Schmidt krempelt die Bank nach seinen Vorstellungen um. Seit 2006 firmiert das neue Geldhaus unter dem Namen Quirin Bank. Im Oktober 2006 folgt die Börsennotierung im Entry Standard.
Quirin, so nannten die im dritten Jahrhundert vor Christus die von den Römern unterjochten Sabiner ihren Kriegsgott. In der sabinischen Sprache bedeutet Quirin so viel wie Lanze oder Schwert. "Er ist der Begleiter, der für die Kunden kämpft", sagt Schmidt. Bei der Namenssuche blieben die Lexika diesmal geschlossen. Stattdessen hatte Schmidt einige Agenturen mit der Namensfindung beauftragt. Doch erst als im Familienkreis über den Vornamen Quirin gesprochen wurde, hatte er den Namen für seine neue Bank gefunden - symbolisiert durch einen Reiter mit Lanze.
In Sachen Vermarktung steht die Quirin Bank dem einstigen Börsenstar Consors seither in nichts nach. Als Consors Ende April 1999 an den Neuen Markt ging, stand an der Frankfurter Börse in großen Buchstaben: "Wir sind die Leute, vor denen Sie Ihr Anlageberater immer gewarnt hat." Schwarze Flaggen auf halbmast symbolisierten den Trauertag der Banken. Bei der Quirin Bank klang der Slogan zur Einführung so: "Deutschlands unbeliebteste Bank. Bei den Banken".
Ansonsten dominieren zwischen Consors und Quirin eher die Gegensätze: "Consors ist eine Online-Bank, bei Quirin menschelt es vielmehr", sagt Schmidt. Und während Consors als Online-Broker auf Kundenkontakt per Telefon und Internetbrowser setzt, legt die Quirin Bank ihren Schwerpunkt auf ein langsam wachsendes Netz an Beratungsstandorten in Deutschlands Großstädten.
13 Niederlassungen wurden bislang gegründet - von München bis Hamburg, von Berlin bis Köln ist die Bank vertreten. Eine vierzehnte Filiale in Wuppertal wird im Herbst eröffnet.
Langsames Wachstum mit älteren, gut betuchten Kunden
Auch die Mitarbeiter bei Consors waren viel jünger als jene, die jetzt für den Aufbau der Quirin Bank rekrutiert werden. "Bei Quirin hat ein Mitarbeiter im Schnitt 17 Jahre Beratungserfahrung", sagt Schmidt. 15 Berater sollen in diesem Jahr dazu kommen, dann sind es 110.
Den größten Unterschied machen indes die Kunden aus: Waren es zu Consors-Zeiten vor allem die an möglichst kostengünstigen Depot- und Transaktionsgebühren interessierten Heavy-Trader, die sich Schmidt als Zielgruppe ausgeguckt hatte, zielt die Quirin Bank auf eine ganz andere Klientel ab. Der Durchschnittskunde ist seinen Aussagen nach 52 Jahre alt und verfügt über ein Depotvolumen von gut 220.000 Euro.
Und jeder dieser Kunden bekommt zur Kontoeröffnung eine rote Fibel überreicht. Auf ihr steht: "Die neuen Gesetze des Private Banking". Der erste Paragraf lautet: "Das Vermögen des Kunden ist unantastbar." In dem Werk werden in neun Paragraphen die Grundsätze der Bank abgehandelt. So erfährt der Kunde, dass sämtliche Ausgabeaufschläge, offene und versteckte Provisionen sowie von Banken verschwiegene Kick-Backs für Finanzprodukte dem Kundenkonto gutgeschrieben werden - und nicht dem Konto eines Finanzvermittlers.
Für alle Beratungsleistungen und Kontogebühren fallen bei der Quirin Bank 75 Euro im Monat an, im Erfolgsfall ist die Bank mit 20 Prozent am Gewinn beteiligt. Zielgruppe sind Kunden mit einem Vermögen ab 50.000 Euro. Der Grund: Unterhalb dieses Anlagevolumens rechnet sich eine Honorarberatung in der Regel nicht.
Mit welchen Argumenten die Großbanken angreifen
Genau dies ist jedoch eine Angriffsfläche, auf die vor allem Großbanken immer wieder abzielen, wenn sie ihre Provisionsberatung verteidigen. Zwei Argumente werden dabei stets genannt. Das Erste: Die Honorarberatung sei ja eine schöne Idee, aber leider setze sie sich nicht durch, weil kein Kunde Geld dafür berappen werde. Das Zweite: Großbanken, allen voran Sparkassen und Volksbanken, haben die politisch gewollte Aufgabe, zur Vermögensbildung der Deutschen beizutragen. Wenn nun kein Kunde bereit wäre, ein Honorar für die Beratung zu zahlen, könnten eben diese Geldinstitute dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen.
Ob solche Argumente richtig sind, darüber herrscht unter Finanz- und Wirtschaftswissenschaftlern keine Einigkeit. Eine Reihe von Untersuchungen attestiert der Provisionsberatung positive Diversifikations- und Renditeeffekte. Allerdings zeigen neuere Studien auch Gegenteiliges. Ein großes Problem: Für die Honorarberatung liegen aufgrund fehlender Daten kaum vergleichbare Ergebnisse vor.
