Umbau der Autoindustrie Deutsche Autoindustrie - vom Lobbyismus zur Öko-Ökonomie

Als Kenner der Autoindustrie ist mir die Bedeutung dieser Branche für Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung bekannt. Genau so ist mir bewusst, dass sich diese Schlüsselindustrie, ausgehend von gesetzlichen Regelungen und technischen Neuerungen, in den nächsten Jahren verändern wird wie nie zuvor in ihrer Geschichte - und dass sich damit auch die gesellschaftliche Debatte über diese Industrie drehen wird. Mit diesem Beitrag möchte ich dazu beitragen, dass eine konstruktive, ideologiefreie Diskussion über den Umbau unserer Mobilitäts- und Autoindustrie erfolgreich und überzeugend geführt werden kann.

Klaus Franz wurde als oberster Arbeitnehmervertreter in dem Überlebenskampf 2008/10 von Opel/Vauxhall und General Motors in Europa zu einem wichtigen Krisenmanager. Dafür wurde der heute 64-Jährige unter anderem 2009 mit dem internationalen Preis "Kommunikator des Jahres" ausgezeichnet. Heute berät er ArbeitnehmerInnen und Management in Veränderungsprozessen.
www.forum-urbanum.de
Arbeitsplätze versus Umweltschutz, das ist die Schützengraben-Mentalität der vergangenen Jahre. Jetzt gilt es, die Autoindustrie durch eine Kombination der beiden Sphären auf eine neue Ebene zu heben. Die Möglichkeit dazu ist da, vielen Warnrufen zum Trotz. Trends wie Digitalisierung und Industrie 4.0 müssen nur richtig genutzt werden; dann werden auch sie zu einem konstruktiven Miteinander von Ökonomie und Ökologie beitragen. Die Debatten auf dem von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann organisierten Autogipfel und auf dem Zukunftskongress der hessischen Grünen gingen in die richtige Richtung.
Leider zieht die Politik in Deutschland in dieser Frage noch nicht an einem Strang. Die gesellschaftliche Meinung zum Auto verändert sich mittlerweile ziemlich schnell. Doch zwischen kollektiver Einsicht und individuellem Handeln klafft beim Auto noch eine ordentliche Lücke.
Nach einer Studie von Autoscout24 aus dem Jahr 2015 erwarten 88,1 Prozent der Deutschen von ihrem nächsten Auto, dass es umweltfreundlich ist. Bei einem Ranking der Umweltfreundlichkeit von Automarken lag Toyota vorn. Es folgten - das war noch vor Dieselgate - VW W, BMW und auf Platz 4 schon Tesla . Die deutschen Hersteller sollten den Anspruch haben, besser abzuschneiden.
Insbesondere in den Städten wollen immer weniger Menschen ein eigenes Fahrzeug besitzen. Was langjährige grüne Überzeugungskraft nicht geschafft hat, haben der Dieselskandal und die wachsende Stickoxidbelastung in den Ballungszentren auf die Tagesordnung gebracht. Die Emissionen nehmen zu und sinken nicht, die Fahrzeugbestände wachsen weltweit; und das führt zu veränderten gesellschaftlichen Einsichten. Selbst Fahrverbote in den Städten sind plötzlich Thema.
Die Autoindustrie steht vor einer Zeitenwende. Technologie, Aufgaben der Mitarbeiter, Investitionen, Geschäftsmodelle und die Konzentration der Branche; alles wird sich ändern. Die amerikanischen Autokonzerne General Motors und Ford passen sich den neuen Trends bereits an. Sie bereiten einen radikalen Umbau vor; und über kurz oder lang wird sich auch die europäische Autoindustrie dieser Transformation nicht versperren können. Der Angriff neuer, technologiegetriebener Unternehmen wie Tesla, Google und Uber wird diese Entwicklung nur noch beschleunigen.
