
Thomas Ingenlath, Chef der Volvo Elektroauto-Marke Polestar "Wir mussten einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit durchführen"
Auf der anstehenden IAA wird das neue Elektro-Modell Polestar 2 vorgestellt - von der gleichnamigen Volvo-Tochter. Thomas Ingenlath leitet die Elektroauto-Marke seit 2017. Im Interview mit manager-magazin.de erklärt er, wie er jetzt Tesla Konkurrenz machen will - und warum Polestar die Vergangenheit im Autorenn-Geschäft jetzt im Geschäft hilft.
manager-magazin.de: Herr Ingenlath, mit Polestar baut Volvo eine eigene Elektroauto-Marke auf. Anders als etwa VW mit seinen ID-Modellen oder Mercedes mit seiner EQ-Familie kreieren Sie nicht eine völlig neue Marke, sondern modeln mit Polestar eine ehemalige Tuning- und Performanceschmiede zur Elektroauto-Marke um. Warum eigentlich so kompliziert?
Thomas Ingenlath: Polestar ist ein Geschöpf der Marke Volvo, aber wir beschränken die Marke ganz konsequent auf Elektromobilität. Wir sind einen sehr evolutionären Weg gegangen und haben es uns vielleicht sogar etwas schwieriger gemacht, indem wir eine schon existierende Marke genommen und neu definiert haben. Doch Polestar hat einfach diesen Namen, bei dem so viele positive Assoziationen mitschwingen. Und wir haben auch den Spirit eines Rennteams mitbekommen. Polestar hat seine Wurzeln bekanntlich im Motorsport.
Welchen Vorteil sollte das haben?
Viele unserer Mitarbeiter sind es noch gewohnt, von Rennwochenende zu Rennwochenende Dinge zu verbessern und Entwicklungen in sehr kurzen Sprints voranzutreiben. Heutzutage wird viel davon geredet, bei Managementstilen genau auf so eine Art und Weise des Arbeitens umzuschwenken. Wenn man Entwicklungszeiten verkürzen will, muss man genauso arbeiten, wie es Autorennteams vorleben und wie wir es bei Polestar gewohnt sind.

Thomas Ingenlath, Jahrgang 1964, ist seit 2017 CEO von Polestar, der Elektroauto-Marke des schwedisch-chinesischen Autobauers Volvo. Davor war Ingenlath 5 Jahre lang Volvos Chefdesigner. Seine Karriere startete Ingenlath beim Volkswagen-Konzern, wo er unter anderem für Audi und Skoda Fahrzeuge gestaltete.
Bloß, dass Ihre Mannschaft nun nicht mehr mit Verbrennungsmotoren arbeiten kann.
Das ist richtig. Als ich vor zwei Jahren zu Polestar kam, mussten wir einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit durchführen. Ich musste erklären, dass Verbrennungsmotoren und Racing die Vergangenheit sind und Elektromobilität unsere Zukunft ist. Das war vereinzelt nicht einfach, jeder Neuanfang ist ja oft eine Überwindung. Auch den Rennserien haben wir Lebewohl gesagt. Dafür haben wir ein paar tolle Leute für die Umsetzung der Elektromobilität gewonnen. Da ist die Leidenschaft dann auch schnell wieder aufgeblüht. Wir haben in nur zwei Jahren sehr viel erreicht. Vergangene Woche zum Beispiel haben wir unsere neue Fabrik in Chengdu eingeweiht. Solche Erfolgserlebnisse schweißen ein Team zusammen, unsere Mannschaft ist moralisch wieder topfit.
Wie wollen Sie gegen die Elektromodelle etwa von Mercedes und Audi ankommen, wo positionieren Sie sich?
Unser Modell Polestar 2, das wir auf der Frankfurter IAA zeigen, steht als Premiumfahrzeug noch relativ alleine da. Das Fahrzeug wird je nach Ausstattung zwischen 40.000 und 60.000 Euro kosten. Die ersten Elektroauto-Modelle von Daimler, Audi und Jaguar fangen eher erst bei 80.000 Euro an. Der einzige wirklich direkt vergleichbare Wettbewerber ist Tesla mit seinem Model 3.
Womit wollen Sie Tesla Kunden abspenstig machen?