Eine der bekanntesten Studien zur Honorarberatung wurde Ende 2009 veröffentlicht. Der auf die Finanz- und Versicherungsindustrie spezialisierte Unternehmensberater Marc Ahlers hat darin gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Bankbetriebslehre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Zahlungsbereitschaft Deutscher Anleger für eine Honorarberatung untersucht. Dabei wurden Anleger befragt, ob sie bereit wären, für eine provisionsfreie Beratung Geld zu bezahlen.
Das Ergebnis: 70 Prozent der Privatkunden wären es. Wird zudem die höhere Rendite durch das kostenoptimierte Produktangebot der Honorarberater aufgezeigt, können sich insgesamt 90 Prozent der Befragten vorstellen, sich gegen ein Honorar beraten zu lassen.
Provision oder Honorar: Die Studien sind nicht eindeutig
Doch warum hat es die Honorarberatung gegenüber der Provisionsberatung dann so schwer in Deutschland? "Solange sich die Sparkassen, Volksbanken und Großbanken, also 80 Prozent des Marktes nicht bewegen, ist nicht damit zu rechnen, dass sich der Gesamtmarkt verändert", sagt Ahlers.
Zwar bieten inzwischen auch einige Direktbanken - unter ihnen seit 2009 auch Cortal Consors - eine Honorarberatung per Telefon an. Und bei kleineren Privatbanken wie dem Bankhaus Wölbern oder der Privatbank Donner & Reuschel, ist die Honorarberatung ebenfalls kein Fremdwort. Nur die Großbanken scheuen sich, das Thema Honorarberatung offensiv anzugehen.
Der Hauptgrund: Renditen, wie sie mit der Provisionsberatung erzielt werden können, lassen sich mit der Honorarberatung nicht erwirtschaften.
Um dem Markt ein wenig auf die Beine zu helfen, hat Quirin-Chef Schmidt erst im vergangenen Jahr ein weiteres Instrument aus dem Strategiekasten geholt: den Lobbyismus. Gemeinsam mit Dieter Rauch, dem Geschäftsführer des Verbunds Deutscher Honorarberater (VDH), hat Schmidt den Bundesverband der Honorarberater, kurz BVDH, gegründet. VDH und Quirin Bank stehen gemeinsam für knapp 1500 Honorarberater in Deutschland, die insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro an verwalteten Kundengeldern betreuen.
Verband der Honorarberater: Kopf an Kopf mit den Hundepsychologen
Gebracht hat jedoch auch dies bislang nicht viel. In der Google-Trefferliste liegt der Verband abgeschlagen hinter dem Berufsverband Deutscher Humangenetiker (BVDH) und Kopf an Kopf mit dem Bundesverband der Hundepsychologen (BVdH).
Rauch, der seit elf Jahren für die Honorarberatung in Deutschland wirbt, begründet das zähe Vorankommen unter anderem damit, dass es bis heute keine Definition für seine Lobbygruppe gibt. Weshalb er eine einheitliche Ausbildung, ein offizielles Verzeichnis und eine geschützte Berufsbezeichnung für Honorarberater fordert.
Die Politiker haben diese Forderungen in den vergangenen Jahren zwar immer wieder in Sonntagsreden aufgegriffen, letztlich aber doch auf die lange Bank geschoben. Und das, obwohl schon der Bundesgerichtshof in mehreren Grundsatzurteilen festgestellt hat, dass die Provisionsberatung wegen des Interessenkonflikts für den Kunden nicht unbedingt ein gutes Geschäft ist.
Eine Studie des Verbraucherschutzministeriums kam darüber hinaus zu dem Schluss, dass mehr als die Hälfte aller langfristigen Geldanlagen vorzeitig abgebrochen werden - meist mit Verlust. Die jährlichen Vermögensschäden durch schlechte Finanzberatung allein in Deutschland gibt die Studie mit 20 bis 30 Milliarden Euro an. Karl Matthäus Schmidt nahm dies im Oktober 2009 gleich zum Anlass und forderte in einem offenen Brief an die Kanzlerin ein Verbot der Provisionsberatung. Vergebens.
In Großbritannien ist Provisionsberatung ab 2013 verboten
Dennoch ist sein BVDH-Vorstandskollege Rauch für die kommenden Monate positiv gestimmt. "Ich rechne damit, dass es bis zum zweiten Quartal 2012 etwas mit einer gesetzlichen Definition wird." Wobei er vor allem auf die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner verweist, die sich zuletzt mehrfach positiv gegenüber der Honorarberatung geäußert hat - und die derzeit auch wieder Gespräche mit dem BVDH führt.
Ebenfalls positiv stimmt Rauch der Blick ins Ausland. Während in Deutschland der Anteil an der Honorarberatung bei unter einem Prozent liegt, wird er in den Vereinigten Staaten auf rund 15 Prozent geschätzt.
Auch andere Länder schreiten voran. So ist ab 2013 die Provisionsberatung in Großbritannien verboten. Die Regierungen in den Niederlanden und in Skandinavien haben ebenfalls den Weg für die Honorarberatung geebnet - dort werden keine Altersvorsorgeprodukte mehr über Provisionsmodelle verkauft. In Indien sind sogar schon vor drei Jahren Ausgabeaufschläge und Provisionen gesetzlich verboten worden. "Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, dass so ein Land da schon weiter ist als wir", sagt Rauch.