
Flughafen Braunschweig: Airport des Grauens für Winterkorn und Piëch
Abfertigung à la Volkswagen An diesem Flughafen sind Piëch und Winterkorn abgestürzt
"Kann ich Ihnen helfen?", fragen die Männer vom Sicherheitsdienst hier jeden, der einen Blick durch die Gitterstäbe wirft. Ob hier zufällig mal wieder das VW-Präsidium tagt? "Heute startet und landet niemand mehr."
Dafür gab es hier in den vergangenen Monaten reichlich relevante Flug-Bewegungen. Der Airport Wolfsburg-Braunschweig, der genauso unscheinbar wirkt wie er klingt, ist zum Schicksalsort der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte geworden. Zwei Granden der deutschen und damit auch europäischen Auto-Industrie wurden an diesem Ort vom Thron gestoßen: die einstigen VW-Lenker Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn.
Der Flughafen Braunschweig ist der Ort, den sie als König betraten und wenige Stunden später als nur halbwegs ehrenhaft Entlassener wieder verließen. Auf der Präsidiumssitzung Ende April feierte Winterkorn hier seinen vielleicht größten Überraschungserfolg. Der damalige Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch trat zurück. Und nun, im Zuge der Schadstoffaffäre, bildete wiederum der Flughafen Braunschweig - und nicht die Wolfsburger Konzernzentrale - die sachliche Kulisse für ein persönliches Drama. Am 23. September drängte das VW-Präsidium Winterkorn hier zum Rückzug.

Flughafen Braunschweig: Airport des Grauens für Winterkorn und Piëch
Ein klobiges Verwaltungsgebäude aus den 30er-Jahren dominiert das Gelände. In die Eingangshalle hat die Flughafenverwaltung zwei moderne Passagier-Abfertigungssysteme gequetscht. Hunderte, manchmal tausende Geschäftsleute heben hier täglich ab, die Normal-Manager von Volkswagen, oft auch Mitarbeiter von Bosch, dem Stahlkonzern Salzgitter oder der Modekette New Yorker, die in Braunschweig ihren Hauptsitz hat.
VWs zuletzt wichtigster Ort: ein futuristischer Hangar
"Unsere Stärke ist, dass Fluggäste hier schnell hinkommen und schnell wieder weg", sagt Boris Gelfert, Geschäftsführer des Flughafens. Einen Komfort-Preis gewinnt der Airport jedenfalls nicht: Kein Konferenzzentrum, keine Shops. Immerhin, ein italienisches Restaurant gibt es. Mittags kommen viele aus der Stadt hierher, wegen des Buffets. "Volkswagen ist nur ein Kunde wie jeder andere für uns." Tatsächlich hat sich der Konzern vor ein paar Jahren von seinem Anteil am Flughafen getrennt. Nun gehört das defizitäre Unternehmen der Stadt Braunschweig sowie umliegenden Kreisen und Kommunen.
Für die Passagiere ist es zur Hoch-Zeit morgens so eng, dass sie sich bis nach draußen vor dem Portal stauen. "Wenn es regnet und schneit, ist das nicht schön", sagt Gelfert. Gelfert - Vollbart, braunes Sakko - blickt vom Balkon über das Rollfeld in Richtung eines supermodernen Hangars, der wirkt, als habe er sich unerlaubt in die Kulisse geschoben: der architektonische Dreh- und Angelpunkt der jüngsten Akte im VW-Drama.
Volkswagen betreibt rund um diesen Hangar samt kleinem Verwaltungsgebäude eine Art Flughafen im Flughafen. Etwas abseits, neben dem Fallschirmspringer-Club und abgeschottet von einem hohen Zaun, gibt es einen zweiten Zugang zum Braunschweiger Flughafen - den für die Top- und Spitzenkräfte des Volkswagen-Konzerns.
Es waren wohl streng logistische Überlegungen, die Volkswagen die entscheidenden Präsidiums-Sitzungen in diesem Hangar haben ansetzen lassen. Aus Hannover ist Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil dank der nahen Autobahn A 2 jeweils schnell vor Ort. Die Arbeitnehmervertreter wie Betriebsratschef Bernd Osterloh und Vize Stephan Wolf rauschen aus Wolfsburg heran.
Besonders bequem haben es naturgemäß die Präsidiumsmitglieder, die mit dem Flieger kommen - eine Option für Wolfgang Porsche (Stuttgart/München), den Chefkontrolleur Berthold Huber (Frankfurt) und - bei der Sitzung im April - Ferdinand Piëch (Salzburg).
Sie können direkt bis zu dem Gebäude rollen und müssen nicht den Umweg über die offizielle Empfangshalle nehmen. "Wir haben den Anspruch auf Exzellenz", sagte Flugbetriebsleiter Luis Antonio Sancha Garcia einmal der VW-Mitarbeiterzeitung.
Huber macht Druck in dem unscheinbaren Verwaltungsbau, Winterkorn wird still
Details zu den Präsidiumssitzungen will Volkswagen nicht kommentieren. Auch von außen ist sofort erkennbar, dass der Flughafen für Volkswagen beständig an Bedeutung gewinnt. Schuttcontainer und Dämmplatten stehen auf dem Gelände rund um den Hangar herum. An die futuristische Flugzeug-Garage wird gerade ein zweites Verwaltungsgebäude angebaut, neben dem ersten, wo bislang die Sitzungen des Präsidiums stattfinden konnten.
Dort hat Martin Winterkorn in der vergangenen Woche etwa anderthalb Stunden mit einem Vortrag um sein Überleben als Volkswagen-Chef gekämpft. Doch es hat nicht gereicht.
"Ich bin das jetzt leid, es muss jemand die Verantwortung übernehmen", hat Aufsichtsratschef Berthold Huber laut "Spiegel" schließlich Winterkorns Ende eingeleitet. Der sei dann still geworden. "Ich werde Sie am Freitag nicht vorschlagen und sie auch nicht wählen", exekutierte Huber, die anderen Präsidiumsmitglieder schlossen sich ihm an. Das Ende - für Winterkorn.
Am Flughafen Braunschweig, in dem klobigen Hauptgebäude, war es an den nächsten Tagen so voll wie immer. Da drängelten sie sich wieder in Sichtweite des De-Luxe-Hangars für ihre Top-Kräfte, die Volkswagen-Mittel-Manager und -Techniker auf ihren Missionen: nach Ingolstadt, Posen oder Prag. Und auch nach Amerika, wo Winterkorns Schicksal seinen Anfang nahm.