Knorr-Bremse-Chef über das Bietergefecht um Haldex "So etwas habe ich noch nicht erlebt"

Klaus Deller, Chef von Knorr-Bremse: "Es geht hier um die Zukunft der Mobilität: das autonome Fahren"
Foto: Knorr-Bremsemanager magazin: Herr Deller, Knorr-Bremse ist die Nummer eins im Geschäft mit Lkw- und Eisenbahn-Bremsen. Ihr schwedischer Konkurrent Haldex ist die Nummer dreieinhalb der Branche, er ist nicht besonders innovativ, er galt immer als ein bisschen angestaubt. Jetzt bieten Sie als Knorr-Bremse-Chef und der Autozulieferer ZF Friedrichshafen mehr als den 20fachen Gewinn für Haldex. Grenzt dieser Preis nicht an Irrsinn?

Klaus Deller ist seit Januar 2015 Vorstandschef des deutschen Bremsenherstellers Knorr-Bremse.
Klaus Deller: Schauen Sie sich die Knorr-Bremse-Ergebnisse an. Fast 6 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 10 Prozent Umsatzrendite. Netto. Mit Irrsinn hat das nichts zu tun, seien Sie sicher. Haldex spielt nicht überall auf einer Höhe mit uns. Aber in einigen Bereichen ist das Unternehmen eine gute Ergänzung.
mm: Und diese Bereiche sind so wertvoll, dass Sie einen Spezialisten für Lkw-Bremsen fast so hoch bewerten wie ein Hightech-Startup?
Deller: Verhältnisse wie im Silicon Valley sind das noch nicht. Aber es geht hier um die Zukunft der Mobilität: das autonome Fahren. Wir haben uns in dem Bereich gerade mit dem Lenksysteme-Spezialisten tedrive verstärkt. Haldex ist besonders auf Anhängerbremsen focussiert. Wir könnten unsere Entwicklungsressourcen dann auf die automatisierten Fahrfunktionen konzentrieren.
mm: Wenn Sie Haldex denn bekommen. Sie bieten 125 Kronen je Aktie; Ihr Konkurrent ZF Friedrichshafen hält 120 Kronen dagegen, wirbt zusätzlich mit einer Vorab-Genehmigung des Kartellamts. Ein dritter Bieter ist bereits ausgestiegen. Das hat schon ein bisschen von Übernahmefieber.
Deller: Bei uns hat das mit Fieber nichts zu tun. Im Gegenteil, das ist eine ganz rationale Entscheidung. Haldex steht bei uns schon länger auf der Beobachtungsliste. Nach den Geboten von SAF Holland und ZF mussten wir uns entscheiden: Entweder wir schlagen jetzt zu, oder wir komplementieren unser Portfolio durch eigene Entwicklungen.
mm: Haben Sie sich nicht eher dafür entschieden, einen gefährlichen neuen Wettbewerber aus dem Markt heraus zu halten: ZF Friedrichshafen?
Deller: Sicher nicht. Unsere Strategie zur Weiterentwicklung des Unternehmens, insbesondere bei den automatisierten Fahrfunktionen, steht seit langer Zeit fest. Alle Organe von Knorr-Bremse tragen diese Strategie mit.
"Ohne modernste Bremsen können Lkw niemals fahrerlos durch den Alltagsverkehr rollen"
mm: Bleiben wir bei ZF. Das Unternehmen gehört zu den fünf weltweit stärksten Autozulieferern, gilt als hochinnovativ. Eine solche Konkurrenz ist nicht gerade angenehm.
Deller: Seit mehr als 100 Jahren dreht sich bei uns alles um die Bremse. Sie ist sogar Teil des Firmennamens. ZF Friedrichshafen hat in Sachen Lkw-Bremse bislang gar nichts im Angebot. Dass ZF nun - ich zitiere Sie - mit der Nummer dreieinhalb der Branche die Lücke schließen könnte, und dass dadurch ein echter Wettbewerber entstehen könnte, erscheint nicht nur mir eine wenig überzeugende Strategie zu sein.
mm: Also findet hier tatsächlich ein Wettbieten um die Technologie der Zukunft statt, und der heiße Stoff sind Druckluftbremsen für Trucks und Trailer?
