Musterfeststellungsklage gegen VW - Richter sieht Chancen für Vergleich "Ein Vergleich ist sehr schwer, aber möglich"

Michael Neef, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Braunschweig
Foto: DPAZum Auftakt des Diesel-Musterverfahrens von Verbraucherschützern gegen Volkswagen hat das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig eine Einigung zwischen den Streitparteien angeregt. "Ein Vergleich ist sehr schwer, aber möglich", sagte der Vorsitzende Richter Michael Neef am Montag. Es sei jedoch nicht einfach, einen möglichen Schadenersatzbetrag für betroffene Dieselkunden festzulegen.
Am Braunschweiger OLG stehen sich der VW-Konzern und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) gegenüber. Der vzbv klagt dabei stellvertretend für rund 470.000 Dieselkunden, die sich von dem Autohersteller wegen falscher Diesel-Abgaswerte getäuscht sehen und deshalb Schadenersatz verlangen.
Volkswagen hatte mit einzelnen klagenden Kunden in anderen Verfahren bisher in vielen Fällen Vergleiche geschlossen. Im Fall der Musterfeststellungsklage halten die Juristen des Konzerns dies angesichts der "hohen Anzahl an Registeranmeldungen, Fallkonstellationen und etwaigen individuellen Schadensforderungen" jedoch für "kaum vorstellbar".
Zu Beginn des Musterverfahrens gegen Volkswagen hat das OLG Braunschweig eine kritische Untersuchung aller bisherigen Urteile zu möglichen Entschädigungen für Dieselkunden zugesichert. Richter Michael Neef betonte am Montag, man werde frühere Entscheidungen anderer Gerichte "sorgfältig prüfen". Er nannte dabei zwei "zentrale Fragen", die die Kammer in den kommenden Wochen zu bewerten habe.
"Dass ein Schaden entstanden ist, scheint uns nicht so offenkundig"
Gegen mögliche Ansprüche von VW-Dieselkunden könnte etwa sprechen, dass ein Schaden durch manipulierte Abgaswerte nicht "zutreffend vermittelt" worden sei. "Immerhin wurden die Fahrzeuge in der großen Zahl der Fälle weiter genutzt", sagte Neef. Ob also die Abgas-Software oder erst die anschließenden Diesel-Fahrverbote einen Schaden hervorgerufen hätten, sei noch nicht geklärt. "Dass ein Schaden entstanden ist, scheint

Anwälte unter sich: Ralph Sauer (l-r), Rechtsanwalt der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), spricht vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen VW in der Stadthalle mit Martina de Lind van Wijngaarden und Patrick Schröder, Anwälte der Volkswagen AG:
Foto: DPAuns jedenfalls nicht so offenkundig."
Außerdem müsse man erörtern, ob allein durch die drohende Stilllegung eines Dieselautos schon eine "Vermögensgefährdung" eingetreten sei - "durch den bloßen Umstand, dass die Fahrzeuge beschlagnahmt werden könnten". Klagende VW-Kunden müssten sich zudem darauf einstellen, im Erfolgsfall eine Entschädigung mit der bisherigen Nutzung des Autos verrechnen zu müssen: "Uns will es nicht einleuchten, dass die Fahrzeuge über Jahre kostenlos genutzt werden durften", sagte Neef.
Verbraucheranwalt: Entschädigung von 17.510 Euro pro VW-Halter
Folgt man anderen Stimmen könnte die Angelegenheit für VW im Fall einer Verurteilung auf Grund der Menge der betroffenen Fahrzeuge sehr teuer werden: Deutsche VW-Halter haben Anspruch auf Entschädigungen in Höhe von bis zu 42 Milliarden Euro aufgrund des Abgasskandals. Das geht aus einer aktuellen Auswertung des Verbraucherportals rightnow.eu hervor. Das Portal hat die durchschnittliche Entschädigungssumme aus mehr als 1.000 abgeschlossenen Fällen im Dieselskandal analysiert. Insgesamt vertritt rightnow.eu mehr als 11.000 Mandanten im Abgasskandal und hat unter anderem das erste klagestattgebende Urteil gegen VW an einem deutschen Oberlandesgericht erwirkt.
Im Schnitt erhalten VW-Halter demnach eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 17.510 Euro, wenn sie ihr gebrauchtes Diesel-Fahrzeug an den Wolfsburger Konzern zurückgeben. Insgesamt sind rund 2,4 Millionen Volkswagen-Fahrzeuge vom Dieselskandal betroffen. Würde jeder Fahrzeughalter seine Entschädigung einklagen, müsste Volkswagen mit Kosten in Höhe von bis zu 42 Milliarde Euro rechnen.
US-Kunden erhielten rund 19.400 Euro Entschädigung im Schnitt
In den USA entschädigte der Wolfsburger Konzern sämtliche Halter der rund 350.000 betroffenen Fahrzeuge mit umgerechnet rund 6,8 Milliarden Euro. Das sind etwa 19.428 Euro pro Fahrzeug.
200.000 Kunden haben VW auf individuellem Wege verklagt
In Deutschland setzt sich die mögliche jeweilige Entschädigungssumme aus dem ursprünglichen Kaufpreis des Fahrzeuges abzüglich einer Nutzungsentschädigung zusammen. Letztere ist abhängig von der individuellen Laufleistung des jeweiligen Fahrzeuges. Teilweise werden den betroffenen Fahrzeughaltern zudem Deliktzinsen zugesprochen. In diese Richtung hat sich bislang unter anderem das Oberlandesgericht Köln ausgesprochen.
"Dass Volkswagen wirklich Entschädigungen in Höhe von 42 Milliarden Euro zahlen muss, ist sehr unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich", kommentiert Alexander Voigt, Rechtsanwalt von rightnow.eu und führt fort: "Dafür müsste jeder betroffene Fahrzeughalter gegen den Konzern vorgehen. Aktuell setzen jedoch nur relativ wenige VW-Fahrer ihre Rechte im Dieselskandal durch: Ungefähr 200.000 haben VW auf individuellem Weg verklagt, rund 460.000 sind zudem in der Musterfeststellungsklage versammelt.