Unsere Fahrzeuggestaltung ist anders als bei Tesla. Als sie anfingen, zeigte das Unternehmen sehr erfolgreich, dass ein Elektroauto nicht wie ein "Freak" daherkommen muss. Teslas hatten sehr attraktive sportliche Attribute, bedienten sich aber nach wie vor sehr konventioneller Sportwagen-Ästhetik. Wir versuchen neue ästhetische Prinzipien in den Polestar Modellen umzusetzen. Außerdem kann jeder, der ein Polestar-Elektromodell kauft oder es per Abo mietet, bei einer Sache sicher sein: Von der Qualität, vom Service und der Ersatzteilversorgung her sind wir eine absolut vertrauenswürdige, professionelle Marke. Da haben wir den großen Vorteil, dass wir uns auf die etablierten Prozesse und die Infrastruktur von Volvo verlassen können - dnd das werden unsere Kunden sehr schnell feststellen. Da gibt es keine Abstriche.
Sie treten mit einer Elektro-Limousine an, die deutschen Premiumhersteller setzen bei ihren reichweitenstarken Elektromodellen zunächst auf SUVs
Ja, und ich will jetzt mal ein wenig plakativ sein. Der Design-Anspruch des Polestar 2 ist etwas anders gestrickt als bei der Konkurrenz. Wir machen nicht einfach nur einen blauen Dekorsticker außen dran oder eine grüne Leiste, um zu unterstreichen, wie umweltfreundlich wir sind. Wir sind bei unserem Design sehr avantgardistisch unterwegs. Und im Innenraum haben wir eine kleine Revolution.
"Wir sind so verwegen, dass wir fast gleichzeitig in China und Europa die ersten Fahrzeuge ausliefern"
Das verheißen viele, was genau ist denn beim Polestar 2 so anders?
Im Polestar 2 verwenden wir Googles Android-Betriebssystem als Grundlage für das Infotainmentsystem. Damit haben wir Navigation, Sprachassistent und all die heute gewünschte Konnektivität direkt im Auto integriert. Das bedeutet, dass ich letztlich nicht mehr mein Handy herausnehmen muss, um mit dessen Hilfe und etwa mit Google Maps zum Ziel zu finden, weil dies ein Handy sehr viel besser kann, als die oft beim Autokauf schon wieder veralteten Navigationssysteme. Ein Polestar 2 bietet damit eigentlich alles, was beim Handy zur geliebten Gewohnheit geworden ist.
Bisher haben sich klassische Autohersteller vor einer engen Partnerschaft mit Google gescheut, auch weil sie die Oberhoheit über die Daten behalten wollten. Was erleichtert die Zusammenarbeit mit Google, und was werden ihre Kunden davon haben?
Unser Sprachassistent im Auto wird richtig gut funktionieren. Denn die Datenbasis, mit der künstliche Intelligenz Spracheingaben verarbeiten kann, ist bei Google viel größer. Da können die Einzellösungen der Autohersteller in der Regel nicht mithalten. Bei Google ist der Vorteil für den Kunden so groß, dass man da auch mal ein bisschen undogmatisch an die Sache herangehen muss. Am Anfang haben wir uns noch vorsichtig beschnuppert und es war nicht ganz so einfach, bestimme Dinge voranzubringen. Aber nach zwei, drei Jahren hat sich eine gemeinsame und sehr kreative Entwicklungsarbeit ergeben.
Allerdings tauchen bei Android-Geräte immer wieder Viren auf, die Daten auslesen können. Wie gut ist der Polestar 2 gegen Hacker-Angriffe geschützt?
Zur Beruhigung: Wir nehmen kein Android-Betriebssystem, um unser komplettes Auto zu steuern. Android ist Teil der Polestar 2-Fahrzeugarchitektur und wird sehr stark im Bereich der Unterhaltungselektronik eingesetzt. Doch für die Elektronik der Fahrassistenzsysteme, des Fahrantriebsstranges oder etwa des ABS-Systems benutzen wir ein wesentlich komplexeres System. Da haben wir sehr hohe Standards, um die Betriebssicherheit des Fahrzeuges zu gewährleisten. Diese Systeme sind komplett getrennt vom Android-Betriebssystem.
Wie weit können Sie garantieren, dass Ihre Fahrer beim Android-Infotainmentsystem die Hoheit über ihre eigenen Daten behalten?