Deller: Bremssysteme mögen Ihnen altmodisch erscheinen. Aber ohne modernste Bremsen können Sie einen Lkw niemals fahrerlos durch den Alltagsverkehr rollen lassen.
mm: Wie groß ist Ihr Hunger auf diese Technik? Erhöhen Sie Ihr Angebot noch einmal?
Deller: An wen die Aktionäre verkaufen, ist letztlich eine Frage des Preises und der vorgelegten Strategie. Und unser Angebot ist das höhere. Außerdem stimmt der wirtschaftliche Rahmen, wir bieten Haldex eine Wachstumsstory und nicht eine Zukunft als Lückenfüller für weiße Flecken...
mm: ... aber die Investoren neigen bisher zu ZF. Ihr Konkurrent hat schon 21 Prozent der Aktien gekauft, Sie erst 11 Prozent. Und die Haldex-Führung empfiehlt das fünf Kronen niedrigere ZF-Angebot.
Deller: Noch ist nichts entschieden; unsere aktuellen Investorengespräche stimmen uns optimistisch. Und das frühe Votum des Haldex-Boards ist mehr als erstaunlich. In Übernahmesituationen mit zwei Bietern hat das Board im Sinn seiner Aktionäre die Pflicht, beide Gebote unvoreingenommen und mit Sorgfalt zu prüfen. Was wir hier sehen, lässt daran zweifeln. Mehr noch: Gestern ist Haldex-CEO Bo Annvik bei der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover auf die Bühne gebeten worden. Gemeinsam mit ZF-Chef Stefan Sommer hat er sich als Bollwerk gegen die vermeintlich böse Knorr-Bremse präsentiert.
"Haldex versucht, unser Angebot zu diskreditieren"
mm: Ein bisschen Wahlkampf, könnte man auch sagen. ZF und Haldex koalieren halt.
Deller: Wir sind hier aber nicht in der Politik. Vergessen Sie nicht: Haldex-Chairman Göran Carlson hat ZF seine eigenen Haldex-Aktien bereits verkauft, für wahrscheinlich gut 30 Millionen Euro. Ein solches Ausmaß an Parteinahme ist nicht hinzunehmen. Von uns nicht, aber auch von den Investoren nicht. Es ist offensichtlich: Haldex versucht, unser höheres Angebot mit teils irreführenden Äußerungen und fragwürdigen Behauptungen zu diskreditieren.
mm: Harte Worte,...
Deller: ... aber leider zutreffend.
mm: Wo genau sehen Sie den Versuch, die Aktionäre irrezuführen?
Deller: Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn das Haldex-Management den Eindruck erweckt, wir wären nicht willens gewesen, unsere Strategie zu erklären, dann ist das nicht zutreffend. Im Gegenteil: das Management hat trotz unserer Gesprächsangebote namentlich zu den kartellrechtlichen Themen den Dialog verweigert.
mm: Das müssen Sie erklären.
Deller: Als ich den amtierenden Chairman des Boards am Vorabend unserer Aufstockung auf 125 Kronen über das neue Gebot informiert habe, hat der Haldex-Vorstand 30 Minuten später ein für den Folgetag angesetztes und lange geplantes Treffen mit uns abgesagt. Er hat das damit begründet, das Board sei verstimmt. Wir erhöhen das Angebot, und die Haldex-Spitze ist verstimmt. Schon komisch.
mm: Und das Treffen...
Deller: ... fand tatsächlich nicht statt. Seitdem herrscht Funkstille. Schon das stimmt nachdenklich. Dazu kommt jetzt die Verbrüderung auf der IAA. So etwas habe ich noch nicht erlebt.
mm: Begründet hat das Haldex-Board seine Empfehlung für ZF mit der Gefahr, die Kartellbehörden könnten eine Übernahme durch Knorr-Bremse ablehnen. Knorr-Bremse hat in Europa einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Die Sorgen der Haldex-Leute scheinen da plausibel.