Showdown in Braunschweig: Die erste mündliche Verhandlung wurde wegen des großen Andrangs in die Braunschweiger Stadthalle verlegt. Etwa 470.000 Dieselkunden haben sich der Musterklage angeschlossen.
Foto: DPADa sich die Musterfeststellungsklage jedoch mindestens vier Jahre hinziehen wird und die betroffenen Fahrzeuge währenddessen kontinuierlich an Wert verlieren, werden die Teilnehmer der Musterfeststellungsklage wohl nur deutlich weniger als 17.000 Euro pro Fahrzeug erhalten. Teilweise werden sie sogar komplett leer ausgehen. Zudem setzt das überhaupt voraus, dass der Prozess am Ende zugunsten der Klägerseite entschieden wird.
Verbraucherschützer: ""Unserer Meinung nach hat Volkswagen betrogen"
Die erste mündliche Verhandlung in dem Verfahren verlegten die Richter wegen des erwarteten großen Andrangs in die Braunschweiger Stadthalle. Etwa 470.000 Dieselkunden haben sich der Musterklage angeschlossen. Der Vorstand des vzbv, Klaus Müller, sieht sie im Recht: "Unserer Meinung nach hat Volkswagen betrogen und muss deshalb zur Rechenschaft gezogen werden." VW argumentiert dagegen: "Aus unserer Sicht haben die Kunden keinen Schaden erlitten, da alle Fahrzeuge im Verkehr genutzt werden können und sicher sind."
Im September 2015 hatte der Hersteller nach Prüfungen von Behörden und Forschern in den USA Manipulationen an den Abgaswerten von Dieselautos zugegeben. Die Software bestimmter Motoren war so eingestellt, dass im tatsächlichen Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen wurden als in Tests.
Viele Kunden fühlen sich geprellt, auf dem Gebrauchtwagenmarkt ging der Wert von Dieselfahrzeugen rapide in den Keller. Auch im Rahmen von Tausenden individuellen Klagen verlangen sie Schadenersatz, die meisten Einzelurteile gingen bisher allerdings zugunsten von VW aus.
Die Verbraucherzentralen ziehen nun stellvertretend vor Gericht und tragen auch das Prozesskosten-Risiko. Sie sind der Meinung, dass VW seine Kunden mit der Manipulation der Abgasreinigung vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Auf der Internetseite des Bundesamts für Justiz konnten sich Dieselbesitzer in ein Klageregister eintragen.
Beim ersten Termin am (heutigen) Montag wird es nun wahrscheinlich zunächst um die Zulässigkeit der Klageanträge gehen, erläuterten die Anwälte. Sie wollen notfalls bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen, sehen aber auch die Möglichkeit eines vorzeitigen Vergleichs mit VW.