Die Diskussion über Ökologie oder Ökonomie erhält vor diesem Hintergrund eine ganz neue Dimension. Bislang haben es die Konzerne durch Lobbyismus geschafft, im Status quo zu verharren. Anstatt die Technik zum Schutz der Menschen weiter zu entwickeln und gleichzeitig die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, haben die Unternehmen insbesondere in Deutschland versucht, die Politik mit dem Argument der Arbeitsplätze zu erpressen - und so die Umweltvorschriften sehr zahm zu halten. Zu zahm sogar, das wird inzwischen immer klarer. Eindeutige Auflagen und Vorschriften hätten die Industrie zum Beispiel gezwungen, schneller bessere Elektroautos zu entwickeln und die notwendige Infrastruktur aufzubauen.
So aber müssen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Daimler-CEO Dieter Zetsche eingestehen, dass die für das Jahr 2020 versprochenen eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen nicht mehr realistisch sind. Heute sind lediglich 65.000 Plugin-Hybrid- und batterieelektrische Fahrzeuge in Deutschland zugelassen. Über die Ursachen allerdings und über die Konsequenzen dieses gemeinsamen Scheiterns von Industrie und Politik wird nicht geredet.
Situation wird sich weiter zuspitzen
Nichts darüber, dass die Hersteller zu wenig Elektromodelle mit ausreichender Reichweite entwickelt haben, dass es zu wenig öffentliche Ladesäulen gibt, dass die Autos zu teuer sind, zusätzlich häufig auch nur nach langen Wartezeiten ausgeliefert werden und dass es darüber hinaus zu wenig Anreize wie das Recht auf die Nutzung von Busspuren gibt.
Die Unternehmen haben zu lange gezögert. Jetzt müssen sie die Konsequenzen tragen. So verkauft General Motors Opel vor allem deshalb, weil GM sich die nötigen Milliardeninvestitionen sparen will, um die CO2-Richtlinie der Europäischen Union bis 2020 zu erfüllen.
Die Situation der Konzerne wird sich in den nächsten Jahren weiter zuspitzen. Bleibt die EU konsequent, drohen ihnen ab 2020 milliardenschwere Strafzahlungen. Viele Hersteller werden es kaum schaffen, die Emissionen ihrer Modelle auf die im Durchschnitt verlangten 95 Gramm pro Kilometer zu senken. Die erforderliche Technologie wäre zu teuer, der steigende Anteil der nicht gerade umweltfreundlichen SUV erschwert die Situation zusätzlich. Verkauften die Hersteller mehr Hybrid- und Elektro-Fahrzeuge, sie stünden deutlich besser da. Aber sie haben sie nicht rechtzeitig entwickelt.
Die Konsequenzen scheinen klar. Aber erst einmal ein kleiner Blick darauf, wofür die Begriffe Ökologie und Ökonomie in diesem Zusammenhang stehen.
Ökologie, das bedeutet zum Beispiel, dass laut Weltklimarat 19 Prozent der in Europa jährlich emittierten 4,72 Milliarden Tonnen CO2 auf den Straßenverkehr entfallen. Für 30 Prozent der Emissionen sind die Stromerzeugung und öffentliche Haushalte verantwortlich, für 20 Prozent die Industrie. Ein wesentlicher Klimakiller im globalen Transport Sektor findet dabei zwar zu wenig Aufmerksamkeit: die Containerschiffe. Die weltweit operierende Flotte stößt jährlich so viele Schadstoffe aus wie 50 Millionen Pkw; auch hier gibt es noch großes Potenzial für Wachstum durch Ökologie.
Das ändert indes nichts daran, dass der größte Druck auf der Autoindustrie lastet. Global gibt es 1,3 Milliarden konventionelle Fahrzeuge, die 54,6 Millionen in Deutschland zugelassenen Autos sind im Schnitt 9,2 Jahre. Und das Durchschnittsalter steigt weiter - wieder ein Indiz dafür, wie dringend die Autos verbessert werden müssen.
