Chinesische Automarke Lynk und Co jagt junge Kunden Gegrillte Hummerstückchen für Chinas Auto-Revolution

Von Wilfried Eckl-Dorna
Seht her, ein Geländewagen: Mit viel Pomp präsentierte Lynk & Co, die neue Marke der chinesischen Volvo-Mutter Geely, ihr erstes Modell "01" in Berlin

Seht her, ein Geländewagen: Mit viel Pomp präsentierte Lynk & Co, die neue Marke der chinesischen Volvo-Mutter Geely, ihr erstes Modell "01" in Berlin

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Chinesische Automarke Lynk&Co: Neuanfang mit Altbewährtem - und viel Pomp

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Ein Dutzend kreisrunder, weißer Lichtflecke erhellt die ansonsten komplett abgedunkelte Industriehalle. In einer Ecke steht ein junger, bärtiger Mann auf einem Podest. Er trägt einen schwarzen, schimmernden Mantel und einen schwarzen Zylinderhut auf dem Kopf. Per Mikro fordert er die Leute auf, sich unter hell erleuchteten Fotografenschirmen für ein Video aufnehmen zu lassen. Wer ihn passiert, muss einen Geschmackstest der besonderen Art bestehen: Junge, ebenfalls schwarz gewandete Menschen schieben den Besuchern gefüllte Löffel in den Mund. Auf Avocado gebettete gegrillte Hummerstückchen mit Limonenspritzern seien das, erfährt man auf Nachfrage.

Willkommen - nein, nicht in einem absonderlichen Traum eines Auto-Redakteurs, sondern zu einem Event der besonderen Art. Der Geburt einer neuen, weltweit verkauften Automarke mit dem ungewöhnlichen Namen Lynk & Co.

Die Marke des chinesischen Autoherstellers Geely soll es auf dem Weltmarkt aufnehmen mit den großen deutschen Herstellern, mit Amerikanern und Japanern. Damit das klappt, und damit der Anspruch auch ganz klar ist, präsentiert Geely seine neue Weltmarke nicht etwa in Peking. Sondern in der Hauptstadt jenes Landes, dessen Automarken seit gut einem Jahrzehnt den chinesischen Automarkt dominieren: in Berlin. Hunderte Menschen hat Geely mit schwarzen VIP-Bussen in den ehemaligen Berliner Postbahnhof karren lassen, der heute schick "The Station" heißt.

Ihnen allen will Lynk & Co  an diesem Donnerstag Mitte Oktober 2016 nicht bloß ein neues Auto auf vier Rädern präsentieren. Nein, die Marke soll sich in der hippen deutschen Hauptstadt selbst erklären. Sie soll anders sein. Lynk & Co soll, so hieß es schon in den Vorankündigungen vollmundig, eine Automarke komplett neu denken. Vor allem will die Marke mit dem Berliner Auftritt coolen, urbanen, jungen Lebensstil tanken.

Hohe Hipsterbart-Dichte, niedriger Altersschnitt

Deshalb zeigen die Geely-Leute auch nicht einfach ihr erstes Modell bei einer Automesse, sondern machen aus der Enthüllung ihres Wagens und der Markenstrategie eine vierstündige Veranstaltung. In der ersten Stunde polt eine DJane die Gäste auf Partystimmung. Hinter einer Bar, deren Tresen aus überdimensionalen Eiswürfeln bestehen, mixen Bartender unaufhörlich "Sea Spray", einen alkoholfreien Drink aus Gurken, Limetten, Sodawasser und einer Salzlösung.

Die Hipsterbärte-Dichte ist um ein Vielfaches höher, der Altersschnitt deutlich geringer als bei üblichen Autoveranstaltungen. Alle bewundern die im Raum verteilten Eisquader, in denen Gestecke aus Äpfeln und Blütenblättern eingefroren sind.

Irgendwann, so nach dem gefühlten vierten gegrillten Hummerlöffel und zwei, drei Portionen Sea Spray, öffnen Ordner die Türen zum Haupt-Veranstaltungsraum. Auch dort ist alles in schwarz gehalten, jeder bekommt seinen Tisch zugewiesen. Und dann wird erstmal ein richtig ausgefeiltes, mehrgängiges Menü aufgetischt. Kellnerinnen reichen Champagner, gleich zu Anfang gibt es Kaviar aus Döschen samt einem Wodka hintennach. Danach folgen Gänseleberpastete, Austern und Jakobsmuscheln. Zwischen den Gängen treten Musiker und Tänzer auf. Gute zwei Stunden dauert das Gelage für hunderte Gäste, vom Auto ist nichts zu sehen.

Der SUV verbirgt sich mitten in der Bar

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Nach kleinen Zimtschnecken, die mit Eiscreme gereicht werden, rollen Helfer dicke Bauchtrommeln auf die Bühne. Die dazugehörigen Musiker entfachen einen heftigen Trommelwirbel, Geigenspieler fiedeln elektronisch verstärkt gegen das Getöse an. Lichtblitze zucken über die Bühne, Arbeiter beginnen die in der Mitte der Bühne aufgebaute Bar in Stücken wegzurollen. Und siehe da: Übrig bleibt ein silbrig glänzendes SUV. Trotz stilisierter Froschaugen, elegant geschwungener Silhouette und dicken Leuchten am Hinterteil bleibt es aber immer noch ein Automobil mit vier Rädern.