Das ist auch nicht anders als beim Mobiltelefon. Wenn sie dort Dienste nutzen, die etwas voraussagen können und damit mehr Bequemlichkeit bieten, muss das intelligente System dahinter etwas über mein Verhalten und meine Gepflogenheiten wissen. Da müssen Sie als Kunde selbstständig beurteilen, bis zu welchem Grad Sie ihre Daten und Ihre aktuelle Position teilen. Sie können dies natürlich auch komplett ignorieren und abschalten. Dann müssen Sie aber damit leben, dass etwa die Navigation bestimmte Dinge nicht voraussagen kann. Google und Apple haben es über die Jahre gelernt, ihren Kunden diese Entscheidungsfreiheit bis zu einem sehr fein abstufbaren Grad einzuräumen.
Und was machen Apple iPhone-Nutzer in Ihren Autos?
Auch das iPhone bindet sich unkompliziert in unser System ein. Jeder iPhone-Besitzer kann ja heute schon Google Maps benutzen oder via Google suchen. Es geht ja nicht darum, dass wir uns für Android entschieden haben. Sondern darum, dass ich in meinem Automobil jene Apps und Dinge eins zu eins nutzen kann, die ich sonst in meinem "digitalen Leben" nutze. Unser System integriert Handy-Dienste einfach deutlich besser als bisherige. Sie bekommen etwa im Head-Up-Display die Richtungsanzeigen von Google Maps.
Wann werden die ersten Polestar 2 an Kunden ausgeliefert?
Ab Mai oder Juni kommenden Jahres fangen wir mit den Auslieferungen an.
Und in welchem Markt starten Sie damit?
Wir sind so verwegen, dass wir fast gleichzeitig in China und Europa die ersten Fahrzeuge ausliefern. In den USA starten wir dann noch im zweiten Halbjahr 2020.
Wie viele Polestar 2-Fahrzeuge wollen Sie produzieren?

Im ersten Jahr haben wir uns selbstverständlich nicht vorgenommen, sofort die volle Stückzahl produzieren zu können. Wir wollen dieses neue Fahrzeug sicher anlaufen lassen. Anders als das auf insgesamt nur 1.500 Exemplare limitierte Polestar 1 Coupé, das nur drei Jahre gebaut wird, stellen wir unser zweites Modell in Massenproduktion her. Wir planen allerdings mit zehntausenden, nicht mit hunderttausenden Fahrzeugen pro Jahr. Im ersten Jahr werden wir sicherlich deutlich unter der 50.000er-Marke liegen. Dass wir im Laufe des Polestar 2-Zyklus an diese Marke für die Jahresproduktion herankommen, ist im Rahmen des Möglichen. Über hunderttausend produzierte Fahrzeuge pro Jahr zu spekulieren, dafür ist es noch zu früh. Wenn wir diese Schwelle mit den drei ersten Modellen zusammen überschreiten, haben wir schon einen großen Schritt gemacht.
Warum sind Sie dabei so zurückhaltend? Fürchten Sie, dass Elektroautos doch nicht in so großen Stückzahlen gekauft werden wie viele Konkurrenten annehmen?
Unsere schwedisch-europäischen Gene hindern uns wohl daran, in unbegrenzter Euphorie derartige Stückzahlen heraus zu posaunen (lacht). Unsere Herangehensweise ist ein bisschen anders, wir sind zurückhaltender. Neben Sorgfalt in der Planung und mit Gespür für die Realität wissen wir auch was es bedeutet, eine Produktion komplexer Automobile schnell hochzufahren. Der Kunde erwartet eine Top-Qualität und die wollen wir hundertprozentig liefern. Die Erfahrung in unserem Unternehmen ist vorhanden, um das sicherzustellen.
Wann gehen Sie mit dem Polestar 3 auf den Markt?
Bis zur Markteinführung des Polestar 3 wird es noch zwei, drei Jahre dauern. Dann werden wir einen SUV bringen. Doch es wird kein typischer Vertreter seiner Gattung sein, sondern wir werden dem Fahrzeug eine sehr aerodynamische, sportliche Form geben. Eine Art Coupé, aber sehr eigenständig. Wir werden dabei auf der neuen Volvo-Fahrzeugarchitektur aufbauen. Das ist dann die zweite Generation der skalierbaren Produkt-Architektur SPA, die uns alle technischen und gestalterischen Möglichkeiten bietet, ein einzigartiges Fahrzeug auf die Räder zu stellen - mit vollelektrischem Antrieb.