Aber das gilt nicht nur für die Fahrzeuge: 2015 stand jeder Bundesbürger 38 Stunden im Stau; dabei wurden 16 Milliarden Liter Kraftstoff verbrannt. Auch dieses Problem könnte schon heute deutlich entschärft werden. Unternehmen, Verbände und Politik müssten dazu kooperieren, es müssten funktionierende Leitsysteme geschaffen werden, und wir bräuchten eine bessere Parkraumbewirtschaftung.
Angst vor dem Umbau
Ökonomie, das bedeutet zum Beispiel, dass die Autoindustrie in Deutschland mehr als 750.000 Mitarbeiter beschäftigt. Allein 250.000 dieser Menschen produzieren Motoren und Getriebe. Ein Elektroantrieb besteht aus 210 Einzelteilen, ein herkömmlicher Antriebsstrang aus 1400. Diese Gegenüberstellung zeigt die Dimension des langfristig bevorstehenden Personaleffekts, und sie erklärt die Angst der Betriebsräte und Gewerkschaften vor dem Umbau dieser Schlüsselindustrie.
Die Veränderung wird kommen, sie ist nicht mehr aufzuhalten. Aber die meisten Unternehmen und auch die Politik tun zu wenig, um sich auf den Wandel vorzubereiten. Dabei gibt es klare Lehren aus den Versäumnissen der vergangenen Jahre.
- Der Gesetzgeber muss eindeutige und nicht interpretierbare Gesetze und Verordnungen für Grenzwerte und Testmethoden vorgeben, und das einheitlich für Europa.
- Die Politik muss den Umbau der Automobilindustrie ideologiefrei begleiten und unterstützen, um Akzeptanz und Machbarkeit zu fördern. Sie darf die Konzerne dabei aber nicht aus der Verantwortung lassen.
- Die Unternehmen sollten ihre Nachhaltigkeitkeits- und Umweltberichte (Corporate Social Responsibilty) nicht als PR-Instrument verstehen, sondern als Selbstverpflichtung.
- Die Autoindustrie muss neue Berufsbilder schaffen, und sie benötigt eine Forschungsoffensive für den ökologischen Umbau. Die Weiterbildung von Beschäftigten, insbesondere aus der Fertigung und Entwicklung, muss vorangetrieben werden. Stakeholder dieser Offensive müssen alle Beteiligten gemeinsam sein: Unternehmen und Verbände, Gewerkschaften, Betriebsräte, Politik und natürlich die Mitarbeiter selbst.
- Eine zielgerichtete Maßnahme für diesen Umbau wäre, die Mineralölsteuer und Dieselsubvention umzulenken in den Aufbau der Infrastruktur für die Elektromobilität.
- Wir brauchen verbesserte Systeme für die Car-to-Car-Kommunikation, und wir müssen diese Systeme für eine intelligente individuelle Verkehrsführung einsetzen. So könnte der Verkehrsfluss verbessert werden, Staus und Emissionen würden reduziert.
- In urbanen Ballungszentren sollten Car-Sharing-Communities gefördert werden. So würden die Fahrzeuge besser ausgelastet, es gäbe nicht so viele "Single-Drive-Vehicles".
Die mobile "Zero Emission Gesellschaft" ist eine Vision, von der alle profitieren können. Der Weg dorthin muss in Schritten und Etappen und im gesellschaftlichen Konsens entwickelt werden. Die Ingenieurskunst, Technologieentwicklung und Finanzkraft der deutschen Industrie bilden dafür eine solide Basis; denn Ökonomie und Ökologie widersprechen sich nicht. Im Gegenteil: sie sind die Treiber des zukünftigen Wachstums.
Klaus Franz, ehemaliger Gesamtbetriebsratsvorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Adam Opel AG schreibt als Gastkommentator für manager-magazin.de - trotzdem gibt seine Meinung nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.