
Genfer Autosalon 2016: Diese Neuheiten sind salonfähig
Volkswagen mit neuer Strategie am Genfer Autosalon Digital statt Diesel - so will VW die Krise hinter sich lassen
Anderthalb Stunden Marketing-Show auf riesiger Bühne, vierrädrige Highlights von zwölf Marken, zur Auflockerung Tanzeinlagen und Kurzvideos: Bis vor wenigen Monaten zählte solcher Bombast zum Messe-Standardprogramm bei Volkswagen. Im Vorfeld der großen Automessen zog Volkswagen verlässlich eine Riesen-Show für 2000 geladene Gäste ab - zuletzt bei der Frankfurter IAA im vergangenen September.
Doch die Zeiten des VW-Messebarocks sind vorüber, wie Konzernchef Matthias Müller mit einem viel bescheideneren Auftritt vor dem Start der Genfer Automesse zeigen wollte. Loft statt Riesenhalle, nur mehr 500 Gäste, zwei kurze Reden statt 12 Präsentationen der jeweiligen Konzernmarken-Chefs, und ein Totalverzicht auf röhrende Autos auf der Bühne: Seinen Konzernabend in der Schweiz hat Müller eine radikale Abspeckkur verpasst.
Die neue, ostentative Bescheidenheit hat viel symbolischen Charakter: Sie soll zeigen, dass Müller bei dem Konzern eine Kehrtwende vornimmt. Deshalb präsentierte Müller auch nicht wie sonst bei VW üblich die automobilen Highlights vorab, sondern blickte in die nicht allzu ferne Zukunft. Und in der setzt Volkswagen den neuen Ankündigungen zufolge zum großen digitalen Überholmanöver an. Bei autonom fahrenden Autos will Volkswagen schneller sein als die Konkurrenz, bei der Vernetzung besser. Bis 2025 soll der Konzern nicht weniger als der führende Mobilitätsanbieter werden.
Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Denn gerade bei der Entwicklung von neuen Mobilitätsformen fährt der Konzern bislang eher im Mittelfeld. So bietet die Kernmarke VW noch ein überschaubares Angebot an Apps für ihre Infotainment-Systeme an. Ihr Car-Sharing Programm Quicar, das ausschließlich in Hannover verfügbar war, haben die Wolfsburger vor kurzem eingestellt.

Selbstfahrende Autos: Wie weit die Hersteller beim autonomen Fahren sind
Großer Auftritt für VWs Digital-Zampano
Nur die Nobeltochter Audi liegt im Wettrennen um selbstfahrende Autos weit vorne. Doch von der VW-Konzernspitze gab es bisher kaum konkrete Ansagen, wann etwa die Technik für automatisierte Autobahnfahrten von Fahrzeugen konzernweit verfügbar sein wird. Renault, General Motors und Toyota haben öffentlich erklärt, dass sie im Jahr 2020 so weit sein werden.
Das dürfte auch der Volkswagen-Konzern schaffen, nur stand dieses Ziel für die Massenmarken des Konzerns bisher nicht im Vordergrund. Das will Müller nun ändern - und dafür hat er sich auch einen neuen Mann mit viel Silicon-Valley-Erfahrung an Bord geholt: Seit November 2015 ist der 42-jährige Johann Jungwirth offiziell für den digitalen Wandel im Konzern zuständig, er berichtet direkt an Müller.
Seither hat man nur wenig gehört von dem Manager, der fünf Jahre lang Daimlers Forschungszentrum im Silicon Valley leitete und ein Jahr lang für Apple arbeitete. Doch in Genf hatte Jungwirth nun seinen ersten großen Auftritt - er sprach direkt nach Müller über die Veränderungen, die Volkswagen an vorderster Front mitgestalten will.
Wo Müllers größte Herausforderung liegt
Jungwirth war sozusagen der zweibeinige Star, den Müller auf der Konzernnacht präsentierte - ein Mensch statt wie üblich neue Automodelle. VWs Digitalchef entwarf dabei die große Visionen von Innenstädten, die bereits im Jahr 2025 kaum mehr Parkplätze bieten müssen. Denn selbstfahrende Autos können eben außerhalb parken und holen Menschen direkt an der Haustüre ab. Die neuen Technologien würden auch die Zahl der Verkehrstoten drastisch senken - und den Menschen viel Zeit zurückgeben.
Der in Siebenbürgen geborene und in Deutschland aufgewachsene Jungwirth überraschte dabei nicht nur mit seiner in den USA geschulten Form des Weltveränderer-Optimismus. Er will bei Europas größtem Autohersteller jene Form des digitalen Lebensstils einziehen lassen, die er bereits als Leiter von Mercedes Forschungszentrum propagiert hat. Das Auto, so meinte Jungwirth in Genf, soll zum besten Freund werden, das Verhalten und Vorlieben lernt und uns perfekt unterstützt. So ähnlich klangen seine Visionen auch vor zwei Jahren, als er noch für die Stuttgarter im Silicon Valley saß.
Damit dieser Wandel vom Autohersteller zum Mobilitätsanbieter weltweit gelingt, ziehen die Wolfsburger neue Forschungszentren in Potsdam, dem Silicon Valley und China hoch. Dort sollen Designer und Digitalisierungsexperten gemeinsam am Auto der Zukunft arbeiten. Innenräume und die äußere Form der Autos sollen so viel besser als bisher mit digitalen Diensten integriert werden und dann ein einheitliches Kundenerlebnis bieten.
Die neue Eile bei VW ist da auch durchaus angebracht. Denn gerade die IT-Riesen Apple und Google machen dabei Druck - mit eigenen Betriebssystemen für Auto-Unterhaltungselektronik. Aber auch manche Konkurrenten aus der Branche sind den Wolfsburgern hier einige Schritte voraus. Daimler und auch BMW haben nicht nur vielfältigere Digitaldienste als der Volkswagen-Konzern, beide Marken haben sie auch besser gebündelt. General Motors und zuletzt auch Ford haben nicht nur leichter bedienbare Infotainment-Systeme entwickelt, sie preschen auch bei Themen wie dem mobilen Bezahlen vom Auto aus voran.
VWs neuer Ehrgeiz beim autonomen Fahren
Da will Volkswagen nun nicht nur die Konkurrenz einholen - die Wolfsburger wollen sich da gleich an die Spitze setzen. Das gilt auch für das autonome Fahren. Laut Müller wird künftig mit Hochdruck an der Weiterentwicklung der Technologien geforscht. Ziel dabei ist es, diese "Kerntechnologie schneller als der Wettbewerb zur Marktreife zu führen".
In dem Konzern, in dem Qualität jahrzehntelang anhand Details wie Spaltmaßen oder Lackdichten gemessen wurde, will Müller nun ein neues Verständnis etablieren: Qualität ist künftig auch, bei entscheidenden Technologien schneller als die Konkurrenz zu sein. Das zählte bisher nicht unbedingt zum Repertoire der Marke VW. Denn die Wolfsburger fuhren lange die Strategie, lieber etwas später in neue Segmente oder Technologien einzusteigen, dafür aber dann mit dem besten Produkt am Markt.
Von dieser Unternehmenskultur muss sich Müller jedoch verabschieden, wenn er bei der Digitalisierung vorne mitspielen will. Denn da zählt Schnelligkeit mehr als Gründlichkeit. Dieses Umdenken in seinem 600.000-Mitarbeiter-Unternehmen fest zu verankern - das dürfte Müllers größte Herausforderung der kommenden Zeit werden.
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