Dann endlich, kurz nach 15 Uhr, tritt Alain Visser auf die Bühne. Der gebürtige Belgier stand bereits in den Diensten von Ford, leitete das Marketing bei Opel und bei Volvo. Vor einigen Jahren wechselte Visser von Volvo zu dessen chinesischer Mutter Geely. Nun ist der 53-jährige Branchenveteran das europäische Gesicht für Lynk & Co. Er beginnt, ganz Bühnenprofi, seine Rede mit einer scheinbar provokanten Aussage: "Die Welt braucht nicht noch eine weitere Automarke."

Lynk & Co will seine Autos besonders gut vernetzen

Es ist ein cleverer rhetorischer Trick - denn natürlich erklärt Visser in den nächsten Minuten, warum die Welt eine Marke wie Lynk & Co braucht. Mit Lynk, so versichert er, wolle man vieles anders machen. "Ein Smartphone auf vier Rädern", so Visser, sollen die Lynk-Autos sein. Konnektivität haben die Autos serienmäßig verbaut: Jedes Fahrzeug werde eine eigene Sim-Karte an Bord haben, Verbindungsgebühren für Internetdienste werde es in den Lynk-Wagen nicht geben.

Das bisherige Geschäftsmodell der Branche mit Herstellern und Händlernetzwerken sei hundert Jahre alt, stichelt der Auto-Manager. Lynk werde Autos online verkaufen - in Innenstadtgeschäften, wie es auch der Elektroauto-Hersteller Tesla tut. Lynk werde Neuwagen direkt zum Haus des Kunden zustellen und dort auch abholen, wenn das Auto gewartet werden müsse. Lynk müsse auch einen Weg finden, für jüngere Kunden wieder relevant zu werden und deren Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen. Denn junge Leute in Städten, so weiß auch Visser, wollen immer seltener ein eigenes Auto besitzen.

Gegen diese Besitzmüdigkeit bauen die Lynk-Macher sogar einen eigenen Knopf ins Auto. In den Fahrzeugen gibt es einen eigenen "Teilen"-Schalter, der dem Besitzer die Kurzzeit-Vermietung seines Wagens an andere ermöglichen soll. Auch die Paketlieferung direkt ins Auto soll möglich sein.

Schwedische Ingenieurskunst für junge, urbane Chinesen

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Die Blaupause für diese Technik - und für die Modelle im Allgemeinen - liefert die Geely-Tochtermarke Volvo. Vor sechs Jahren haben die Chinesen die damals darbende schwedische Marke gekauft, seit knapp zwei Jahren entwickeln Mutter und Tochter eine gemeinsame Plattform für künftige Modelle. Und auf genau dieser neuen Bodenplatte baut die Marke Lynk & Co ihre neuen Fahrzeuge. Schwedische Ingenieure haben die Lynk-Autos maßgeblich mitentwickelt - und das ist auch aus Marketing-Gesichtspunkten ein schlauer Schachzug.

Denn Lynk kann nun berechtigterweise behaupten, dass seine Sicherheitstechnik und die Assistenzsysteme auf Volvo-Niveau sind. Damit lassen sich vielleicht nicht nur die Chinesen überzeugen, die gegenüber Produkten aus dem eigenen Land häufig sehr kritisch eingestellt sind. Auch in Europa und den USA lässt sich damit Skeptikern, die vor üblen Sicherheitsstandards chinesischer Autos warnen, gehörig Wind aus den Segeln nehmen.

Antreten sollen die Lynk-Modelle in der Mittelklasse. Als Zielgruppe visiert Visser besonders die 25-35 jährigen jungen Städter an. Die Kosten niedrig halten will die Marke nicht nur durch ihr Direktvertriebskonzept. Visser will auch nur eine relativ kleine Zahl an Farben und Ausstattungslinien anbieten - und so die Zahl der Varianten sehr überschaubar halten.

Westliche Autojournalisten als Staffage

Diese gewollte Einfachheit manifestiert sich auch im Modellnamen: Das erste Fahrzeug, ein kompakter SUV heißt schlicht 01. Ende 2017 soll der 01 in China auf den Markt kommen, Anfang 2018 landet er dann auch auf den europäischen Märkten. Das wohl zum Kampfpreis: Denn ein vollausgestatteter 01 soll für etwas über 20.000 Euro zu haben sein, heißt es im Umfeld der Veranstaltung.

Zum erhofften Absatzvolumen will sich keiner der Lynk-Leute äußern. Dazu sei es noch zu früh, winken sie ab.

Nicht zu früh war es aber wohl, die Marke im ganz großen Pomp zu inszenieren. Der war mit seiner essenstechnischen Opulenz, seiner Lautstärke und Lichtblitzen aber weniger für westliches Autojournalisten-Publikum gedacht - sondern als überdeutlicher Fingerzeig für die chinesischen Kollegen.

Der ganze Auftritt strotzte vor Symbolik. Mit Lynk & Co nehmen wir den Kampf mit den Größten auf, wir wagen uns ins Herz der deutschen Autoindustrie, und wir sind cooler und gestylter als alle deutschen Automarken zusammen: Diese Botschaft wollte Geely von Berlin aus ziemlich deutlich Richtung Asien tragen. Die wunderschön beleuchteten, zart vor sich hin schmelzenden Eisblöcke am Ausgang fügten sich bestens ins Bild der erhofften Zeitenwende.

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Chinesische Automarke Lynk&Co: Neuanfang mit Altbewährtem - und viel Pomp

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