GM-Nobelmarke versucht sich erneut an Europa "Cadillac baut jene Autos, die BMW nicht mehr bauen kann"

manager-magazin.de: Herr Ellinghaus, was sagt Ihnen die Zahl 139?
Uwe Ellinghaus: Das Alter der Marke Cadillac ist es nicht, da muss ich passen.
mm.de: Dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge: 139 ist die Zahl der aktuellen Cadillac-Neuzulassungen in Deutschland - und zwar im ersten Halbjahr 2016. Das ist sehr bescheiden für eine globale Luxusmarke, die sie ja sein wollen.

Uwe Ellinghaus, 47, ist seit Januar 2014 Chief Marketing Officer der General-Motors-Nobelmarke Cadillac. Zuvor arbeitete der Deutsche ein Jahr lang für den Luxusgüterhersteller Montblanc und davor jahrelang für BMW.
Ellinghaus: Wir haben bei Cadillac in Deutschland keine Distribution, die diesen Namen verdienen würde. Es gibt keinen einzigen reinen Cadillac-Händler, unser früherer Importeur musste vor einigen Jahren Insolvenz anmelden. Inklusive Eigenimporten lagen wir europaweit bei rund 500 Zulassungen, bis zum Jahresende werden es an die 1000 sein. Das ist immer noch ohne Frage eine sehr geringe Zahl.
mm.de: Europaweit haben sie im ersten Halbjahr gerade mal 232 Fahrzeuge abgesetzt, verrät die Statistik des europäischen Autoverbands ACEA. Gibt es überhaupt noch ein europäisches Land, in dem Cadillac einen messbaren Marktanteil im Luxussegment hat?
Ellinghaus: Nein. Unsere wenigen Verkäufe konzentrieren sich auf Deutschland und die Schweiz. Dort haben wir noch eine gewisse Händler-Präsenz. Einige Opel-Händler leisten hier auch den Service für Cadillac-Autos. Aber ansonsten gibt es keinen nennenswerten Marktanteil.
mm.de : Weshalb ist Cadillac in Europa so weit zurückgefallen?
Ellinghaus: Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen. So haben wir etwa keine Diesel-Motoren im Angebot. Damit fällt die Hälfte des europäischen Marktes für uns weg. Denn trotz des VW-Abgasskandals ist Europa, insbesondere der Süden, sehr stark dieselfokussiert. Auch Rechtslenker-Fahrzeuge bieten wir nicht an. Dabei wissen wir, dass die Marke Cadillac in Großbritannien ein großes Potenzial hat. Der für uns erreichbare Markt ist damit schon deutlich niedriger.
mm.de : All dies ließe sich ändern, wenn die Cadillac-Mutter General Motors viel Geld in die Hand nähme. Die Dominanz der Deutschen in Europas Luxusautomärkten ist aber kaum zu brechen. Warum tut sich Cadillac den europäischen Markt an, wo es für Sie nichts zu gewinnen gibt?
Ellinghaus: Wir haben eine globale Wachstumsstrategie und den Anspruch, Cadillac in eine globale Premiummarke zu verwandeln. Käufer von Premiummarken reisen heutzutage um die Welt. Sie möchten, dass Marken überall die gleichen Produkte anbieten mit ähnlichen Schauräumen und der gleichen Kommunikation. Da können wir nicht an Europa vorbeigehen. Es gibt aber weltweit keinen Automarkt, der wettbewerbsintensiver ist als Europa. Nirgendwo anders ist es so schwer, Geld zu verdienen. Zudem geht in Europa der Trend zum Downsizing bei den Motoren, aber auch bei den Fahrzeugen. Das kommt unserem Portfolio nicht entgegen.
mm.de : Was sind Ihre konkreten Ziele für Europa in den kommenden Jahren?
Ellinghaus: Wir brauchen eine Mindestpräsenz in Europa. Die wird mittelfristig bei zumindest fünfstelligen Absatzzahlen liegen. Ab dem Jahr 2020 bekommen wir Dieselmotoren, und dann können wir andere Größendimensionen anpeilen. Ab 2019 bringen wir zudem eine Menge neuer Modelle auf den Markt, unter anderem einen kleinen SUV. Bis 2019 werden unsere Absatzzahlen in Europa vierstellig bleiben, da können wir nichts machen. Aber ab dann können wir einige zehntausend Autos in Europa absetzen.
"Deutsche Premiumauto-Marken werden Opfer ihres eigenen Erfolgs"