Deller: Wir hätten das Angebot nicht unterbreitet, wären wir nicht überzeugt davon. Die Geschäftsfelder von Haldex und Knorr-Bremse sind in weiten Teilen komplementär, die Überschneidungen sind überschaubar und beschränken sich im Wesentlichen auf bestimmte Regionen. Ich kann daher nur bekräftigen: Sollten Kartellauflagen gemacht werden, hätten wir dafür Lösungen. Wir sind zu Zugeständnissen bereit.
mm: Sie würden Teile von Haldex verkaufen?
Deller: Wir sind an der besten Technologie und Marktposition interessiert. Es ist daher auch denkbar, Teile von Knorr-Bremse in Frage zu stellen. Wir wären da offen. Aber das hat den Haldex-Vorstand nicht einmal interessiert. Sehr merkwürdig.
"Wir wollen mit Haldex wachsen - eine Blockade wäre nicht in unserem Sinn"
mm: Egal wer am Ende die Mehrheit hält: der Sieger muss mit einem starken Minderheitsaktionär leben. Ein schlechter Verlierer könnte die Integration einer Tochter Haldex massiv erschweren. Die hohen Gebote erscheinen vor diesem Hintergrund noch einen Tick höher.
Deller: Das Problem zeichnet sich ab. Aber wir als Knorr-Bremse wollen mit Haldex wachsen. Eine Blockade wäre nicht in unserem Sinn.
mm: Die Situation erinnert an den Übernahmekampf um Schering vor zehn Jahren. Da hat sich der unterlegene Bieter Merck seine Anteile vom Gewinner Bayer abkaufen lassen - und dafür eine Extra-Prämie kassiert.
Deller: Momentan stellt sich die Frage doch gar nicht. Wie gesagt: wir haben das höhere Angebot gemacht; und etwaige Kartellauflagen wären lösbar. Ich bleibe optimistisch, dass sich weitere Aktionäre für uns entscheiden. Wir empfangen eindeutige Signale aus dem Markt.
mm: Herr Deller, autonomes Fahren ist schon länger eins der zentralen Themen der Autoindustrie. Warum springen Sie so spät auf den Zug? Sie hätten dieses teure Wettbieten doch sicher vermeiden können. Am fehlenden Geld kann es nicht liegen.
Deller: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wenn Sie ein bisschen genauer schauen, sehen Sie, dass wir uns viel früher als andere mit dem Thema beschäftigt haben. Und wir werden ein komplettes System für autonomes Fahren präsentieren: für Busse wie Lkw und von der Lenkung bis zur Anhänger-Bremse.
mm: Und was machen Sie, wenn Sie den Zuschlag nicht bekommen?
Deller: Auf keinen Fall werden wir in Depressionen verfallen. Managen heißt, in Alternativen zu denken.
mm: Vielleicht wäre es ja auch besser, auf Haldex zu verzichten. Die Schweden wären Ihre fünfte Übernahme binnen zwölf Monaten. Sie müssen die vielen neuen Töchter auch integrieren. Irgendwann überfordert Sie das.
Deller: Wenn Sie unser Schienengeschäft mitzählen, wäre es sogar die sechste Übernahme. Knorr-Bremse hat in den vergangenen 30 Jahren rund 100 Unternehmen gekauft und integriert; das ist Teil unserer DNA geworden. Im Durchschnitt sind wir in dieser Zeit um 11 Prozent pro Jahr gewachsen. Das Wachstum ist zur Hälfte organisch, zur anderen Hälfte anorganisch.
mm: Wenn Sie Ihr Wachstumstempo halten, knacken Sie in fünf Jahren die Umsatzgrenze von 10 Milliarden Euro. Warum dieser Drang nach Größe?
Deller: Größe war und ist auch in Zukunft nicht der bestimmende Faktor unserer Strategie. Wir wollen unsere Subsysteme gezielt vernetzen und verstärken, dabei natürlich auch weiter wachsen. Wir bekommen in den kommenden Jahren wahrscheinlich neue Wettbewerber aus anderen Branchen. Aber wir wollen und werden unsere führende Marktposition weiter ausbauen.
Kampf um Haldex: Knorr-Bremse erhöht Anteil