Studie Sanktionen kosten Autohersteller in Russland bis zu 15 Milliarden Euro Umsatz

Bis vor einem Jahr galt Russland als Wachstumsmarkt für Autoproduzenten. Jetzt liegt die Wirtschaft am Boden, die Sanktionspolitik spüren deutsche Autohersteller deutlich. Ihnen drohen Umsatzausfälle in Milliardenhöhe, warnt ein Experte - und langfristige Schäden.
VW-Werk in Kaluga: Die Bänder stehen nun zum dritten Mal innerhalb eines Jahres still

VW-Werk in Kaluga: Die Bänder stehen nun zum dritten Mal innerhalb eines Jahres still

Foto: epa Sergei Chirikov/ picture-alliance/ dpa

Hamburg - So schnell kann sich das Blatt wenden: Noch vor einem Jahr galt Russland bei deutschen Herstellern als Absatzmarkt mit viel Potenzial. Ende November 2013 erklärte etwa VW-Chef Martin Winterkorn: "Russland ist für den Volkswagen-Konzern der strategische Wachstumsmarkt Nummer eins in Europa." Bis Ende 2018 wolle Europas größter Autohersteller weitere 1,2 Milliarden Euro in Russland investieren, kündigte Winterkorn damals an.

Noch im August bekräftigte Volkswagen, an den Plänen festzuhalten. Doch die Ereignisse der letzten Wochen legen nahe, dass VW sich mit den Investitionen doch etwas mehr Zeit lassen dürfte. Denn derzeit stehen bei Volkswagen Russland die Zeichen nicht mehr auf Wachstum - sondern auf Schadensbegrenzung. Im Herbst und Winter 2014 hat Volkswagen die Produktion in seinem russischen Werk in Kaluga bereits drei Mal ausgesetzt, zuletzt über die Weihnachtsfeiertage. Grund dafür ist die rückläufige Nachfrage nach den Autos - und die große Unsicherheit am Markt.

Audi liefert seit Mitte Dezember keine Fahrzeuge mehr an seine russischen Händler, Opel hält es ebenso. Auch in Renaults Moskauer Werk stehen derzeit die Bänder still. Zwar verzeichneten einige Auto-Nobelmarken in den vergangenen Wochen steigende Verkaufszahlen. Wer es sich leisten kann, investiert in ein neues Auto - als Kriseninvestment.

Doch insgesamt ist der Pkw-Absatz in diesem Jahr drastisch zurückgegangen. Derzeit bringt der stark gefallene Rubelkurs die Autohersteller in Schwierigkeiten: Denn auch bei Fahrzeugen, die in Russland hergestellt werden, stecken viele Teile aus dem Ausland. Deshalb mussten die Hersteller für etliche Modelle die Preise erhöhen - oder nehmen gleich gar keine Bestellungen mehr an.

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Doch das könnte erst der Anfang sein. Zwar leidet Russlands Wirtschaft auch unter dem niedrigen Ölpreis. Doch die deutschen Autohersteller trifft ein anderer Umstand hart, meint Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer: Die Auswirkungen der Russland-Sanktionen. Allein durch Verkaufsausfälle müssten sie bis 2017 in Russland mit einem Umsatzverlust von insgesamt mehr als 15 Milliarden Euro rechnen, schreibt der Direktor des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen in einer Studie. Dies führe zu Gewinneinbußen von über 600 Millionen Euro. Und: "Das ist eine eher konservative Schätzung", betonte Dudenhöffer.

Drastischer Absatzschwund in nur einem Jahr

Nach Berechnungen des CAR-Instituts könnten zwischen 2014 und 2017 in Russland mehr als 675.000 Fahrzeuge von deutschen Autokonzernen (mit Ford Europe und Opel) weniger verkauft werden. Die Nutzfahrzeuge seien dabei noch gar nicht berücksichtigt.

"Alle deutschen Autobauer und viele Zulieferer haben beträchtlich in Russland investiert, Produktionskapazitäten aufgebaut, die seit mehreren Monaten deutliche Abschreibungsverluste erzeugen", sagte Dudenhöffer. Die längerfristigen Schäden seien noch nicht abzusehen.

Der russische Automarkt galt noch vor einem Jahr als wichtigster Wachstumsmarkt in Europa. Zwischen 2005 und 2013 wurde laut CAR-Institut ein jährlicher Zuwachs von knapp 8 Prozent verzeichnet. Prognosen gingen davon aus, dass dort noch vor 2025 fünf Millionen Neuwagenverkäufe erreicht werden könnten.

Nun müsse in diesem Jahr mit einem Rückgang der Autoverkäufe um 12,5 Prozent auf 2,43 Millionen Pkw gerechnet werden, sagte Dudenhöffer. Bis 2017 könne sich der Nachfrageausfall auf knapp 2,5 Millionen Pkw summieren.

Mittelfristig gehen den deutschen Autokonzernen laut Dudenhöffer dadurch zwei Millionen Fahrzeugverkäufe in Europa verloren. Dann müssten auch die deutschen Werke ihre Kapazitäten anpassen, warnt Dudenhöffer. Man könne davon ausgehen, dass jeder Arbeitsplatz, der aufgrund der Sanktionspolitik gegen Russland wegfällt, nie mehr nach Deutschland zurückkomme.

mit Material von dpa
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