mm.de : Auch mit mehreren zehntausend verkauften Fahrzeugen werden Sie in Europa kaum große Gewinne erwirtschaften. Nimmt Cadillac in Europa Verluste in Kauf, nur um als globale Marke auftreten zu können?
Ellinghaus: Zu Gewinnen kann ich mich nicht äußern. Allerdings ist Cadillac hochprofitabel. Machen Sie sich keine Sorgen, die ich nicht teile.
mm.de : Wie wollen Sie gegen BMW, Audi und Mercedes anfahren? Bloß auf üppige amerikanische Ausmaße samt bequemem Innenraum zu setzen, wird nicht reichen.

Ellinghaus: Die deutschen Premiumhersteller bauen perfekte Autos. Doch sie werden sich immer ähnlicher, bei der Technik und beim Design. Längst nicht alle Luxusauto-Käufer wollen ein Fahrzeug haben, das schon die ganze Nachbarschaft fährt. In den USA profitieren Cadillac wie auch Jaguar oder Volvo genau davon. Die Ubiquität der deutschen Hersteller wird dazu führen, dass sie Opfer ihres eigenen Erfolgs werden. Die züchten sich Nischen, die künftig Marken wie Cadillac erfolgreich besetzen werden.
mm.de : Was macht Cadillac anders als die deutsche Konkurrenz?
Ellinghaus: Vor kurzem haben wir in Berlin unsere Luxuslimousine CT6 vorgestellt. Durch intelligenten Leichtbau ist das Gewicht des Autos so weit gesunken, dass der 5,18 Meter lange CT6 leichter ist als ein deutlich kleinerer 5er-BMW. In dem CT6 haben Sie den Komfort und den Platz eines Oberklasse-Autos, aber eine Agilität, die Sie so in dieser Klasse nirgendwo anders finden. Das schafft keiner unserer deutschen Hauptkonkurrenten mehr. Denn die großen drei deutschen Hersteller müssen Autos anbieten, die möglichst viele Kunden ansprechen. Wir können es uns schlichtweg leisten, Fahrzeuge auch mal scharf zu positionieren.
mm.de : BMW steht für Freude am Fahren, Mercedes für Sicherheit, Audi heftet sich Vorsprung durch Technik auf die Fahnen, Lexus bietet luxuriöse Hybride. Und Cadillac? Wofür soll die Marke künftig stehen?
Ellinghaus: Wir möchten, dass Cadillac ein distinktiv amerikanisches Gefühl des Luxus bietet. Wir versuchen nicht, deutscher zu werden als die Deutschen. Wir wollen Designs, die viele als gewagt empfinden. Das ist einer unserer Markenwerte. Wir möchten aber auch als typisch amerikanisch-optimistische Marke auftreten. Unsere chinesischen Kunden wollen Autos, die einen zeitgemäßen "american way of life" verkörpern. Deshalb werde ich auch Elvis nicht wiederbeleben. Im Gegensatz zu Europa ist US-Luxus eher "casual", also leger. So wollen wir nicht 16 verschiedene Grauschattierungen bei der Lackierung anbieten, sondern auch bei der Farbe etwas wagen.
mm.de : Dennoch bleibt Cadillac in Europa ein Riesen-Problem: Das Image. Denn die Marke verbinden viele noch mit spritschluckenden, wankenden Straßenkreuzern.
Ellinghaus: In Europa höre ich immer noch von der "Couch auf vier Rädern". Das entspricht ja auch der Historie. Bloß sehen Sie keine solchen Cadillacs mehr auf der Straße. In den USA haben wir die letzten Fahrzeuge, die dieser Charakteristik entsprachen, vor mehr als 20 Jahren gefertigt. Dass Cadillac heute die BMWs baut, die BMW nicht mehr bauen kann und will, ist für mich eine vielversprechende Positionierung.